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80 Jahre Zerstörung der Residenz Würzburg & die Neuschöpfung des Spiegelkabinetts durch Wolfgang Lenz

Spiegelkabinett Residenz Würzburg Aquarell

Vor 80 Jahren, am 16. März 1945, brach gegen 21:30 Uhr die Katastrophe über Würzburg und die Residenz herein: Bei dem 20-minütigen Fliegerangriff mit Brandbomben durch die britische Royal Air Force starben etwa 5000 Menschen. Die historische Altstadt wurde dabei fast vollständig zerstört.

Die Residenz Würzburg im Jahr 1945

Blick auf das zerstörte oberste Geschoss der Residenz Würzburg ohne Dach, Skilton, Sommer 1945

Die Residenz brannte in jener Nacht lichterloh. Unter größter Lebensgefahr und nur mit Wassereimern ausgestattet rettete der Hausmeister Hermann Weber deponierte Gemälde und kostbare Tapisserien. Brennende Dachbalken stürzten herab und zerstörten alles, was nicht im Vorfeld aus der Residenz evakuiert worden war. Dazu zählte auch das Spiegelkabinett, das unter Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn 1745 in der Residenz geschaffen wurde. Einzigartig waren die mit Hinterglasmalereien versehenen Spiegelscheiben, die eine kleine, farbenprächtige Phantasiewelt, bestehend aus Chinoiserien und exotischen Tieren, Artisten, Musikanten, Jägern, Allegorien sowie wundersamen Wesen, bunten Blüten und Früchten bildeten.

Das Spiegelkabinett der Residenz Würzburg vor 1945

Das Spiegelkabinett vor 1945

Spiegelkabinette stellten im Schlossbau des 18. Jahrhunderts eine beliebte Form der höfischen Repräsentation dar. Üblicherweise waren sie mit vielen Spiegeln und einer großen Anzahl an Konsolen versehen, auf denen zumeist kleine Figuren oder Vasen aus Porzellan sowie andere Preziosen aufgestellt waren. Doch dies genügte den Ansprüchen des Würzburger Fürstbischofs Friedrich Karl von Schönborn (reg. 1729–1746) nicht. Als ehemaliger Reichsvizekanzler in Wien war er mit den aktuellsten europäischen Strömungen im Bauwesen und in der Kunst vertraut und sein Wunsch nach einer zeitgemäßen Repräsentation forderte seine Künstler zu spektakulären Leistungen und Innovationen heraus.

Mit größtem persönlichem Interesse verfolgte Schönborn dabei auch die Gestaltung des Spiegelkabinetts, „umb etwas recht schönes und gustoses der nachwelt zu hinderlassen.“ 1740 wurden vom Bauherrn, seinem Architekten Balthasar Neumann (1687–1753), dem Hofstuckateur Antonio Bossi (1699–1764) und dem Hofbildhauer Johann Wolfgang van der Auwera (1708–1756) jene Gestaltungselemente des Spiegelkabinetts festgelegt, die diesen Raum zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk machen sollten.

Eine Wandfläche des Spiegelkabinetts, Farbdia von Carl Lamb, 1944

Eine Wandfläche des Spiegelkabinetts, Farbdia von Carl Lamb, 1944

Der Unterschied zu allen anderen Spiegelkabinetten bestand darin, dass die Spiegelscheiben bemalt waren – und zwar als bunte Hinterglasmalerei in den teilweise ausgesparten Spiegelgrund. Partiell war rückseitig zudem Blattgold aufgetragen, in das Motive eingeritzt wurden; der Effekt glich einer Radierung auf Goldgrund (Églomisé-Malerei). Andere Scheiben hingegen imitierten mit ihrer rückwärtigen, blauen Bemalung den Edelstein Lapislazuli.

In symmetrischer Anordnung erfolgte die Anbringung der einzelnen, formgerecht zugeschnittenen Spiegelscheiben an die Wandflächen, wobei die Fugen mit vergoldetem Stuck versehen wurden. Das Deckengewölbe war ebenso mit Spiegelscheiben versehen und wurde von Antonio Bossi mit vergoldetem und farbig gelüstertem Stuck verziert.

Eine von Stuck gerahmte Spiegelscheibe mit Goldradierung und Hinterglasmalerei, Farbdia von Carl Lamb, 1944

Eine von Stuck gerahmte Spiegelscheibe mit Goldradierung und Hinterglasmalerei, Farbdia von Carl Lamb, 1944

Diese Einzigartigkeit der Pracht schien für alle Zeiten verloren. Als man die Residenz wiederaufbaute, glaubte man, das Spiegelkabinett sei aufgrund der besonderes hochwertigen und komplizierten kunsttechnische Herstellungsweise nicht rekonstruierbar. So kam es, dass die Südlichen Kaiserzimmer der Öffentlichkeit im Jahr 1970 ohne das Spiegelkabinett übergeben wurden.

Lenz Blick über den Zaun

Wolfgang Lenz, Blick über den Zaun (Selbstporträt), Hinterglasmalerei mit Spiegel, 1991, Privatbesitz

Wolfgang Lenz war bereits bei der Rekonstruktion des Grünlackierten Kabinetts der Residenz Würzburg tätig gewesen, das 1974 fertiggestellt wurde. Lenz‘ Malweise passte sich hierbei dem Stil des 18. Jahrhunderts an und fand größtes Lob. Mit dem Würzburger Zeichner und Maler hatte man plötzlich jemanden vor sich, der stilistisch versiert war und sich zudem bestens auf die Kunst der Hinterglasmalerei verstand. Für den 1925 geborene Künstler war die Zerstörung seiner Geburtsstadt Würzburgs im Jahr 1945, einen Tag vor seinem 20. Geburtstag, traumatisch gewesen – dies prägte sein Schaffen. Er absolvierte nach dem Krieg eine Malerlehre und besuchte zudem die Kunst- und Handwerkerschule. Im Anschluss studierte er bis 1958 an der Akademie der bildenden Künste in München.

