Geheimnisse

„Die Sache mit dem goldenen Wagen soll ganz geheim gehalten werden“ – Der Fall Gmelch

Gala Wagen Ludwig II

Mit dem ersten Beitrag zur Verlobung Ludwigs II. haben wir unsere Serie „historische Presseschau“ rund um den berühmten bayerischen Monarchen eröffnet. Wir wollen darin auf unterhaltsame und teils unbekannte Seiten aus seinem Leben und Kunstschaffen blicken und nicht zuletzt auch auf die damals schon erstaunlich modernen journalistischen Methoden, wie über echte oder erfundene Sensationen berichtet wurde. Unser heutiges Thema: Der Fall Gmelch!

König Ludwigs „Großer goldener Galawagen“ und der „Fall Gmelch“ im Februar 1872 vor 150 Jahren

Diskretion ist auch heute noch in royalen Kreisen ein sehr hohes Gut, wohingegen Enthüllungen durch Indiskretion die höchste Ungnade hervorrufen, wie wir es erst jüngst am Beispiel des englischen Königshauses nach schlagzeilenheischenden Live-Interviews im amerikanischen Fernsehen miterleben durften. Im Februar 1872 „platzte sprichwörtlich die Bombe“, als plötzlich die Fertigstellung eines bis dahin geheim gehaltenen Galawagens für König Ludwig II. landesweite Schlagzeilen machte. Eine Indiskretion des königlichen Wagenbauers Franz Gmelchs, dem Erfinder des bekannten Bergwagens Ludwigs II., schlug hohe, mediale Wellen und führte zum abrupten Fall Gmelchs in der königlichen Gunst.

Gmelch Hoffabrikant

Sattler und Hoffabrikant Franz Paul Gmelch d. Ä., 27.11.1811 – 13.01.1900. Foto von 1888, Stadtarchiv München (C1900087)

„Die Sache mit dem goldenen Wagen soll ganz geheim gehalten werden […]. Den Künstlern und Gmelch ist Schweigen einzuschärfen!“ lautete fast zwei Jahre zuvor, im Sommer 1870, der königliche Befehl, mit dem Ludwig II. die Herstellung eines neuen Gala-Wagens im Genre des 18ten Jahrhunderts /: Rococo-Styl beim königlichen Wagenbauer Franz Gmelch beauftragte. In Zeiten drohender Kriegsgefahr mit Frankreich, die am 19. Juli 1870 – für Ludwig leider – Realität wurde war die Bestellung eines im Stil Louis XV. gestalteten Prachtwagens, der nach seiner Art auch gut ein Krönungswagen hätte sein können, sprichwörtlich eine heiße Kiste mit politischer Brisanz. Schon im Mai 1870 musste Ludwig II. seinen, in höchster Aufregung befindlichen, Hofrath Lorenz Düfflipp beruhigen indem er schon Sorge tragen werde, daß von den projektierten Fahrten in dem goldenen Wagen keine Seele etwas erfahren solle“ und verfügte einen Monat späteretwaigem Gerede wegen des Wagens [solle] energisch entgegen getreten werden“. Kaum auszudenken, welche Schlagzeilen dieser Auftrag bei einer Enthüllung durch die Presse hervorgerufen hätte, während zu dieser Zeit preußische und bayerische Soldaten im Feld gegen Frankeich standen und gleichzeitig der königliche Wagenbauer Gmelch mit Lieferschwierigkeiten von Stoffen aus Lyon kämpfte!

