In diesem Jahr wäre die deutsche Widerstandskämpferin Sophie Scholl 100 Jahre alt geworden. 60 Jahre nach ihrer Hinrichtung durch die NS-Diktatur wurde sie mit einer Büste in der Walhalla geehrt. In diese Ehrung sind alle, die gegen das NS-Regime aufbegehrten, eingeschlossen. Im folgenden Beitrag erfahrt ihr mehr zu dieser einzigartigen Form der Ehrung.
Am 9.5.1921 wurde Sophie Scholl als viertes Kind von Magdalena und Robert Scholl in Forchtenberg geboren. Das Elternhaus war liberal und christlich geprägt und erlaubte eine heitere und unbeschwerte Kindheit. Später zog die Familie nach Ludwigsburg und schließlich nach Ulm, wo der Vater eine Kanzlei als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer betrieb. 1934 trat Sophie Scholl der Hitlerjugend bei (Bund Deutscher Mädel). Der anfänglichen Begeisterung für die Ideologie des Nationalsozialismus folgte jedoch eine Phase der Ernüchterung als die Familie staatliche Repressionen erfuhr.
Nach dem Abitur, einer Ausbildung als Kindergärtnerin und dem Reichsarbeitsdienst begann Sophie Scholl ein Studium an der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Mai 1942). Noch im selben Jahr schloss sie sich der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ an, die ihr Bruder Hans Scholl zusammen mit anderen Studenten gegründet hatte. In Flugblättern riefen sie zur Überwindung der Schreckensherrschaft unter den Nationalsozialisten auf, verurteilten die Ermordung von Juden, forderten die Einhaltung der Menschenwürde gegenüber jedermann, forderten Meinungsfreiheit und die Freiheit der Presse und des Glaubens. Bei der Verteilung des 6. Flugblattes im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität wurden Sophie Scholl und ihr Bruder festgenommen. Die Gruppe der „Weißen Rose“ flog auf. Am 22. Februar 1943 wurden die Geschwister Scholl und Christoph Probst zum Tode verurteilt und am selben Tag hingerichtet. Das gleiche Schicksal ereilte Prof. Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell nach einem zweiten Prozess.
60 Jahre später wurde Sophie Scholl mit der Aufstellung einer Büste in der Walhalla geehrt. In diese Ehrung sind alle, die gegen das NS-Regime aufbegehrten, eingeschlossen. Auf einer Gedenktafel unterhalb der Büste heißt es: „Im Gedenken an alle, die gegen Unrecht, Gewalt und Terror des ‚Dritten Reichs‘ mutig Widerstand leisteten.“ In der Walhalla ist diese Form der Ehrung einzigartig. Umso mehr wollen wir den Beweggründen nachspüren, die zu dieser Lösung geführt haben.
Seit ihrer Eröffnung (1842) werden alle Heroen, die in die Walhalla aufgenommenen sind, mit einer Büste oder einer Gedenktafel geehrt. König Ludwig I. von Bayern hatte als Bauherr und Initiator des Denkmals verfügt, dass den Büsten jeweils ein authentisches Bildnis zugrunde liegen solle. Demgegenüber sollten alle ‚Walhalla-Genossen‘, von denen kein verbürgtes Bildnis überliefert war, mit einer Marmortafel ausgezeichnet werden. Um trotzdem Einzigartigkeit herzustellen, sind auf den Tafeln jeweils der Name, das Werk und die Todesdaten des Geehrten notiert. Der Zyklus beginnt mit „HERMANN DER ROEMER BESIEGER + XXI“ und endet zeitlich mit „P.[ETER] HENLEIN ERFINDER DER TASCHENUHREN + MDXLII“. Diejenigen, die namentlich unbekannt sind, werden als Autoren ihrer Werke genannt. Das gilt für den Dichter des Nibelungenliedes ebenso wie für den Baumeister des Kölner Domes oder für die drei Männer des Rütli-Schwures.
Ganz anders verhält es sich bei den Heerführern der Befreiungskriege, deren Konterfeis im 19. Jahrhundert durch Bildwerke, Gemälde oder durch Graphiken weithin bekannt waren. Von ihnen sind einige in der Walhalla präsent.
Schon unter König Ludwig I. war es möglich, dass mehrere Personen eines Handlungszusammenhangs mit einer Büste gewürdigt wurden. Bei denen, die gegen das NS-Regime Widerstand leisteten, wurde die Anzahl dagegen auf eine Büste beschränkt. Wie können wir diesen Umstand erklären? Ist er der Vielzahl der in Betracht kommenden Personen geschuldet oder greift hier ein anderes Argument?
