Von Alexander Wiesneth mit Christoph Straßer //
Im Herbst 2021 verschwinden die Gerüste am Wittelsbacherturm auf der Burg Trausnitz, der sich nach drei Jahren Restaurierungs- und Bauzeit in neuem historischen Gewand den Besuchern präsentiert.
Auslöser der Baumaßnahme waren lose Dachziegel, die vom steilen Turmdach im Sommer 2018 herunterfielen. Sofort hat die Bayerische Schlösserverwaltung zusammen mit dem Staatlichen Bauamt Landshut Sicherungsmaßnahmen ergriffen und ein Notgerüst aufgestellt. Es stellte sich heraus, dass Schäden und Verformungen an der dem Wind stark exponierten mittelalterlichen Turmhelmkonstruktion die Ursache waren. Neben einem verformungsgerechten Außmaß war eine gründliche bauforscherische Voruntersuchung eine wichtige Grundlage für die Maßnahmendiskussion. Die steile mittelalterliche Dachkonstruktion des Wittelsbacherturms konnte anhand einer Holzaltersbestimmung auf das Jahr 1482, also in die frühe Regierungszeit Herzog Georg des Reichen von Bayern-Landshut, datiert werden. Die massive Ausbildung des Turmhelms mit zweifachen liegenden Stühlen, einer dichten Folge von Gespärren und doppelten sich verschneidenden Andreaskreuzen als Windverband, ist sicherlich auch der Wehrfunktion dieses Baus geschuldet.
Historische Reparaturen im 19. und 20. Jahrhundert bezeugen eine längere Schadensgeschichte, die sich nach genauerer Betrachtung des überkommenen Zustandes als noch umfangreicher als zunächst angenommen herausstellte: Überlastungen von Bauteilen, Holzfäule und schadhafte Balken ließen die ersten Schätzkosten für die Sanierung auf ca. 1 Million Euro ansteigen. Der gesamte Dachstuhl war durch zimmermannsmäßige Reparaturen umfangreich instandzusetzen. Auch die lose Eindeckung mit Mönch-Nonne-Ziegeln sollte erneuert und durch ein speziell gesichertes System nach historischem Vorbild, im Erscheinungsbild von Mönch- und Nonne-Ziegel (Manufakturziegel Ludowici Z6), ersetzt werden.
Vom Notgerüst zur Sanierung der schadhaften Turmdachkonstruktion aus konnte nun auch der Zustand der Fassade und der historischen Fenster begutachtet werden, die sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als sehr schadhaft herausstellten. Großflächige Verwitterungen am mittelalterlichen Backsteinmauerwerk und Feuchteschäden an den Holzrahmen sowie Bleiverglasungen zwangen zum Handeln. Anfang 2020 erteilte deshalb die Bayerische Schlösserverwaltung den Bauauftrag über nun 1,4 Millionen Euro zur Sanierung von Dach und Fassade des Wittelsbacherturms. Von der schwierigen Gerüststellung am abschüssigen Gelände bis zu den anspruchsvollen zimmermannsmäßigen Sanierungen im historischen Dachbestand verlief alles – Dank den im Denkmalbestand erfahrenen Firmen – nach Plan.
Die Voruntersuchungen an der Fassade durch die Bauforschung und Restaurierung erbrachten neben der Schadenskartierung aber auch neue Erkenntnisse zur mittelalterlichen Erscheinung des Wittelsbacherturms. Unter dem neuzeitlichen Zementmörtel fanden sich weiße Kalkschlämmen, die schon seit dem 15. Jahrhundert als Schutzschicht für die Backsteinfassade dienten. Über die Jahrhunderte war diese abgewittert und bei der letzten Sanierung in den 1960er Jahren großflächig abgenommen worden. Die mittelalterlichen Weißfassungen waren an fast allen Außenbauteilen der Burg Trausnitz vorhanden gewesen; Reste lassen sich bis heute an verschiedenen Bereichen (z.B. an den Zwingermauern) nachweisen. Dieser Umstand war der Bayerischen Schlösserverwaltung grundsätzlich schon länger bekannt, weshalb man sich am Wittelsbacherturm in Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege für eine nun neue, aber am historischen Erscheinungsbild orientierte, weißlich-helle Schlämme entschied. Mit Hilfe mehrerer Musterflächen wurde in technischer und ästhetischer Hinsicht eine geeignete Schlämme ausgewählt.