Aber alle beauftragten Künstler hielten dicht. Auch über die zahlreichen am Gala-Wagen angebrachten Bilder mit Motiven aus der Zeit Ludwigs XV., wie zum Beispiel der „Schlacht von Fontenai“, drang keine Silbe nach außen.

galawagen ludwig II schlacht von fontainai

Bildnis der Schlacht von Fontenai auf der Tür des großen Gala-Wagens

Im November 1871 war der heikle Top-Secret-Auftrag soweit vollendet, dass Ludwig den Wagen besichtigen konnte, natürlich unter größter Geheimhaltung. Der Wunsch des Königs, den nicht ganz kleinen Galawagen nach Hohenschwangau ohne Aufsehen zu verfrachten, konnte nicht mehr erfüllt werden. Die Fertigstellung des geheimnisumwitterten Goldvehikels sickerte nun doch an die Öffentlichkeit durch. Ob hochgestellte Persönlichkeiten daran schuld waren, denen der Wagenbauer Gmelch nach dem Gesetze der Höflichkeit Zutritt zu seiner Werkstatt gewähren musste oder er selbst sich bei einem bierseeligen Abend verplauderte – wie manch einer munkelte – sei dahin gestellt. Spätestens Anfang Januar 1872 bekam der König von der Indiskretion des königlichen Wagenbauers Wind und reagierte prompt: Gmelch darf auf keinen Fall den Schlitten machen, Majestät haben gar kein Vertrauen zu ihm.“ Aber es war schon zu spät.

In den ersten Februartagen 1872 verbreitete sich die Kunde vom vollendeten Prunkwagen König Ludwigs II. wie ein Lauffeuer in den Zeitungen: Der neue Wagen für den König ist nun fertig und wird dieser Tage in die Hofremisen überbracht werden. Er ist nach Plan und Zeichnung des Hrn. Hofwagenfabrikanten Gmelch im Rokokostyl (Blumenzopf-Styl) ausgeführt. (München 05. Februar, Ausgabe des Bayerischen Kuriers vom 06. Februar 1872)

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Der große Gala-Wagen auf einer Einladungskarte des Hof-Wagen-Fabrikanten Franz P. Gmelch, um 1887/1888. Aus R. Wackernagel: Staats- und Galawagen der Wittelsbacher Kutschen, Schlitten und Sänften aus dem Marstallmuseum, Schloss Nymphenburg 2002

Das Weilheimer Tagblatt vom 07. Februar 1872 weiß mehr: Die Zeichnung zum Wagen ist von Seitz, die Vergoldung von Radspieler, die Stickerei von einer hießigen Dame. Nach dem erst jüngst zurückliegenden Sieg über Frankreich und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs wird die bayerische Goldkarosse, obwohl im französischen Stil, sogleich vom deutsch-nationalen Zeitgefühl vereinnahmt: […] derselbe ist ein wahres Prachtwerk und zeigt, was deutsche Kunst und Arbeit zu leisten im Stande ist.“ (Fränkische Zeitung, Ausgabe vom 06.02.1872) Ein euphorisches Lob, das gerade Ludwig II. nicht gnädig stimmen konnte. Überhaupt hatte der Vertrauensbruch des königlichen Hofwagenfabrikanten Gmelch und die sensationslüsterne Presse dem König jegliche Lust an seiner außergewöhnlichen Prunkkarosse genommen, obwohl er noch kurz zuvor eine 60 cm lange Zigarrenspitze in Form des Goldenen Wagens mit einem 6er Gespann, gefertigt aus Elfenbein und Meerschaum, vom Hofdrechsler Zimmermann bestellt hatte. Deren Ausführung den Hofrechsler Zimmermann in „arge Verlegenheit [gebracht habe], weil kein Stück Meerschaum aufzutreiben war, welches groß genug gewesen wäre, die Ausführung der befohlenen Schnitzereien zu gestatten“, wie das in Wien erscheinende „Neue Fremden-Blatt“ (Ausgabe vom 6. März 1872) mutmaßte.

