Kaum vor der Öffentlichkeit zu verstecken, entstand ab 1867 auf dem Nordwestflügel der Residenz München in mehreren Schritten der sagenumwobene Wintergarten König Ludwigs II. Die Neugier der bayerischen und internationalen Presse, was denn da vor ihren Augen in mehreren Jahren Bauzeit entstand, steigerte sich aufgrund der von höchster Stelle angeordneten Geheimhaltung und Besichtigungsverbote schon sehr bald ins Unerträgliche. So war es nur eine Frage der Zeit, bis findige Investigativ-Journalisten Mittel und Wege fanden, diese zu befrieden…
Anfang September 1867, als die Münchner Bürger noch in Erwartung der lange schon angekündigten und immer wieder verschobenen Hochzeit ihres geliebten Monarchen Ludwigs II. mit Prinzessin Sophie waren, berichtete aus heiterem Himmel die Augsburger Postzeitung: „Auf dem Dache der Residenz gegen den Hofgarten wird eben eine in Eisen gefertigte Veranda aufgebaut, welche mit den Gemächern des Königs in unmittelbarer Verbindung steht.“ (07.09.1867) Vielleicht ein „Romeo & Julia“ Balkon, auf dem das bald getraute Paar verliebt zu ihren Untertanen grüßen konnte? Die Gerüchteküche brodelte und auch mit Kritik am denkmalunverträglichen Eingriff in Klenze’s klassizistischen Festsaalbau wurde am neuen „in Glas und Eisen“ errichteten Pavillon nicht gespart „welcher mit der bekanntlich im italienschen Styl gehaltenen großartigen Façade in schreiendem Widerspruch steht. Einzelne erblicken darin eine Blumen-Veranda, Andere ein photographisches Atelier, da Se. Majestät sich für diesen Kunstzweig neuestens sehr interessire.“ (Kemptner Zeitung vom 25.09.1867)
Aber König Ludwig II. hatte hier (und auch in Hochzeitsdingen) anderes im Sinn…
Lange Zeit nahm die wachsame Öffentlichkeit keine Veränderungen an dem eisernen Pavillon wahr, was allerdings nicht bedeutete, dass König Ludwig II. mit diesem kleinen Austritt aus seiner Wohnung vollends zufrieden war. Im Gegenteil verlangte er schon wenige Monate nach dessen Fertigstellung Gutachten und vor allem Planvarianten für eine beträchtliche, stützenfreie Vergrößerung, die seine Hofbau- und Hofgartenintendanzen (in Person von Eduard Riedel und Carl von Effner) im Jahr 1868 in kurzen Abständen vorlegen durften. Gleichzeitig beauftragte Ludwig – wohl angeregt von seinem Besuch der Weltausstellung in Paris im Sommer 1867 – Entwürfe für zwei orientalische Kioske, wovon einer für den, nun als Wintergarten bezeichneten Bau auf der Residenz München gedacht war, der andere für den Schlosspark Berg am Starnberger See.
