Ludwigs Mutter Marie, geborene Hohenzollern, vermerkte in ihrer Familienchronik:
„… Ludwig kostümierte sich gern …, zeigte Freude am Theaterspielen, liebte Bilder und dergleichen … und schenkte … gern anderen von seinem Eigentum, Geld und Sachen.“
All das blieb so. Auch die starke Phantasie, der Hang zur Vereinzelung und das ausgeprägte Hoheitsgefühl sind bei Ludwig von Kindheit an bezeugt.
Mit nur 18 Jahren wurde 1864 Ludwig II. nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Maximilian II. der damals jüngste regierende Fürst Europas. Schon als Kronprinz war Ludwig von den Werken Richard Wagners begeistert. Sobald er König war, berief er ihn. In den folgenden Jahren war München durch die Uraufführungen von „Tristan und Isolde“ (1865), „Die Meistersinger von Nürnberg“ (1868), „Das Rheingold“ (1869) und „Die Walküre“ (1870), zu denen Literaten und Komponisten aus allen Metropolen anreisten, vorübergehend Europas Musikhauptstadt. Ludwig II. hat die mäzenatische Tradition des Hauses Wittelsbach glanzvoll weitergeführt.
Ludwig II., erzogen zu einem König von Gottes Gnaden und von dieser Idee stark durchdrungen, war ein konstitutioneller Monarch, ein Bürgerkönig mit Rechten und Pflichten ähnlich einem heutigen Staatspräsidenten. Nach dem 1866 gegen das expandierende Preußen verlorenen „Deutschen Bruderkrieg“ musste Ludwig II. einen Teil seiner Souveränität abtreten. Dieser Machtverlust war die Hauptursache für die Gegenwelt, die er sich seit 1867 weitab seiner Residenzstadt München in den Bergen aufbaute. Seine Bauten sollten ermöglichen, als konstitutioneller König von Bayern wie ein mittelalterlicher König – in Neuschwanstein – oder wie ein absolutistischer König – in Herrenchiemsee und Linderhof – leben zu können. Trotz dieser historischen und auch räumlichen Ferne verstand Ludwig II. sich stets als regierender König des zeitgenössischen Bayern und bezog sich auf seine, die wittelsbachische, Dynastie. So finden sich in seinen Bauten einige Bezüge zur gebauten Vergangenheit des eigenen Hauses, selbst in der ganz dem Ancien Régime und speziell Ludwig XIV. geweihten Paraphrase von Schloss Versailles: das Neue Schloss Herrenchiemsee.
Das Spiegelkabinett des dortigen „Kleinen Appartements“, der „Blaue Salon“, ist formal dem von Francois Cuvilliés entworfenen Spiegelkabinett der „Reichen Zimmer“ Kurfürst Karl Albrechts in der Münchener Residenz eng angelehnt; in Versailles gab es keinen vergleichbaren Raum. Spiegelkabinette waren im 18. Jahrhundert ein Schwerpunkt süddeutscher Raumgestaltung.
Auch in Schloss Linderhof weist das für Ludwig II. geschaffene Interieur in seiner Fülle und Dichte auf das süddeutsche Rokoko, das unter seinem Ahnen Kurfürst Karl Albrecht zu höchster Blüte gekommen war, nicht auf das französische. Diese Orientierung bewirkte die unvergleichliche originäre Qualität des für Ludwig II. geschaffenen Neurokoko, das im Übrigen von großer Bedeutung für die Entwicklung des Münchener Jugendstils war.
In der Nähe von Linderhof wurde ab 1885 mit dem Bau eines Parkschlösschens, des „Hubertuspavillon“, begonnen, in der Baugestalt eine Paraphrase der Amalienburg im Nymphenburger Schlosspark, die Ludwig II. seit Kindertagen gekannt hatte, auch dies ein Bau Karl Albrechts, nachmals Kaiser Karl VII. Offensichtlich suchte Ludwig II. in den letzten Lebensjahren immer stärker den symbolischen Kontakt zur Macht und Legitimation seiner eigenen Ahnen. Schon 1867 hatte er die barocke Prunkkarosse, mit der Kurfürst Karl Albrecht einst zu seiner Kaiserkrönung gefahren war, als seine eigene Hochzeitskutsche renovieren lassen. Die Klimax dieser dynastischen Bezüge liegt aber im anderen historischen Bereich Ludwigs II: es ist der Thronsaal von Schloss Neuschwanstein.
Diesen Denkmalraum des christlichen Königtums ließ der Bauherr, der sich zunehmend mit der Gralssage identifizierte, nach Schilderungen der sagenhaften Gralshalle in Albrecht von Scharfenbergs „Titurel“ aus der Zeit um 1260 entwerfen. Das ikonographische Raumprogramm, eines der vielschichtigsten des 19. Jahrhunderts, entwarf der geistesgeschichtlich belesene Ludwig selbst; es bezieht auch die Rechtsgrundlagen des Königtums, antikes und biblisches Recht, mit ein. Im Verlauf der Planungen ordnete Ludwig II. an, dass der Raum nach dem Vorbild der Allerheiligenhofkirche der Münchener Residenz zu gestalten sei.