meerschaumpfeife ludwig II

Meerschaumpfeife Ludwigs II., Science Museum London

Nun aber war der Galawagen des Königs von Bayernschon in der Welt und diese sollte nach Meinung der Neuen Freien Presse aus Wien auch die Gelegenheit haben, dieses Wunderwerk zu bestaunen; und das am besten auf der 1873 in Wien stattfindenden Weltausstellung, wie die Zeitung es in ihrer Ausgabe vom 8. August 1872 forderte, nicht ohne gleichzeitig auch die – ihrer Meinung nach –wahre Funktion des Schmuckstücks auf vier Rädern zu enthüllen: es sei nämlich ein „[…] Hochzeitswagen […], wozu [er] denn auch vor Allem geeignet und – hoffentlich – auch bestimmt erscheint. Eine Reise zur Wiener Weltausstellung genehmigte Ludwig II. für den Prunkwagen natürlich nicht, da dieser ja eigentlich nur für seine „Reisen“ in vergangene Epochen des französischen Monarchen Ludwig XV. gedacht war, deren Welt sich der bayerische König zeitgleich baulich in Linderhof entstehen ließ – ein bislang NOCH vor den Augen neugieriger Journalisten sicherer Ort.

Auch wenn Ludwigs Prachtkarosse niemals für eine Hochzeit – und schon gar nicht seiner eigenen, wie es die Neue Freie Presse aus Wien zu hoffen wagte – geplant und gebaut wurde, so fand kurioserweise die Premiere und damit aber auch schon der einzige öffentliche Auftritt dieses königlichen Gefährts tatsächlich bei einer prächtigen Vermählungsfeierlichkeit statt: der Hochzeit von Prinz Leopold und der Erzherzogin Gisela von Österreich am 28. April 1873. Und stahl dabei dem Brautpaar fast die Schau, wie es die Fränkische Zeitung am 10. Mai 1873 berichtete: Er hat allgemeine Bewunderung erregt […] Der Wagen ist ein Schaustück erster und seltenster Größe, und diejenigen, welche in ihrem Enthusiasmus ausriefen: es werde an keinem Hofe Europa’s seines Gleichen geben, mögen für dießmal der Uebertreibung nicht gerade zu beschuldigen sein.

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Prinz Leopold und Erzherzogin Gisela im großen Gala-Wagen König Ludwigs II. am 28. April 1873 in München. Aus R. Wackernagel: Staats- und Galawagen der Wittelsbacher Kutschen, Schlitten und Sänften aus dem Marstallmuseum, Schloss Nymphenburg 2002

Danach verschwand Ludwigs glanzvoller Goldwagen (böse Zungen sprachen von einem kolossal pomphaften Möbel […]“ das „[…] Hunderttausende […] gekostet hat) in den weitläufigen herrschaftlichen Remisen und der König wünschte einen anderen, neuen Wagen, den nun der Hofwagenfabrikant Johann Michael Mayer bauen durfte.

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Großer Gala-Wagen König Ludwigs II. Historische Aufnahme vor den königlichen Remisen in Nymphenburg, Stadtarchiv München (C1886164)

Gmelchs Stern war nach seiner Indiskretion vom Februar 1872 und den dadurch ausgelösten Sensationsenthüllungen der Presse rapide gesunken: er wurde niemals mehr vom König mit einem Auftrag bedacht. Sein königliches Meisterstück hat jedoch die Zeit gut überdauert und wird heute noch als eines der prächtigsten Schaustücke im Nymphenburger Marstallstallmuseum bewundert. Der Goldwagen belegt eindrucksvoll das hohe Niveau des Münchner Kunsthandwerks in dieser Zeit und erinnert uns gleichzeitig an den tiefen Fall des königlichen Hofwagenbauers Franz Gmelch.

Detail großer galawagen ludwig II

Gravierte Deckplatte vor den Einschubtritten am Neuen Gala-Wagen König Ludwigs II.: „Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs Ludwig II von Bayern wurde dieser Wagen nach dem Entwurfe des kgl. Direktor Franz Seitz vom kgl. Hofwagen-Fabrikanten Fr. Gmelch erbaut. Die figürlichen Bildhauerarbeiten wurden von Lorenz Gedon, die ornamentalen von Peter Karg ausgeführt. Die Bilder malte Rudolf Seitz und die Stickereien lieferten die Schwestern Math. Dor. und Jos. Jörres; sämmtliche Arbeiten wurden in München gefertigt. begonnen wurde der Wagen den 12. Juni 1870 vollendet Ende December 1871.“

 

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