Schneidig – im wahrsten Sinne des Wortes – zieht er sein Schwert: Ritter St. Georg im glänzenden, gold-geschmelzten Prunkharnisch, die kristallene Klinge in der erhobenen Rechten, gibt sich seiner Berufung hin, dem Töten von Drachen! Und was für ein Drache! (eigentlich eine Drachenlady, um mit Blick auf die für die junge Schlangenbrut bereiten Zitzen am bleichen Monsterbauch genau zu sein): Grün glänzend wälzt sich das Ungetüm, schon ziemlich angeschlagen, unter den Hufen von Georgs strahlendweißen Schimmel – ein gerechtes Ende für das geflügelte und geschuppte Ungetüm – wenn es nur nicht so süß schauen würde!
Zudem misst es auch nur ca. 35 cm in der Länge, das nimmt Klauen und Zähnen etwas die Drohung. Denn Drache, Ross und Reiter, geschaffen aus emailiertem Gold und Silber, Achat und einem wahren Hagelschlag von Edelsteinen, bilden zusammen eine miniaturhafte Kostbarkeit von höchstem Rang, bei der letztlich vor allem die Kunstfertigkeit der Augsburger und Münchner Goldschmiede und Steinschneider, die das Werk zwischen 1586 und 1597 angefertigt haben, monstermäßige Dimensionen aufweist.
Schon seit bald vier Jahrhunderten bildet die St. Georg-Statuette, in älteren Inventaren liebevoll „der Ritter Jörge“ genannt, einen Höhepunkt in der auch sonst durchaus reichhaltigen Schatzsammlung der Wittelsbacher. Durch Verfügungen der Herrscher, namentlich Maximilians I. (reg. 1597-1651), wurde er unauflöslich unmittelbar an die Münchner Residenz gebunden: Ein Hausheiligtum also gewissermaßen, denn der goldene Ritter auf dem Edelsteinpferd ist, funktional betrachtet, in erster Linie ein – ebenso prunkvolles wie unpraktisches – Gefäß, genauer ein Reliquiar: in einem Fach im Sockel befinden sich verehrungswürdige Teile vom Leib des Heiligen selbst.
Georg, ein junger römischer Soldat aus Kappadokien (Anatolien), soll im dritten Jahrhundert unter der Regierung des Kaisers Diokletian als Christ das Martyrium erlitten haben. Vorher aber gelang es ihm, irgendwo im märchenhaften Orient eine Stadt von einem gefräßigen Drachen zu befreien, der erst die Schafe der Bewohner verschlungen und danach den Menüplan auf die Töchter des Landes ausgedehnt hatte. Just als die städtische Prinzessin zwischen seinen Kiefern landen sollte, ging der Heilige dazwischen, bezwang mit Gottvertrauen und einem geschickten Lanzenstich die grauslige Schlange, verzichtete aber – psychologisch geschickt und nur ein klitzekleines bisschen erpresserisch – vorderhand darauf, den argen Wurm zu töten und erledigte dies erst, nachdem die Prinzessin, die Bürger und vermutlich auch die überlebenden Schafe zum wahren Glauben übergetreten waren.
Stoff für Legenden fürwahr! Während der Kreuzzüge kamen die abendländischen Ritter mit dem nahöstlichen Heiligen in Kontakt, setzten flink den Drachen mit den zu bekämpfenden Ungläubigen gleich und erhoben Georg zum Schutzheiligen des Rittertums schlechthin, einen Job, den er seitdem von den britischen Inseln im Westen bis in die östlichen Weiten Russlands ausfüllte.
Auch in Bayern war die Verehrung groß: Als sprechendes Zeichen soll der fromme Landesadel das rote Kreuz auf Schild und Rüstung getragen haben. 1496 gründete Herzog Albrecht IV. (1447-1508) die Erzbruderschaft des Hl. Georg, die allen Ständen zugänglich war und ihre Zeremonien bis ins 18. Jh. in der Georgskapelle der Neuveste, dem Vorgängerbau der heutigen Residenz, abhielt.
Entsprechend groß war daher die Begeisterung, als 1586 der Erzbischof Ernst von Köln seinem Bruder, dem als besonders fromm gepriesenen Bayernherzog Wilhelm V. (reg. 1579-1597), die besagte Reliquie verehrte. Ein angemessenes Geschenk, schließlich hatte Wilhelm, ein starker Unterstützer der Gegenreformation, im sogenannte Kölner Krieg mit Waffengewalt die Amtseinsetzung von Ernst durchgesetzt und gleichzeitig verhindert, dass das reiche rheinische Erzbistum protestantisch wurde. Aus der Perspektive des Wittelsbacher Brüderpaars hatte der Drache, gegen den der fromme Reiter stritt, sich also seit den Kreuzzügen gehäutet und hieß jetzt Glaubensspaltung, gegen die es den Schutz der Heiligen anzuflehen und die es zu bekämpfen galt.
Vor diesem zeitpolitischen Hintergrund erklärt sich die unglaubliche Opulenz des kostbaren Reliquienbehälters, den Wilhelm für die prestigereiche Neuerwerbung anfertigen ließ: Das aus Achat geschnitzte Pferd mit Opalaugen und einer mit Rubinen besetzten Schabracke, die Figuren, deren Goldkörper dem Zeitgeschmack folgend nahezu komplett mit farbigem Email überdeckt sind –höchster Luxus quasi im Verborgenen! Der mit feinsten Mustern verzierte Harnisch orientiert sich an der Rüstung, die der berühmte Augsburger Waffenschmied Anton Pfeffenhauser 1579/80 für den Hof angefertigt hatte: In ihr ritt während der feierlichen Münchner Fronleichnamsumzüge, bei denen in Art lebender Bilder biblische Geschichten und Heiligenlegenden aufgeführt wurden, der Darsteller des St. Georg hinter dem Allerheiligsten her!
Die höchstmögliche Annäherung von Macht und Glauben geschieht allerdings fast insgeheim: Denn hebt man das Miniaturvisier von Georgs Helm, blickt man: in das aus Buchsbaum geschnitzte Porträt von Wilhelm V. selbst!
Der erste Standort des goldenen Reiters war die bereits genannte Georgskapelle der Neuveste. Um 1607 überführte Wilhelms Sohn Maximilian I., der dem Heiligen auch ein neues, noch üppiger verziertes Podest spendierte, den kostbaren Schatz in die von ihm luxuriös ausgestattete „Reiche Kapelle“ der heutigen Residenz. Von dort gelangte er 1617 schließlich in die Schatzkammer – wo er bis heute seinen glitzernden Kampf gegen das Böse führt, oder was mancher dafür hält…