Wie oft hört man bei Führungen durch prächtige Räume den Satz „Wenn diese Wände hier reden könnten“? In der Residenz Ellingen können sie das – zumindest erzählen sie freimütig von seidig schimmerndem Luxus, Pariser Chic und dem jüngsten Skandal auf dem Olymp. Manchem Besucher teilen sie aber auch intimere Geheimnisse mit. Sie flüstern von Hasenleim, Pfirsichkernen, Champagnerkreide und mörderisch giftigem Bleiweiß. Damit man die plappernden Wände noch besser versteht, wurden nun ‚Wörterbücher‘ in den Räumen aufgestellt, respektive Mitmach-Stationen zu Textil- und Papierverkleidungen der Mauern. Jetzt könnt ihr dem Tapetenmaterial ganz nahekommen und erfühlen, mit welchen Schätzen die Residenz Ellingen – neben einem herrlichen Park und einem wunderbar geschlossenen Bauensemble – wirklich prunken kann.
1815: Neue Wandkleider für Ellingen
Aber nun hübsch der Reihe nach: Im Jahre 1815 war Napoleon schlussendlich besiegt und nach langen Kriegswirren konnte Max I. hoffnungsvoll einer Friedensära entgegenblicken. Dabei vergaß er seinen Feldmarschall nicht, der den bayerischen Thron die Jahre davor verteidigt hatte. So verlieh der erste bayerische König seinem Untertan Carl Philipp Fürst von Wrede ein Lehen samt altehrwürdigem Schloss. Dieses hatte der bayerische Staat vom deutschen Orden übernommen – ehrlicherweise war es mehr abgenommen worden, aber das ist eine andere Geschichte. Der neue Hausherr, mit viel Gespür für den spiritus loci, kaufte einige geplünderte Gegenstände zurück, wollte sich aber nicht nur mit fremden Antiquitäten schmücken. Es musste auch eine schicke, neue Ausstattung her. Hierzu beauftragte der Fürst den Tapicier e Decorateur Jean Jaques Werner. Der Pariser lieferte prompt zahlreiche Wandverkleidungen, ganz nach dem letzten Schrei.
In das noch junge Mittelfranken, das damals noch Rezatkreis hieß, kamen unter anderem druckfrische Motivtapeten. Druckfrisch? Im Jahr des Schlosserwerbs, also 1815, hatte in Paris die Firma Dufour et Cie neue Tapeten entworfen. Die Firma war bekannt für ihre Landschaftstapeten. Das heißt, sie stellte nicht eine simple Raufasertapete her, die ohnehin erst ein halbes Jahrhundert später erfunden wurde; die Manufaktur fertigte Papiertapeten, die Wandmalereien nicht unähnlich waren.
1815 legten Dufour et Cie einen Bilderzyklus auf, der die antike Liebesgeschichte von Amor und Psyche wiedergab. Zur Geschichte des Apuleius, die etwas von einem Abenteuerroman hat, nur so viel: Die sterbliche, junge Psyche ist so schön, dass die Menschen vergessen, Venus, der Göttin der Liebe, Opfer darzubringen. Die Schönste unter den Göttern beauftragt ihren Sohn, den Liebesgott Amor, Psyche zu bestrafen. Als er jedoch zur Tat schreitet, verliebt er sich in die hübsche Frau. So entführt er sie in einen herrlichen Palast und besucht sie immer nachts, damit sie den Liebesgott nicht erkennt. Nachdem Psyche schwanger geworden ist, nimmt sie in der Nacht doch einmal eine Öllampe, um zu sehen, mit wem sie sich eigentlich eingelassen hat. Sobald sie Amor erkennt, erschrickt sie und weckt dadurch den geflügelten Gott. Dieser ist vom Vertrauensbruch enttäuscht und flieht. Psyche weiß sich nicht anders zu helfen, als Dienerin der Venus zu werden. Die Göttin ist immer noch eifersüchtig und stellt der jungen Frau zahlreiche Aufgaben. Natürlich besteht die Heldin die Proben mehr oder minder glänzend, sodass die Liebe Amors neu entfacht wird. Auch Venus lässt sich erweichen und gibt ihren Segen. Amor und Psyche dürfen heiraten und sind bis in alle Ewigkeit glücklich (eine große Seltenheit in antiken Geschichten über die Beziehungen zwischen Menschen und Göttern). Wer mehr zu den Irrungen und Wirrungen wissen will, muss die Residenz Ellingen besuchen.
