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Artenschutz am Pulverturm in Burghausen

waldrapp Burghausen Burg

Von Nadia Amannsberger //

Um die spätmittelalterliche Burganlage in Burghausen tummelten sich zur Zeit, als die Reichen Herzöge von Niederbayern dort ihre Familienresidenz unterhielten, urige Vögel. Hühnergroße Ibisse, schwarz wie Rappen, mit kahlem, rotem Kopf und lustigem Schopf waren bis ins 16. Jahrhundert in der Region weit verbreitet: die Waldrappe. Der Schweizer Arzt und Naturforscher Conrad Gessner beschreibt die Vögel in seiner 1555/58 erschienenen Enzyklopädie des Tierreichs „Historia animalium – Avium natura“. Die Waldrappe fühlten sich im felsig, waldigen Voralpenraum wohl, den sie im Sommer als Brutgebiet nutzten.

Christus Ölberg Burghausen

Bayerisch um 1480/90, Rottenbucher Altar: Christus am Ölberg, um 1480/1490, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Staatsgalerie in der Burg zu Burghausen

Waldrapp

Detail aus dem Gemälde

Der schwarze Ibis muss in Bayern derart weit verbreitet gewesen sein, dass er praktisch zum Landschaftsbild gehörte. So findet man, bei genauem Hinsehen, auf dem bayerischen Gemälde „Christus am Ölberg“ aus dem Jahr 1468 einen Waldrapp, der gelassen durch die Wiese schreitet. Das Gemälde, das vom Hochaltar der Stiftskirche Rottenbuch stammt, befindet sich heute im Burgmuseum in Burghausen.

Zu den Ursachen für das Verschwinden des Waldrapps aus Europa zu Beginn des 17. Jahrhunderts findet man auch Hinweise in Gessners Aufzeichnungen. Der Waldrapp wurde als sehr schmackhaft beschrieben und galt als Delikatesse. „Könige bemühen sich, sie auf Jagden als Speisen zu erlangen…“ heißt es da. Neben der intensiven Verfolgung durch den Menschen kam wohl noch erschwerend hinzu, dass bei der Kleinen Eiszeit im ausgehenden 16. Jahrhundert eine Klimaveränderung eintrat, die sich negativ auf die Lebensbedingungen des Waldrapps auswirkte. In den darauffolgenden 400 Jahren waren Waldrappe in Europa von der Bildfläche verschwunden. Eine wildlebende Kolonie überlebte lediglich in Marokko. Nachfolgende Generationen betrachteten Erwähnungen des Waldrapps mit Skepsis. Mancher hielt den Vogel sogar für ein Fabeltier. Zugegeben – Zweifel an der Literatur hatten durchaus Berechtigung, denn unter den in der Naturkundlichen Enzyklopädie von Gessner beschriebenen Arten befindet sich tatsächlich das ein oder andere fantastische Wesen, wie beispielsweise das Einhorn.

Waldrapp

Die Rückkehr des Waldrapps

Das EU-Förderprojekt Life+ strebt die Wiederansiedelung des Zugvogels in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet an. Die Stadt Burghausen gehört neben zahlreichen anderen Partnern und Kofinanzierern aus Österreich, Deutschland und Italien zu den Unterstützern. Projektstart war 2004, nachdem bei der Landesgartenschau in Burghausen Waldrappe vorgestellt wurden. Anschließend zogen menschliche Ziehmütter zoogeborene Küken aus Rosegg und Schönbrunn per Hand auf und prägten sie auf sich. Da mit dem Tod des letzten wilden Waldrapps in Europa auch die Information über die Zugroute erlosch, war es nötig, den Jungvögeln die Strecke in den Süden neu beizubringen. In einer bemerkenswerten Aktion flogen die Ziehmütter erstmals 2007 mit einem Leichtflugzeug über die Alpen in ein geeignetes Winterquartier nahe der Laguna di Orbetello in der Toskana. Die Zöglinge folgten ihren Vertrauenspersonen. Eines der mittlerweile fünf ausgewählten Brutgebiete liegt in Burghausen, wo an der Wehrmauer am Pulverturm Nistnischen angebracht wurden. Es war Waldrappdame Goja (ihre Namenspatin war Jane Goodall), die 2011 erstmals selbständig in dieses Sommerquartier zurückflog. Sie zeigte den Jungvögeln der nächsten Generation schließlich den Weg nach Orbetello. Die Waldrappe, die kurz vor der Ausrottung standen, kehren langsam zurück. Es besteht Grund zur Hoffnung, aber nach wie vor gelten die seltenen Vögel nach der „Roten Liste Gefährdeter Arten“ als „vom Aussterben bedroht“. Noch ist die Population zu klein, um als stabil zu gelten. Der soziale Vogel kann nur in Kolonien überleben. Ziel des Life+ Projektes ist es, bis 2028 eine Population von mindestens 350 Tieren zu etablieren. Erst dann geht man davon aus, dass die Waldrappe ohne menschliches Zutun überleben können.