Diese Kirche hatte sein Großvater, König Ludwig I., ab 1826 errichten lassen; von dort stammt vor allem die Gestalt der Seitenwände mit den überkuppelten Säulenarkaden. Ein weiterer Bezug zu seinem Großvater, mit dem er sich sehr gut verstanden hatte, ist die Thronapsis, deren malerische Komposition direkt von der Apsis der Klosterkirche St. Bonifaz übernommen wurde, bis 1850 von Ludwig I. als seine Grabkirche errichtet.
Hier in Neuschwanstein ist aber das Thema der Apsisgemälde anders: sechs heiliggesprochene Könige, darunter der heilige Ludwig IX. von Frankreich, Stammvater der Bourbonen und Namenspatron beider bayerischen Könige Ludwig, die ja auch beide am Tag des Heiligen, dem 25. August, geboren worden waren. So bildet dieser einzigartige Raum ein dichtes Beziehungsgeflecht aus ferner Geschichte, Religion und Ludwigs II. eigener Dynastie. Er selbst stand allein am Ende.
Ludwig II. wollte mit allen Kräften Wunsch und Wirklichkeit vereinen, und das ging auch über seine finanziellen Kräfte. Seit 1885 gab es Pfändungsdrohungen ausländischer Banken, bei denen er verschuldet war. Ludwigs völlige Weigerung, darauf vernünftig zu reagieren, war der Auslöser, ihn für unmündig zu erklären und abzusetzen, ein Vorgehen, das die Bayerische Verfassung nicht vorsah. Die Betreiber bewegten sich im rechtsfreien Raum und wussten das. Ludwig II. wurde in Schloss Berg interniert und kam nur einen Tag später, am 13. Juni 1886, zusammen mit dem Psychiater, der das Unmündigkeitsattest verfasst hatte, unter ungeklärten Umständen im Starnberger See ums Leben.
König Ludwig II. von Bayern wurde in die Epoche des Stilpluralismus hineingeboren, in die praktizierte Idee, bestimmten Bauaufgaben jeweils einen bestimmen historischen Baustil zuzuweisen. Diese Idee nahm Erkenntnisse verschiedener historischer Wissenschaften in sich auf, wurde zum Historismus und war in Blüte, als Ludwig II. mit dem Aufbau seiner Gegenwelt begann. Er hat also durchaus im Geiste seiner Zeit gehandelt, in der Idee, historische Stile mit Hilfe moderner Errungenschaften zu vollenden, und in der Idee des Denkmals. Beide sind fixe Ideen des 19. Jahrhunderts. Schloss Neuschwanstein als Denkmal der Kultur und des Königtums des Mittelalters, Schloss Herrenchiemsee und Schloss Linderhof als Denkmäler des absolutistischen Königtums fokussieren die geistigen und kulturellen Bestrebungen ihrer Zeit, weil sie durch die Intensität und Unbedingtheit ihres Bauherrn unvergleichliche konzeptionelle und kunsthandwerkliche Qualität aufweisen. Ludwig II. hat die Standorte seiner Bauten mit unfehlbarem Blick gewählt. Jedes Schloss ist mit seiner umgebenden Landschaft untrennbar verbunden, beide steigern sich zu einem Gesamtbild. Schloss Neuschwanstein wurde sogar, um es dem umgebenden Gebirge besser einzufügen, mit dem Gestein dieser Berge verkleidet. In Herrenchiemsee und Linderhof sind es die Parkanlagen, die einen fließenden Übergang zur umgebenden Naturlandschaft herstellen und sie damit einbeziehen.
Mit diesem ganzheitlichen Konzept hat der Bauherr die Traditionen des englischen Landschaftsgartens weitergeführt und auf einzigartige Weise monumentalisiert. Jede Bebauung dieser landschaftlichen Umgriffe würde daher die Ganzheit zerstören. Ein Hauptziel der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts war die Erschaffung des Gesamtkunstwerks. König Ludwig II. von Bayern hat mit seinen Schlössern die epochale, idealistische Idee des Gesamtkunstwerks zu ihrer architektonischen Vollendung geführt. Seine Bauten sind die weltweit bekanntesten baulichen Zeugnisse der europäischen Kultur und haben daher globale kulturelle Integrationswirkung. Der Bauherr wirkte bis in kleinste Details von Entwürfen daran mit, nicht nur bestimmend, sondern auch ergänzend und gestaltend.
Ludwig II. war an seinen Bauten wesentlich schöpferisch beteiligt. Sie bildeten den Hauptinhalt seines Lebens und sind sein Lebenswerk.
Der „Mythos Ludwig II.“ begann schon zu seinen Lebzeiten. Der französische Dichter Paul Verlaine nannte ihn den „einzigen wirklichen König dieses Jahrhunderts“. Seine Schlösser, die nie ein Fremder betreten sollte, wurden am 1. August 1886 zur Besichtigung freigegeben und seither von mehr als 60 Mio. Menschen besucht. Der Mensch der Industriegesellschaft hat die Sehnsucht nach einer Gegenwelt, aber nicht die Möglichkeit, dauerhaft in ihr zu leben. Ludwig II. hat das versucht und ist daran zerbrochen. Das war seine Tragik und deswegen ist er ein Idol.