Im Frühjahr 2021 begann die Fassadensanierung mit der Abnahme der grauen Zementschlämme aus den 1960er Jahren. Nach gründlicher Reinigung konnte die neue Schlämme aufgebracht werden, gleichzeitig wurden der nordwestliche Zinnenkranz und die Fenster nebst schmiedeeiserner Gitter instandgesetzt.
Bei der Durchsicht historischer Abbildungen aus dem 19. Jahrhundert fällt am Wittelsbacherturm im oberen Bereich unterhalb des Turmdaches ein flaches waagrechtes Band auf, das mit einem Rautenmuster verziert ist.
Am heutigen Bestand fanden sich auch bei näheren Untersuchungen hiervon leider keine Spuren von farbigen Fassungen, aber zwei hervorstehende horizontale Backsteinbänder aus der Bauzeit können sehr gut als Rahmung dieser ehemaligen Verzierung interpretiert werden. Als Gestaltungsmuster der Wittelsbacher Herrschaft lassen sich die Rauten in Landshut sowohl an Bauteilen der Stadtresidenz (Kamine) als auch an Ausstattungsgegenständen der Burg Trausnitz (Schöpfeimer Brunnenhaus) nachweisen. Vergleichbare Rautenbänder sind auch in München am Alten Hof und am Ingolstädter Schloss bekannt, wobei die Farbe und Form der Rauten erheblich variierte und sie nicht den heutigen weiß-blauen Rauten Bayerns entsprechen.
Weiß-blaue Rauten als Herrschaftszeichen übernahmen die Wittelsbacher zu Beginn des 13. Jahrhunderts von den Grafen von Bogen in Niederbayern. Im 14. Jahrhundert etablierten sie dieses Symbol für ihre eigenen Flaggen und als markantes Zeichen an ihren Herrschaftsgebäuden. Erst im 19. Jahrhundert, um genauer zu sein unter König Ludwig II. am 11. September 1878, konstituierte sich die Farbe Weiß-blau in Form von zwei horizontalen Streifen für die Bayerische Landesflagge. Noch später, am 14. Dezember 1953, kam offiziell die Rautenflagge hinzu.
Das dreibahnige Rautenband am Wittelsbacherturm erscheint als eine frühe Verwendung dieses Herrschaftssymbols, das von Herzog Georg dem Reichen sicherlich ganz bewusst an repräsentativer und vor allem weithin sichtbarer Stelle angebracht wurde. Als selbstbewusstes Zeichen des Herzogtums Bayern-Landshut zeigt es die familiäre Verbundenheit, aber auch Eigenständigkeit, zum damals konkurrierenden Herzogtum Bayern-München. Beide Herzogtümer wurden 1505 nach dem Landshuter Erbfolgekrieg wiedervereinigt. Ausgelöst durch eine Notsanierung der mittelalterlichen Dachkonstruktion des Wittelsbacherturms konnte so nicht nur bedeutende Denkmalsubstanz der Burg Trausnitz erhalten werden, sondern durch eine Rekonstruktion des weiß-blauen Rautenbandes gleichzeitig ein lange verlorenes und sicherlich über die Jahrhunderte prägendes Herrschaftszeichen aus der letzten Phase des Herzogtum Bayern-Landshut wiedergewonnen werden.
Alle Infos zu einem Besuch der Burg Trausnitz findet ihr auf unserer Webseite.