Holzmodeldruck: Eine aufwendige historische Drucktechnik
Wenn man dort angekommen, im zweiten Stock die Tapeten mit der Amor-und-Psyche-Erzählung betrachtet, stellt man sich die Herstellung wohl recht einfach vor. Bilder drucken und dann nur noch in der richtigen Reihenfolge an die Wand kleistern. Wer meint, hohe Schlosszimmern zu tapezieren sei das Schwierigste, dessen Interesse sei mit Folgendem geweckt:
Zuerst entwarfen die Künstler Merry-Joseph Blondel und Louis Lafitte zwölf Episoden der Erzählung, wobei sie eine französische Version des mythologischen Stoffes von Jean de la Fontaine zu Rate zogen. Dabei ließen sie sich von antiken Plastiken inspirieren. Ein findiger Beobachter wird unter anderem die „Diana von Versailles“ oder die „Aphrodite d‘Este“ wiedererkennen. Damit die Firma mehrere Käufer bedienen konnte, sollten die zum Teil 1,83 Meter hohen und 2,15 Meter breiten Bilder gedruckt werden.
Vom komplizierten Druckverfahren sei nur so viel verraten: Blondels und Lafittes Bildfindungen wurden mittels Hochdruckverfahren reproduziert. Für die 12 Bildszenen des Liebesabenteuers waren 1.245 handgeschnitzte Model aus Holz von Nöten! Es sei noch erwähnt, dass man in Ellingen nur die Hälfte der Szenen haben wollte. Wer nun neugierig geworden ist, sollte nächste Woche unbedingt den Artikel unseres Papierrestaurators Jan Braun lesen, der für die Besucher einen kleinen Teil einer Szene noch einmal gedruckt hat.
Historische Technik – verbotene Farben
Und was hat es jetzt mit dem Hasenleim, der Champagnerkreide und dem Bleiweiß auf sich? Auch hier sei auf den Bericht des ‚Nachdruck-Experimentes‘ verwiesen. Damit aber keine potentiellen Gäste abgeschreckt werden, klären wir schnell die Sache mit dem gefährlichsten Pigment.
Für das reine Weiß benötigte man Bleiweiß. Dies stellte man her, indem man Blei den Dämpfen von Essig aussetzte. Dabei entstand Bleihydroxidkarbonat, ein weißes Pulver, das heute nicht mehr verwendet werden darf. Bleiweiß kann der menschliche Körper nicht abbauen und so greift der Farbstoff das Nervensystem an. Man bekommt Kopfschmerzen und die Persönlichkeit verändert sich. Das ahnten die Künstler damals schon. Da es aber nichts gab, was so reinweiß war, blieb Bleiweiß fast bis zum Ende des 19. Jahrhunderts alternativlos. Die kleine, giftige Probe, die heute in Ellingen zu sehen ist, wird aber sicher in der Vitrine verwahrt. Im Residenzschloss laufen die Besucher höchstens Gefahr, von der Schönheit des Ortes und des Erhaltungszustandes schier umgeworfen zu werden.
