7. Oktober 1867: Der Münchner Herbst beginnt mit einem zünftigen Prominenz-Skandal: König Ludwig II. löst die seit Januar unlustig vor sich hin dümpelnde Verlobung mit seiner Kusine, Prinzessin Sophie in Bayern (das „in“ ist hier nicht geographisch gemeint, sondern bezeichnet die Nebenlinie der Familie, um sie vom regierenden Hauptzweig des Hauses Wittelsbach zu unterscheiden).
Ein für die Biographien der Beteiligten eindrückliches Datum also und damit Grund genug, einen kleinen Beitrag, den wir vor einigen Monaten anderweitig veröffentlicht haben, hier nochmal in unserem „heimatlichen“ Blog zu platzieren: Denn hat Kusine Sophie auch im Herzen des Märchenkönigs keine bleibenden Spuren hinterlassen, so ist ihr das doch zumindest in der Residenz, in der sie niemals „residieren“ sollte, gelungen, wie ein wohl erhaltenes, lange Zeit unidentifiziertes Möbel zeigt:
Dieser vergoldete Rundtisch, dessen geschnitzter Fuß Dekorationen im Louis-Seize-Stil zwischen Spätrokoko und Frühklassizismus zeigt, schlummert schon seit Jahrzehnten weitgehend unbemerkt im Depot des Residenzmuseum. Da alle Hinweise auf eine Inventarisierung fehlen oder zu einem späteren Zeitpunkt entfernt wurden, ließ er sich lange Zeit nicht zuordnen. Das Möbelkonvolut, mit dem er eingelagert wurde, weist zwar eine ähnliche Formensprache auf, gehört aber zur ehemaligen Ausstattung der Münchner Hofkapelle. Doch für eine Kirchenausstattung dürfte der deutlich als Gesellschaftsmöbel gekennzeichnete Tisch ja wohl kaum gedient haben. Konnte es sich also vielleicht um ein Stück aus der ehemaligen Sakristei handeln – zumindest in einer Zweitverwendung? Um einen Überrest aus der Ausstattungskampagnen, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert in der Residenz stattfanden, schien es sich nicht zu handeln, in den Inventaren fehlt ein entsprechender Hinweis. Auch zeitlich passt nichts recht, denn so ganz will man dem kleinen Tisch das Etikett „Louis seize“ doch nicht verpassen – zu schwer sind die Volutenfüße, fast schon zu zahlreich die Schnörkel.
Wie so oft, hilft auch bei dieser Gelegenheit der Zufall weiter: Im ganz anderen Zusammenhang, beim Durchforsten des historischen Bildarchivs, stoßen wir zwar nicht auf den momentan gesuchten Bildbeleg – aber dafür ganz unerwartet auf unseren kleinen Unbekannten: Unschuldig und gefällig mit einem Kerzenleuchter dekoriert prangt er auf einer Fotografie aus dem frühen 20. Jahrhundert, die den Hauptraum der im Krieg zerstörten Hofgartenzimmer im Nordflügel der Residenz zeigt – und auf einmal ergibt alles einen Sinn:
Diese Zimmerflucht, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts als repräsentative Wohnung der ersten bayerischen Königin Karoline von Baden im tagesaktuellen Empirestil eingerichtet wurde, ließ ihr Ur(stief)enkel Ludwig II. 1867 neu ausstatten: Sie sollten als Gemächer für seine Braut Sophie dienen, die Schwester der berühmten Kaiserin Sisi. Die zukünftige Bewohnerin hatte bei der Einrichtung allerdings nicht allzu viel mitzureden, denn Ludwig sah die ideale Herrin dieser Räume im Geiste längst vor sich: In seiner Residenz sollte ein Erinnerungsort an die französische Königin Marie Antoinette entstehen, die legendenumwobene Gemahlin Ludwigs XVI., die seit ihrem Tod unter der Guillotine der Revolution im Jahre 1793 als Märtyrerin für die Monarchie von Gottes Gnaden verehrt wurde. Es war daher der Ausstattungsstil, den Marie Antoinette in ihren Schlössern Fontainebleau, Saint Cloud und Petit Trianon kultiviert und gefördert hatte, der nun auch in den Räumen der bayerischen Königin Einzug halten musste!
Für seine Einrichtungskampagne konnte Ludwig auf ererbtes Mobiliar zurückgreifen. Vieles musste aber auch im historisierenden Stil neu geschaffen werden – zum Beispiel eben unser kleiner Tisch, der Sophie und ihren Hofdamen für kleinere Gesprächs-und Handarbeitsrunden oder ähnlich erfreuliche Beschäftigungen hätte dienen können.
Bekanntlich kam es nicht soweit – Ludwig zögerte die letztlich ungewollte Heirat immer weiter heraus und ließ, wie eingangs erwähnt, die Verlobung schließlich spektakulär per Brief platzen. Angeblich schmiss er danach die Büste der Braut erleichtert aus dem Fenster – immerhin: physisch wurde dabei keiner verletzt. Was blieb war das bereits unter großen Unkosten angeschaffte Mobiliar der ungenutzten Königinnenwohnung, das im Gegensatz zu der wandfesten Ausstattung vor den Zerstörungen des Weltkriegs gerettet werden konnte. Lange Zeit als „Historismus-Kitsch“ verkannt, wartet es auf seine Neuentdeckung – wie zum Beispiel unser wiedergefundener Salontisch!
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