Im Sommer dient er als sprudelnde Erfrischung in der steinernen Wüste der Residenzhöfe, winters erinnert er unter seiner geheimnisvollen Holzverpackung an eine – auch erfrischende – Glühweinbude auf dem Weihnachtsmarkt: Der Wittelsbacherbrunnen ist ein absolutes Highlight unserer Schlossanlage. Wohl verborgen im Zentrum der verschachtelten, über Jahrhunderte gewachsenen Hofanlagen, bildet er – obwohl nur wenige Schritte vom lärmigen Zentrum mit Marien- und Odeonsplatz entfernt – eine Oase der Stille.
Von vielen Touristen wird er wohl gar nicht gezielt aufgesucht, sondern zufällig entdeckt, was ja meist auch mehr Spaß macht. In anmutigen, nicht immer ganz natürlichen oder gar bequemen Posen rekeln sich auf dem Rand des achteckigen Beckens 16 bronzene Figuren, Verkörperungen der Elemente und der wichtigsten Flüsse des altbayerischen Territoriums. Eine weitere Skulptur, ein schnauzbärtiger Ritter im reich verzierten Harnisch, thront auf dem zentralen Sockel. Rundum spritzen aus Düsen haarfeine Wasserstrahlen und weben zwischen den Figuren ein glitzerndes Netz – meistens zumindest, denn das gute Münchner Wasser mit seinem hohen Kalkgehalt schafft die historischen Metallröhren manchmal…
Aber obwohl er also so gut hierher passt, war der Brunnen eigentlich gar nicht für die Residenz bestimmt. Ursprünglich stand er einige hundert Meter weiter auf dem Münchner Rindermarkt vor dem Wohnhaus des Herzogs Ferdinand, Bruder Wilhelms V. und Onkel des bayerischen Kurfürsten Maximilian I. Ferdinand war das klassische Schicksal zweitgeborener Fürstensöhne bestimmt – immer auf der Ersatzbank zu warten, ob dem Älteren oder seinem Erben Maximilian etwas zustoßen würde, um dann gegebenenfalls in die Bresche zu springen, um Dynastie und Herrschaft weiterzuführen. Verständlich, dass das Verhältnis zwischen Onkel und Neffen von etwas gequälter Herzlichkeit war. Der kunstinteressierte Ferdinand versuchte jedenfalls, aus seiner undankbaren Situation nach Möglichkeit etwas zu machen und, soweit es unter den misstrauischen Augen der Verwandtschaft anging, auf sich aufmerksam zu machen. Ein Mittel hierzu war der Auftrag für die gewaltige Brunnenanlage, den er dem Bildhauer und Bronzegießer Hubert Gerhard vor 1597 erteilte und mit dem gleich drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden sollte: Die Münchner Bürger mit einem öffentlich zugänglichen Wasseranschluss versorgen, die bayerische Residenzstadt mit einer repräsentativen Brunnenanlage verschönern und Ferdinand als Mäzen, Wohltäter und -Feldherrn in den Mittelpunkt rücken: Tatsächlich hatte der Herzog in seiner Jugend militärisch erfolgreich im sogenannten Kölner Krieg agiert und pflegte seitdem mit Leidenschaft seine inzwischen etwas angewelkten Siegerlorbeeren.
Daher bekrönte Gerhard den Brunnen mit einem Reiterstandbild des gerüsteten Ferdinand. Aus dem Federbusch des Helms stiegen Dutzende von Wasserstrahlen auf und regneten über die restlichen Figuren in das Bassin. Uns erscheint die Idee des wässernden Reiters heute geschmacklich eher fragwürdig, für Ferdinands und Gerhards Zeitgenossen scheint es ein besonderer Clou, davon abgesehen auch eine hydraulische Meisterleistung gewesen zu sein.
Als selbstbewusstes „Ich bin auch da“ des Wittelsbacher Onkels blieb das bronzene Wunderwerk allerdings nur wenige Jahre auf dem Rindermarkt sichtbar: 1608 starb Ferdinand hoch verschuldet – außer der Vorliebe für teure Bronzeskulpturen hatte er noch weitere kostspielige Hobbys gepflegt. Der Figurenschmuck des Brunnens gehörte zum Privateigentum des Toten, das zur Schuldentilgung verkauft wurde – und Käufer war niemand anders als Neffe Maximilian! Der kam so relativ kostengünstig zu einem fix und fertigen, überaus repräsentativen Schmuckstück für seine neu erweiterte Residenz ein paar Hausnummern weiter. Der Öffentlichkeit wurde der prachtvolle Brunnen damit allerdings weitgehend entzogen – in die Residenzhöfe kam, anders als heute, nicht jeder so einfach hinein. Was am neuen Standort aber natürlich doppelt und dreifach nicht anging, war der berittene Ferdinand auf der zentralen Brunnensäule, dem Elemente und Flussgötter huldigten, und das unter den Augen des regierenden Neffen. Das Reiterstandbild musste abmontiert werden. Ein Ersatz war rasch gefunden: Eine Ritterstatue vom unvollendeten Grabmal Wilhelms V., der ähnlich gut mit Geld hatte umgehen können, wie sein jüngerer Bruder und den sparsamen Maximilian vermutlich schon früh damit zum Zähneknirschen gebracht hatte.
Der Ritter wurde jetzt kurzerhand umgetauft in Otto I., den ersten bayerischen Herzog aus dem Hause Wittelsbach, und der neue, jetzt durch und durch kurfürstliche Residenzbrunnen war fertig!
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