Samt oder Papier, das ist hier die Frage
Natürlich wollte Fürst Wrede nicht nur mit todschicken Bildtapeten glänzen. Er bestellte auch andere Tapeten. So zum Beispiel Handdrucktapeten mit ornamentalen Mustern oder auch einige der bereits erwähnten Flocktapeten. Letztere ließen sich wesentlich leichter herstellen: Gefärbte Papierbögen wurden mit Leim versehen. Dann wurden diese beflockt: Mechanisch hergestellte, kurze Fasern wurden über das Papier gestreut. Nach dem Trocknen wurden die Tapeten abgeschüttelt und die klebrigen Stellen hielten nun die kurzen Stoppeln fest. So entstand eine Oberfläche, die tatsächlich noch heute wie Samt aussieht und sich auch so anfühlt. Die Bilder des Amor & Psyche-Zyklus, prunkvoll durch eine Papierbordüre gerahmt, wurden übrigens auf einer solchen Flocktapete angebracht.
„Was beliebt, ist auch erlaubt.“
In alten Schlössern hört man nicht nur oft „Wenn diese Wände reden könnten“, sondern auch ein zuweilen entrüstetes „Bitte nicht anfassen!“. Gerade wenn Museumsgäste erfahren, dass die Wand mit Papier und nicht mit Samt geschmückt ist, juckt es ihnen in den Fingern. Und so fangen die Stellen neben den Türstöcken erst an zu glänzen und irgendwann sind die Wände partiell kahl, falls das fettige Schmirgeln Auf-Fühlung-gehende nicht abschreckt.
Obgleich jede Kuratorin und jeder Kurator über wissbegierige Besucherinnen und Besucher erfreut ist, bringt eine allzu große Neugier viele Probleme mit sich. Wie gesagt: Speckränder und Fehlstellen an den Stellen, wo Besuchende der Wand zu nahe kommen, sind leider keine Seltenheit. Dies betrifft sowohl Papier- als auch Stofftapeten.
Damit unsere Kunstwerke erhalten bleiben, diese aber von unseren Gästen auch im Wortsinn erfasst werden können, gibt es nun in Ellingen die neuen Wand-Wörterbücher, will sagen die neuen Anfass- bzw. Mitmach-Stationen. An den neuen Tischen mit den Textil- und Papierproben kann vorsichtig nachgefühlt werden, damit die originale Substanz nicht gefühllos kaputtgescheuert wird. Nun kann man den Unterschied von Seide und Baumwolle sowie das feine Relief auf dem bedruckten Papier ertasten.
Tapetendruck en détail
An der Station zu diesen Tapeten gibt es nicht nur Griffmuster: Der Tapetendruck wird im Detail erklärt. Sogar die einzelnen Schichten des Leimdruckes können bestaunt werden. Zu sehen gibt es außerdem Farbpigmente, Werkzeuge und ein besonderes Highlight: Von den 1.245 Modeln für die Amor-und-Psyche-Tapeten haben zwei im Musée du Papier Peint im elsässischen Rixheim überlebt. Die Mitarbeitenden des Papiertapetenmuseums um die Kuratorin Cécile Vaxelaire waren so freundlich, ihren Model für die Bayerische Schlösserverwaltung 3D-scannen zu lassen. Die Daten schickten sie nach München, wo nach diesen Plänen mittels einer CNC-Fräse ein Holzbrett grob vorgefräst wurde. Unser hauseigener Bildhauer Martin Kutzer verfeinerte das von der Maschine vorgearbeitete Stück in mühevoller Handarbeit und jetzt ist dieses kleine Kunstwerk in Ellingen zu sehen.
Wie man dann mit diesem kunstvollen Stück Holz druckt, verrät der nächste Blog-Beitrag. Schließlich ist jetzt genug gespoilert. Entweder kauft ihr euch einen originalen Dufour-Tapetenzyklus (der letzte hat 2009 bei Christie‘s schlappe 40.000 Pfund gekostet) oder noch besser: Ihr kommt nach Ellingen. Zum Sehen, Staunen, Fühlen und sogar Anfassen. Das Bleiweiß ist sicher unter Glas zu bestaunen und bringt keinen um die Ecke. Ehrenwort!