Zunächst soll der Blick auf die monumentale Sitzstatue König Ludwigs I. an der Stirnseite des Innenraums fallen. Sie wurde von der bayerischen Staatsregierung in Auftrag gegeben und 1890 an ihrem heutigen Platz aufgestellt.
Schon ihr Standort und ihr Format machen deutlich, dass es sich hier um etwas Besonderes handelt, das vom inhaltlichen Konzept der Walhalla abweicht. So werden in der nordischen Mythologie die Leistungen der ‚Walhalla-Genossen‘ nicht gegeneinander aufgewogen. Sie sind gleichwertig und diese Gleichwertigkeit drückt sich in der Walhalla im Format, im Material und in der gleichförmigen Gestaltung der Tafeln und Büsten aus. Auch die Reihung der einzelnen Tafeln und Büsten unterliegt diesem Konzept. Nur die Sitzfigur König Ludwigs I. sticht aus diesem Kanon hervor. Im Format, im Wechsel des Mediums und in der Wahl des Standortes tritt der Widerspruch deutlich vor Augen. Allerdings können die Inschriften am Sockel den Medienwechsel von der Büste zur Statue plausibel machen. Auf der Vorderseite heißt es vierzeilig:
„LUDWIG I.
KOENIG VON BAYERN
DAS
DANKBARE VOLK.“
Und auf der Rückseite:
„ZUM
HUNDERTSTEN
GEBURTSFESTE
MDCCCLXXXVI“
Die Inschriften bringen die Doppelfunktion der Sitzfigur anschaulich auf den Punkt: Einerseits ist der König als ‚Genosse‘ in die Walhalla aufgenommen, und andererseits soll die Statue an den 100. Geburtstag des Königs erinnern. Damit ist sie ein Denkmal im Denkmal Walhalla, und der Hinweis „DAS DANKBARE VOLK“ weist auf die enge Beziehung zwischen dem Herrscherhaus und seinen Untertanen hin.
Wie steht es nun um die Büste Sophie Scholls?
Dem Bildhauer Wolfgang Eckert war das Format in Anlehnung an die übrigen Büsten vorgegeben, aber die mittige Aufstellung auf einem eigenen Sims und die Schrifttafel darunter machen die Büste zu etwas Besonderem.
Das Bildnis verkörpert eine junge Frau mit geradem Blick und aufrechter Kopfhaltung. Als wertvollste Inspirationsquelle diente Eckert eine Porträtaufnahme, die in der Nachkriegszeit weltweite Bekanntheit erfuhr und inzwischen den Status eines Symbols für den Widerstand gegen das NS-Regime erlangt hat. Der Symbolcharakter des Fotos wird auf die Büste übertragen, und die Gedenktafel sorgt für die Eindeutigkeit in der Aussage:
„Im Gedenken an alle, die gegen Unrecht, Gewalt und Terror des ‚Dritten Reichs‘ mutig Widerstand leisteten.“
Sie schließt auch diejenigen in das Gedenken mit ein, die heute noch namentlich unbekannt sind. Mit diesem Hinweis wird die Büste zum Erinnerungsmal.
Wie fügt sich das Denkmal in das inhaltliche Konzept der Walhalla ein?
Bestärkt es die übergeordnete Idee seines Gründers, König Ludwig I., oder kommt es zu einer inhaltlichen Wendung? Ludwig I. hatte sich von der Walhalla vor allem eine Stärkung des nationalen Patriotismus erhofft, wobei er den Nationenbegriff an den deutschen Sprachraum band. Die ‚Walhalla-Genossen‘ sollten den Deutschen als Vorbilder dienen und dem Besucher die Bedeutung der eigenen Nation als Kulturnation ins Bewusstsein rufen.
Dagegen erinnert die Büste Sophie Scholls an den NS-Terror und an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Namen Deutschlands begangen worden sind. Dabei geht es um das Eingeständnis von Scham und Schuld und um das Versprechen zur moralisch begründeten Neuorientierung. In diesem Sinne genießen alle, die Widerstand gegen das NS-Regime leisteten, eine Vorbildfunktion. Anlässlich des 100-jährigen Geburtstages von Sophie Scholl äußerte Ilse Aigner, die Präsidentin des bayerischen Landtags:
„Wir müssen die Achtung der Menschenwürde und das Recht auf Widerstand als Auftrag begreifen, immer dann entschieden Stellung zu beziehen, wenn sich radikales, menschenverachtendes Gedankengut breitmacht, wenn sich der Geist der Gewalt, der Überheblichkeit und des Extremen zeigt, wenn Unbelehrbare ihre Thesen verbreiten, wenn Ignoranz zur Verharmlosung führt.“