Erst am 21. Mai 1869 erfuhren die Leser der Straubinger Zeitung Neues über die weit gediehenen Planungen und die ausführende Firma: „Oberhalb den sogenannten Hofgartenzimmern der k. Residenz wird ein großer Wintergarten hergestellt, dessen Eingang unmittelbar an die Gemächer Sr. Maj. stoßen soll. Die Lieferung des Eisengerippes wurde der Kramer-Klett’schen Fabrik übertragen.“ Die vorbereitenden Rohbauarbeiten begannen wenige Wochen später, wovon die Pfälzer Zeitung folgendes berichten konnte: „München, 2. Juni. Heute wurde damit begonnen, das Dach des gegen den Hofgarten zu liegenden Flügels der alten Residenz abzutragen, da an dessen Stelle ein großartiger Wintergarten erbaut wird […]. Der Bau muss bis zum Herbste vollendet sein.“ (Ausgabe vom 05.06.1869)
Ganz so schnell wie vom ungeduldigen König erwartet ging es allerdings doch nicht vonstatten, da die eigentlichen Arbeiten zur Wintergartenkonstruktion erst im September begannen: „Im sogenannten Kaiserhofe der k. Residenz liegen bereits die aus der Kramer-Klett’schen Fabrik in Nürnberg hervorgegangenen Eisen- und Schienentheile zum neuen Wintergarten bereit, mit deren Aufstellung noch in diesem Jahre begonnen wird.“ (Ingolstädter Tagblatt vom 11.09.1869) Die Eisenkonstruktion war aber keineswegs schon Anfang Oktober „beinahe fertig“, wie die Neue Würzburger Zeitung voreilig am 3. Oktober schrieb. Die Aufstellung der weitgespannten Träger stellte wohl auch die ausführende Firma vor Herausforderungen, die sich auf die terminierte Fertigstellung auswirkte: „Auf dem nördlichen Theil der Residenz, gegen den Hofgarten herrscht eine große Arbeitsthätigkeit, die selbst gestern am Sonntag nicht ausgesetzt wurde. Man ist nämlich noch immer mit der Aufstellung der großen gußeisernen Bögen beschäftigt, welche zum Gerippe des neuen Wintergartens gehören, der noch vor Neujahr vollendet werden soll.“ (Münchner Bote vom 16.11.1869) Obwohl bis kurz vor Weihnachten 1869 mit Hochdruck an „der Vollendung des neuen k. Wintergartens (gegen den Hofgarten) […] auch Nachts gearbeitet [wurde]“ (Münchner Bote vom 25.12.1869), konnte der Wunschtermin des Königs zu dessen Verärgerung nicht eingehalten werden: „Man erzählt sich, daß der König bei seiner Ankunft in München sehr erbittert war, den neuen Wintergarten noch unvollendet anzusehen, und daß er im Sinne hatte, gar nicht in München zu verbleiben, sondern den ganzen Winter über in Hohenschwangau zu residiren [sic!].“ (Fremden-Blatt vom 29.12.1869)
Mit vereinten Kräften und unablässigem königlichen Druck gelang aber erstaunlicherweise doch bis Mitte Januar 1870 eine Teilfertigstellung des: „[…] zur Häfte fertige[n] neue[n] Wintergarten[s], der im Ganzen bei 700,000 fl. kosten soll, [und] bereits mit Gewächsen versehen wurde. Auch befindet sich daselbst ein prachtvoller maurischer Kiosk.“ (Augsburger Neueste Nachrichten vom 18.01.1870) Vielleicht wäre er auch ganz vollendet worden, hätte König Ludwig nicht kurz zuvor, Anfang November 1869, eine beträchtliche Erweiterung seines exotischen Wintergartens, nun über den ganzen Trakt mit Anbau zum Kaiserhof, höchstpersönlich angegeben, die nun weitere Planungen, Kosten und Aufwand verursachten, wie das Kitzinger Tagblatt am 16. April 1870 erläutert:
„Im Kaiserhofe der Residenz werden gegenwärtig zunächst an dessen nördlichen Flügel bedeutende Grundarbeiten vorgenommen. Es soll nämlich dort ein großer Anbau mit Stiegenhaus aufgeführt werden, vermittels welcher man zu dem neuen Wintergarten gelangen kann, der bisher nur unmittelbar vom Appartement Sr. Maj. des Königs aus zugänglich ist. Auch die Fortsetzung des neuen Wintergartens bis zum Mittelbau des nördlichen Residenzflügels soll demnächst begonnen und noch heuer vollendet werden.“ Die Arbeiten waren im vollem Gange als plötzlich im Juli 1870 Bayern gemeinsam mit seinen deutschen Verbündeten im Krieg gegen Frankreich stand. Am 17. Juli 1870, einen Tag nachdem König Ludwig II. den Bündnisfall mit Preußen anerkannt hatte, kam es zu einer spontanen Huldigungsäußerung von tausenden Münchner Bürgern auf dem Odeonsplatz vor der Residenz, die in der Illustrirten Zeitung aus Leipzig in einer Zeichnung festgehalten wurde, worauf auch der neu errichtete Wintergarten in seiner damaligen Dimension zu erkennen ist. (Ausgabe vom 6. August 1870)