Lenz hatte bereits 1962 sein erstes Hinterglasbild geschaffen. Das Medium Glas faszinierte und forderte ihn als Künstler auf besondere Weise, unterschied sich die Technik der Hinterglasmalerei doch von der Gemäldemalerei. Der Bildaufbau muss von „hinten“ gedacht und angefertigt werden: „erst das Glanzlicht auf dem Auge, dann die Pupille, danach das Auge und seine Umgebung, den Kopf und schließlich den Hintergrund“, so beschrieb es Lenz einmal selbst.

Lenz Karussell HInterglasmalerei

Wolfgang Lenz, Ein Karussell, Hinterglasmalerei mit Stanniolpapier, 1964

Ebenso die dem Glas eigene Materialität zog den Künstler in ihren Bann. Das Glas liegt als glatte, transluzente und gleichsam reflektierende Schicht auf dem Bild. Lenz‘ arbeitete und experimentierte in der Folge mit diesen Charaktereigenschaften des Glases, insbesondere der Transluzenz sowie der Reflexion. Bereits 1964 schuf er unter Zuhilfenahme von Stanniolpapier, das ihm als Silberimitation diente, ein Karussell. Es folgten Hinterglasbilder, welche nun ganz konkret auch Spiegelflächen integrierten.

Spiegelkabinett Residenz Würzburg Aquarell

Georg Dehn, Das Spiegelkabinett der Residenz Würzburg, Aquarell, 1870

1978 erfolgte die offizielle Beauftragung an den Würzburger Künstler. Neben den Farbdias einer Fotokampagne aus dem Jahr 1944 hatte Lenz ein 1870 von von Georg Dehn angefertigtes Aquarell als Vorlage. Zusammen mit einer vor dem Brand ausgebauten, in zwei Teile zersprungenen Glasscheibe, waren dies die einzigen farbigen Anhaltspunkte, auf die sich Wolfgang Lenz stützen konnte. Daneben lagen schwarz-weiß Fotos aus der Vorkriegszeit vor.

Lenz Spiegelkabinett Residenz Würzburz Chinesen Detail

Wolfgang Lenz, Probespiegelscheibe Chinesen, 1978

Viele historische Arten der Hinterglasmalerei mussten imitiert werden. Im Herbst 1975 bemerkt er: „Es zeichnet sich die Entwicklung ab, daß erst verspiegelt werden muß, dann gemalt.“ Letztlich benötigte es Jahre bis der Zusammenklang von Glasart, Verspiegelungsmethode, Lackierungen, Vergoldung und Farben gefunden war, um die Rekonstruktion anzugehen.

Von diesen Experimenten zeugen einige Probescheiben in Lenz‘ Nachlass, darunter die verspiegelte Glasfläche Chinesen, auf der sich alle notwendigen Hinterglas-Techniken vereint finden. Im äußeren Randbereich ist die Imitation von Lapislazuli zu sehen. Nach innen folgt eine goldene, rahmende Kartusche mit Rocaillen, Grotesken und Rankenwerk in Églomisé-Malerei. Die figürliche Malerei wurde ganz am Schluss auf das nicht verspiegelte Glas aufgebracht. Zu jenem Zeitpunkt gab es noch Schwierigkeiten mit der Verspiegelung, die offenbar nicht genug Haftung und Beständigkeit hatte.

Lenz Artisten Handstand Entwurf

Wolfgang Lenz, Artisten, Handstand, Bleistift auf Papier und Rahmenwerk, Bleistift und Tusche auf Papier, um 1978

Das Konvolut seiner Vorzeichnungen für das Spiegelkabinett ist erhalten und gibt Aufschluss über Organisation und Aufwand seiner Arbeit. Die Bleistiftzeichnungen sind allesamt durchnummeriert und entsprechen darin den auf Plänen nummerierten Einzelscheiben – rund 600 Stück – des Spiegelkabinetts. Oft sind die Blätter entsprechend der Konturlinie der jeweiligen Glasscheiben zugeschnitten. Einige Tuschezeichnungen dienten als konkrete Vorlagen für die Goldradierungen des Rahmenwerks.

Spiegelkabinett Residenz Würzburg

Das heutige Spiegelkabinett

Das fertige Spiegelkabinett wurde am 1. Oktober 1987 der Öffentlichkeit übergeben. Wolfgang Lenz konnte beim Kopieren der Malereien des 18. Jahrhunderts seine künstlerische Individualität nicht verbergen. Viele der Spiegelbilder treten unverkennbar als sein Werk hervor und es ist sinniger von einer Neuschöpfung durch Lenz sprechen.

 


In der Residenz Würzburg ist zwischen dem 15. März und dem 15. Juni eine Sonderpräsentation mit Werken von Wolfgang Lenz zu sehen, die mit der Neuschöpfung des Spiegelkabinetts in Zusammenhang stehen. Die Präsentation entstand im Rahmen der Ausstellung „Wolfgang Lenz – Phantastische Orte“, die parallel auch im Museum im Kulturspeicher und dem Martin von Wagner Museum zu sehen ist.