Oliver Habel

Oliver Habel, Zoologe und Mitglied des Waldrappteams, ist zuständig für die Kolonie in Burghausen. Das Team überwacht die Burghauser Kolonie mithilfe einer Webcam und kann bei drohender Gefahr einschreiten. Dieses Frühjahr kamen 14 erwachsene Vögel aus dem Winterquartier nach Burghausen zurück, um zu brüten. Ende Mai schlüpften schließlich die ersten Küken. Insgesamt 23 sind es in diesem Jahr, die am Pulverturm das Licht der Welt erblickten. Trotz Unterstützung werden nicht alle Jungvögel überleben. Die kritische Phase ist laut Herrn Habel, wenn die Jungen flügge werden und die erste Migration in den Süden. Anfang Juli begannen die ersten Jungvögel die Welt außerhalb der Brutnischen zu erkunden. Doch Bedrohungen gibt es auch später. Stromschlag an nicht gesicherten Masten und illegaler Abschuss sind die häufigsten Todesursachen. Aber auch Unwetter und Raubtiere können den Waldrappen gefährlich werden. Wenn die unerfahrenen Waldrappe zu spät ins Winterquartier aufbrechen und Kälte und Nahrungsmangel den Zug über die Alpen gefährden, hilft das engagierte Walrappteam nach. Sofern sich die Vögel fangen lassen, werden sie ein Stück weit mit dem Auto chauffiert. Zur Identifizierung erhalten alle Waldrappe nummerierte Aluminiumringe, manche außerdem noch einen Sender. Wer Waldrappe sichtet, darf die Ringnummer gerne melden, so erhalten die Artenschützer Daten über die Aufenthaltsorte ihrer Zöglinge. Sichtung melden: Waldrapp Sichtung – Waldrapp

Im dritten Jahr sind die Jungvögel geschlechtsreif. Erwachsene Tiere kann man anhand des charakteristisch roten, kahlen Kopfes von Jungtieren unterscheiden.

waldrappen burghausen

Etwa von April bis August lassen sich die Waldrappe um Burghausen beobachten. Man sieht sie nicht selten auf gemähten Flächen und Wiesen, wo sie mit ihrem langen Sichelschnabel in der Erde nach Würmern und Maden stochern. Die Brutkolonie kann man von der Burganlage oder vom Wöhrsee aus beobachten. Außerdem gibt es jeden ersten Sonntag im Monat eine Führung zum Pulverturm, von wo aus man Sicht auf die Brutnischen hat. Besonders Interessierte können besenderte Vögel sogar über die „Animal Tracking-App“ verfolgen.

Ab Herbst ist zudem ein digitaler Waldrapp-Rundgang geplant. An verschiedenen Stationen können die Besucher Wissenswertes über die seltenen Ibisvögel erfahren. Der Startpunkt wird an der Burg sein, wo man einen QR-Code scannen und sich dann virtuell und auch real auf die Spuren des Waldrappes begeben kann.

 


Quellen

Informationen von Oliver Habel, Zoologe und Mitglied des Waldrappteams, zuständig für die Burghauser Kolonie

Dissertation_Springer_2007.pdf (uni-rostock.de)

www.waldrapp.eu