Trotz kriegerischer Zeiten nahmen die „Arbeiten am neuen Wintergarten auf dem nördlichen Residenzflügel […] einen raschen Fortgang. Nachdem das Dach dortselbst gänzlich entfernt worden, ist man mit der Aufstellung des eisernen Gerippes beschäftigt.“ (Der Bayerische Landbote vom 24.09.1870) Bereits am 5. November 1870 berichtete dieselbe Zeitung über die nahende Vollendung der Arbeiten und die Vorbereitung für den Innenausbau: „Im Kaiserhofe liegen große Haufen von Felssteinen, Erde, Moos ec. zur inneren Einrichtung desselben aufgehäuft.“ Derweil sickerten erste Details des geheimen Feenreiches bis zum entfernten Neuen Wiener Tagblatt: „Grotten, die herrlichsten Felsengruppen, schattige Lauben, die außerlesensten Gewächse bezaubern das Auge: in der Mitte dieses Zauberhaines schaukeln sich in einem reizenden See majestätische Schwäne und nicken ihre Huldigung dem Schöpfer des neuen Kaiserreichs zu.“ (Ausgabe vom 02.01.1871) Bis März 1871 gingen die Ausstattungsarbeiten mit „Baumstöcke[n] und Felsblöcke[n], welche zur Dekorirung des neuen Wintergartens bestimmt sind [weiter]. Dieselben werden ausgehöhlt, um ihr Gewicht wegen der Höhe des Gartens zu erleichtern.“ (Münchner Bote vom 29.01.1871) Die extra aus Nymphenburg geholten Schwäne konnten sich mit den Regeln ihres neuen Domizils nicht gleich anfreunden: „diese haben sich letzthin über Nachts daran gemacht, einige kostbare Pflanzen, die der Hofgärtner eben eingesetzt hatte, zu verzehren. Des anderen Morgens war der Kummer nicht klein; ernste Berathungen werden nun gepflogen, wie fürderhin derartigen Exzesen der Seebewohner zu steuern seyn möchte.“ (Badische Landeszeitung vom 26.03.1871) Die Süddeutsche Post räsonierte dazu: „Ein weiteres Gerücht, das Wasser des besagten Teiches sei aus dem ächten, wahren Schwanenteiche entnommen und besitze gleich diesen die Kraft der Verjüngung resp. der Erhaltung des ewig Jugendlichen des sich von Zeit zu Zeit darin Badenden, erscheint uns zu albern, als daß wir es hier wiederholen sollten. Bezüglich der Schwäne aber dürfte es nöthig sein, diese Uebelthäter unter Aufsicht der hohen Polizei zu stellen.“ (Ausgabe vom 04.04.1871)
König Ludwigs Feenreich war nun endlich vollendet, aber für die neugierig von außen auf den monumentalen Dachgarten blickende Öffentlichkeit ordnete der Monarch „strengsten Befehl [an], dasselbe durch Niemanden außer dem Herrscher betreten zu lassen. Auch kein prinzlicher Fuß darf dessen Boden berühren.“ (Der Beobachter vom 14. April 1871) Aber das Geheimnis währte nicht lange. Ein nicht näher bezeichneter „Nürnberger Correspondent“ berichtete über den „Zaubergarten des Königs von Baiern“ bereits Ende Juli 1871 in der Neuen Freien Presse aus Wien: „Optik, Decorations-Malerei und Maschinerie haben zusammengewirkt, um hier ein Märchen zu ersinnen, daß du glauben mußt, so plastisch, so schön, so natürlich stellt es sich dar in jenem Wunderbaue, von dem so viel gefabelt worden ist und den so wenige Menschen doch gesehen haben.“ (Ausgabe vom 30.07.1871) Schon einen Monat später gelang es Franz Wallner, sich Zutritt zum Wintergarten zu verschaffen und seine Eindrücke in den „Reiseplaudereien“ für die Grazer Tagespost wiederzugeben: „Man erzählt sich Wunder über Wunder von dieser Feenschöpfung, die leider wie der Weg in’s Märchenland nur sehr wenig Auserwählten sichtbar wird. Die Wächter dieses Paradieses werden sofort entlassen, wenn irgend ein Sterblicher ohne Befehl des höchsten Landesherrn diesen Zauberhain betritt. Wie aber für einen pflichtgetreuen Berichterstatter weder Geheimnisse noch Schranken existieren, so will ich meine Leser im Vertrauen auf ihre Discretion in die Wunderwelt dieses wahrhaften Königssitzes einführen.“ (Ausgabe vom 26.08.1871) Wallners detailgetreuer Bericht über diese Feenschöpfung fand reichlichen Widerhall in den verschiedensten lokalen und internationalen Zeitungen.
