Momentan wehen die weißen Vorhänge des Kunstprojekts „Replika“ (bit.ly/TYwUNC) in den Arkaden des Hofgartens. Sie sollen die historische Grünanlage im Herzen Münchens in ein bayerisches Abbild des venezianischen Markusplatzes verwandeln.
Die Rollen von Dogenpalast und Markusdom werden von Residenz und Theatinerkirche übernommen, Touristen und Straßenmusiker gibt es auch, das Tambosi war sowieso ursprünglich eine italienische Kaffeehaus-Gründung – bloß die Lagune und die Tauben (zumindest in kritischer Masse) fehlen noch.
Aber auch ohne venezianische Zitate war der Hofgarten schon immer ein wichtiger Platz zum Erholen und – im 17./18. Jh. fast noch mehr als heute – ein Ort zum klassischen Münchner Sehen- und Gesehenwerden. Und natürlich zum Promenieren auf den schattigen Wegen. Ein ordentliches Wegstück zurückgelegt hat dabei der Hofgarten selbst – ursprünglich lag er nämlich deutlich weiter im Nordosten, etwa an der Stelle des heutigen Marstallplatzes. Dort, hinter der ziemlich wuchtigen Neuveste, der Keimzelle der heutigen Residenz, die in einem trüben Wassergraben thronte, hatte Albrecht V. (reg. 1508-1550) einen ersten „italienischen Ziergarten über dem Bach“ anlegen lassen. Allzu viel wissen wir nicht darüber. Höhepunkt für die Zeitgenossen war, wie heute noch im eigenen Schrebergarten, gar nicht mal die Bepflanzung, sondern die Hütte für das gepflegte Feierabendbierchen – in Albrechts Fall war das ein kleiner Festpavillon, in dessen Obergeschoss der kunstbegeisterte Herzog einen berühmten Zyklus von Historienbildern anbringen ließ. Die Bilder, die heute als einziger Rest von der verschwundenen Pracht künden, hängen jetzt in der Alten Pinakothek mit dem Highlight der „Alexanderschlacht“ von Albrecht Altdorfer (1529).
Etwas später ließ Albrecht den Garten ordentlich nach Westen erweitern, etwa auf der Fläche der heutigen Staatskanzlei, und ein weiteres Lusthaus errichten – lange scheinen es die Herrschaften in ihren Gärten ohne ein schützendes Dach über dem Kopf nicht ausgehalten zu haben… An diese Anlage erinnert heute noch die begrenzende Arkadenreihe, die links an der Staatskanzlei vorbeiläuft und überraschend modern wirkt. 1987 wurde sie systematisch freigelegt und untersucht.
Es war dann erst Albrechts Enkel Maximilian I. der der Anlage zu Beginn des 17. Jh. ihr heutiges Gesicht gab. Um den von ihm erbauten neuen Trakten der Residenz um den Kaiserhof herum ein würdiges Vorfeld zu schaffen, ließ er jenseits des immer noch vor sich hin stinkenden Wassergrabens den „heutigen“ Hofgarten anlegen und mit symmetrischen Wegachsen, schnurgeraden Baumreihen und kompliziert gemusterten Zierbeeten versehen. In die Mitte kam – warum mit einer geliebten Tradition brechen ? – mal wieder ein Pavillon, ohne Bilder diesmal, dafür mit Wandbrunnen und einer symbolträchtigen Bronzefigur auf dem Dach (siehe: bit.ly/NkDCyn). Die tiefer liegenden, älteren Bereiche ließ Maximilian fluten und in dem neu entstandenen Weiher eine künstliche Insel anlegen.
So monumental aufgewertet brauchte die neue Anlage wahrlich nicht den Vergleich mit dem Markusplatz, dem damals noch das eine oder andere seiner touristischen Wahrzeichen fehlte, scheuen…
Im höfischen Leben spielte der neue Garten eine wichtige Rolle: Zumal im 18. Jh. fanden hier die regelmäßigen wöchentlichen Festlichkeiten statt, bei denen die Höflinge mit dem Kurfürsten in einer sorgsam inszenierten „ungezwungenen“ Situation zusammentreffen konnten. Im Winter passierte das in den Reichen Zimmern und nannte sich „Appartement“ – im Sommer aber versammelte man sich in Nymphenburg oder eben hier – die Veranstaltung hieß dann einfach: „Hofgarten“. Ob der eine oder andere Höfling hin und wieder aus der organisierten Fröhlichkeit ausgebrochen ist, um im 1775 eröffneten Tambosi eine Latte zu schlürfen, ist nicht überliefert. Wir haben es heute leichter und genießen ohne schweres Hofkostüm zwischen schattigem Laub und wallenden Vorhängen den Sommer in Münchens wohl ältester – schönster? – Gartenanlage.