Gerade in dieser ungewöhnlichen Zeit träumen wir gerne von exotischen Paradiesen oder begeben uns beizeiten auf imaginäre Reisen in weit entfernte Länder und zu längst vergangenen Orten. Diese Sehnsucht nach dem Fernen und Unbekannten kann wohl nahezu jeder nachempfinden. So ist es im Grunde nicht weiter verwunderlich, dass auch Ludwig II. gerne von solchen Sehnsuchtsorten träumte – mit dem kleinen Unterschied, dass ihm die reine Vorstellung nicht genügte. Vielmehr wollte er diese Orte wahr werden lassen, wofür er zielstrebig konkrete Pläne entwickelte. Damit erschuf er Bauten, die heute nicht nur als Markenzeichen des „Kini“ gelten und jährlich tausende Besucher faszinieren, sondern auch von weitreichendem kulturhistorischen und künstlerischen Wert zeugen. Woher seine kreativen Ideen für die Umsetzung stammen und in welcher Form er seine orientalischen Traumwelten in Linderhof letztlich verwirklicht hat, erfahrt ihr im folgenden Beitrag.
Die Weltausstellung als Inspirationsquelle
Mit seiner Faszination für das Exotische war der König bei Weitem nicht alleine. Sich in vergangene Zeiten und Orte zu versetzen war damals auf zahlreichen prunkvollen Festivitäten und Maskenbällen sehr beliebt. Sogenannte „Reisezitate“, die auf neuen illusionistischen Licht- und Bildtechniken basierten, trafen den Zahn der Zeit und galten als beliebtes Stilmittel der adeligen Bauherren. Der wissbegierige König holte sich seine Inspiration jedoch schon früh durch Literatur- und Bildmaterial. Insbesondere die Themenfelder der „Imaginären Reisen“ und „Künstlichen Paradiese“, wie sie auf Weltausstellungen im 19. Jahrhundert weit verbreitet waren, begeisterten ihn.
Mit dem auf der Pariser Weltausstellung 1867 eingeführten Ausstellungskonzept der Länderpavillons wurde es zum gängigen Stilmittel, landestypische Kultur spektakulär zu inszenieren. Auch König Ludwig II. zeigte sich bei seinem Besuch in Paris 1867 schwer beeindruckt von diesen „real life“-Simulationen. Aus ihnen entsprang die zeitgenössische Intention, die Realität durch die Kunst des Illusionismus zu bereichern und vielleicht sogar zu verbessern. Die Absicht zur Erschaffung solcher perfekten „Reiseillusionen“ lässt sich in vielen seiner Bauten und auch geplanten Projekte erkennen, die wohl vornehmlich als bauliche Realisierung seiner Vorstellungskraft dienten. Seine obsessive Lesebegeisterung verhalf ihm dabei wesentlich zur „Verbildlichung“ dieser ambitionierten Visionen, die er letztlich im Rahmen eines aufwändigen Schaffensprozesses umsetzte. Immer mit dem Ziel, eine perfekt inszenierte Erlebniswelt für sich selbst zu erschaffen.
Vom fiktiven Sehnsuchtsort zum realen Bauprojekt
Die konkrete Umsetzung der Reisethemen realisierte Ludwig zum großen Teil an seinem Lieblingsort, dem Graswangtal mit dem Schloss und Park Linderhof. Dort beabsichtigte er, ähnlich wie es auf den Weltausstellungen der Fall war, vergangene Epochen und ferne Welten erlebbar zu machen. So kaufte er auf den Weltausstellungen zwei Pavillons für den Park in Linderhof – den Maurischen Kiosk und das Marokkanische Haus – und ließ diese nach seinen Ideen umbauen, wodurch sie noch „fantastischer“ wirken sollten. Der Maurische Kiosk wurde mit einem prächtigen Pfauenthron und einem kostbaren Marmorbrunnen ausgestattet. Die beiden Pavillons, als eine der wenigen überhaupt erhaltenen Weltausstellungsbauten dieser Zeit, ermöglichten es ihm, die orientalische Welt durch inszenierte Bilder und Spezialeffekte (Farbbeleuchtung, Gerüche, Wasser, Rauch) zu simulieren und in diese einzutauchen.
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Einen weiteren orientalischen Bau, der thematisch zu Linderhof zählt und der zugleich wohl auch den ungewöhnlichsten darstellt, verwirklichte der König noch: das Königshaus am Schachen. Das kleine Häuschen wirkt äußerlich wie eine klassische Berghütte, beim Betreten begibt man sich jedoch in eine morgenländische Wunderwelt. Die Idee hinter dieser „Reiseillusion“ ist jedoch denkbar simpel und offenbart sich in ihrem Aufbau: Während die Hütte auf den ersten Blick typisch „alpenländisch“ anmutet und auch im Erdgeschoss eher schlicht und rustikal erscheint, führt der Weg nach oben in eine exotische Traumwelt. Der unscheinbare Eingang zum „Türkischen Zimmer“ liegt versteckt und bewusst unauffällig oberhalb einer engen Wendeltreppe, um den Übergang von der Alltagswelt zur Traumwelt deutlicher hervorzuheben.
Oben angekommen, fühlt man sich dank leuchtender Farben und bunter Lichter in den Orient transportiert. Berauschende Düfte, qualmende Räucherständer, ornamentierte Teppiche und bunte Pfauenfedern entführten den bayerischen König ins Morgenland. Auch seine Dienerschaft ließ er in türkische Tracht kleiden.
„Die Reise in den Orient“ setzt sich beim Austritt vom Türkischen Zimmer auf den umliegenden Balkon fort, wo sich der Besucher beim Anblick des spektakulären Bergpanoramas unausweichlich an den Himalaya oder Hindukusch versetzt fühlt. Hier reicht die Reiseillusion sogar über den geschlossenen Raum hinaus und überträgt sich auf die umliegende Landschaft. Passend dazu feierte Ludwig II. jedes Jahr seinen Geburtstag im Königshaus am Schachen, in seiner Vorstellung weit entfernt von jeglichen politischen Verpflichtungen, seinem Volk und von der Realität in Bayern.
Literatur
Alexander Wiesneth: „Reisen“ in vergangene Zeiten und zu fernen Orten – Die Königsschlösser Ludwigs II. auf dem Weg zum UNESCO-Welterbe, S. 35-75. In: Bernhard Lübbers/ Marcus Spangenberg (Hg.), Traumschlösser? Die Bauten Ludwigs II. als Tourismus- und Werbeobjekte (Kataloge und Schriften der Staatlichen Bibliothek Regensburg Bd. 12) Regensburg: Dr. Peter Morsbach Verlag 2015.
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