Nun war die Neugier der Öffentlichkeit für einige Zeit befriedigt. Erst über zwei Jahre später lüftet der Schriftsteller Albert Emil Brachvogel (1824–1878), bekannt als Dichter von König Ludwigs Lieblingstheaterstück „Narziß“, in seinem Buch „Männer der neuen Zeit“ (Band 1, Hannover 1873) weitere Geheimnisse über das Innere von König Ludwigs Wintergarten, was sofort von verschiedenen Zeitungen wiedergegeben wurde: „Wir sind in der Lage, über diesen Wintergarten Genaueres zu berichten, obwohl derselbe seitdem manche Umänderung erlitten haben soll. […] Vom Eingange wendet sich der Weg rechts um eine Tropfstein-Grotte, von deren rechter Wand ein kleiner Wasserfall herabrauscht, dessen Strahl den Fuß der Grotte dann umspielt und sich in ein kleines Becken ergießt, an dem wir zunächst vorüberkommen. […] Rechts von uns […] glänzt aus Buschwerk, Zierpflanzen und Blüthen ein prachtvoller Kiosk, dessen Minarets, Kuppeln und Schnitzwerk goldglänzend aus dem Grün sich heben […]. Vor uns liegt ein kleiner See, schilfumgeben, im Wiesenplane, etliche Schwäne träumen auf ihm und über ihn hin schweift der Blick durch üppige Tropenvegetation nach fernen Alpenspitzen. Verfolgen wir den Weg rechts und hinter dem Kiosk hinweg, so kommen wir besagten See entlang zu einem Gartenpavillon, ganz von Gebüsch überragt, einem überaus traulichen Plätzchen. […] Den See nunmehr zur rechten Hand folgen wir dem gewundenen Pfade um ein Palmengehölz herum zu einem zweiten verstohlenen Gartentempel; – eine Fülle von Laub und Blüthen rings, ein Gemälde des Himalaya liegt vor uns. […] Der Garten ist eben zu Ende und die weitere Landschaft Kunsttäuschung […]“ (Beilage zu Nr. 284 des Süddeutschen Telegraphen vom 06.12.1873)
Trotz der bekannten Beschreibungen von Ludwigs Wunderwelt auf dem Münchner Residenzdach fanden auch in den Folgejahren immer wieder aufs Neue sensationshungrige Journalisten den Weg in Ludwigs Zaubergarten „wie sich weiland Mad. Semiramis vielleicht einen geträumt, jedenfalls nie aber derart ausgeführt haben wird.“ (Augsburger Sonntagsblatt vom 05.04.1874)
Bis heute fasziniert jede Neuigkeit über den märchenhaften Wintergarten König Ludwigs II.– trotz seines Verlustes im Jahr 1897 – die Leser ungebrochen, weshalb wir sicherlich auch in Zukunft noch über weitere Geheimnisse seiner zauberhaften Ausstattung berichten werden.
Titelbild: Wintergarten König Ludwigs II., Blickrichtung zur östlichen Abschlusswand mit Kaschmirtal und Himalaya. Supraportengemälde im Königshaus Schachen, Julius Lange 1872.