Eine der schönsten Skulpturen der in dieser Hinsicht nicht gerade ärmlich ausgestatteten Residenz ist zugleich eine der am besten versteckten und am wenigsten bekannten: Es handelt sich um die vergoldete Aktfigur des auferstandenen Christus, der, das Kreuz in den Armen haltend, zwischen zwei bewundernden Putti thront.
Die muschelgeschmückte Nische, vor der die Figur steht, befindet sich über dem inneren Türsturz der Reichen Kapelle, dem kleinen, prunkvoll ausgestatteten Oratorium der bayerischen Herrscher unmittelbar neben der großen, dem Hofstaat zugänglichen Hofkapelle. In freier Umsetzung des Bibelworts: „Ich bin die Tür. Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden. Er wird hinein- und hinausgehen und eine gute Weide finden.“ (Joh. 10, 9) war die Christusfigur hier für den in die Kapelle Hinein- und Heraustretenden sinnvoll platziert. Zugleich bildete sie ein golden leuchtendes Gegengewicht zu der silbernen Pracht des Hauptaltars gegenüber, auf dessen zentralen Relieftafel die der Auferstehung vorausgehende Kreuzigung dargestellt ist.
Heute sind diese Bezüge leider nur noch mit vielem Halsverrenken aus der Untersicht zu erleben: Aufgrund notwendiger Sicherheitsbeschränkungen kann der sowieso enge Kapellenraum nicht in seiner ganzen Tiefe betreten werden. Zudem sind die meisten Besucher von der opulenten Ausstattung erstmal so absorbiert, dass sie nicht auch noch auf die Schmuckelemente unmittelbar über ihren Köpfen achten. Das ist einerseits schade, verleiht aber einer zufälligen „Entdeckung“ auch ihren eigenen Reiz, vor allem, wenn sich dann schnell das Gefühl verdichtet, diesem speziellen Gottessohn schon einmal an anderer Stelle begegnet zu sein. Tatsächlich handelt es sich hier eigentlich nicht um ein originäres „Münchner Kindl“, sondern um die Kopie eines, besser des berühmtesten Vorbildes: den marmornen „Cristo redentore“, den kein geringerer als Michelangelo 1519/21 für die römische Kirche S. Maria sopra Minerva schuf.
Diese lebensgroße Statue war von Anfang an gleichermaßen von Gläubigen wie von Kunstliebhabern hochverehrt, aber auch – wie meist bei Michelangelo – leicht skandalumwittert. Der Künstler hatte den Erlöser ursprünglich komplett nackt dargestellt. Die Entscheidung, ob dies seiner Begeisterung für das Vorbild der antiken Aktfigur geschuldet war, oder seinem gläubigen Bestreben, den Beweis für die tatsächliche Fleischwerdung des Menschensohns bis in letzte, schlagende Glied fortzuführen, sei der breit gefächerten Michelangelo-Forschung überlassen. Jedenfalls wurde der (Marmor)Stein des Anstoßes bald züchtig mit einer originell flatternden Bronzedraperie verhüllt. Die Betu(ch)lichkeit tat der Bewunderung für die Figur jedoch keinen Abbruch: Michelangelo hatte in seinem Christus sein Idealbild des menschlich-männlichen Körpers geschaffen. Es war ihm gelungen, die himmlische Verklärung des zuvor am Kreuz gefolterten Leibes durch eine Neuinterpretation antiker Götter-und Heldendarstellungen auf beeindruckendste Weise in seine Zeit und Kunstsprache zu übersetzen. So hatte er die Doppelnatur, den zugleich menschlichen wie göttlichen Aspekt seines Christus auf plausibelste Weise in den Marmor übertragen. Diese Leistung wurde rasch erkannt und entsprechend groß war der Wunsch von Europas gekrönten Häuptern, jeweils eine Kopie des gefeierten Meisterwerks für „daheim“ zu besitzen. In Rom ließ man sich aber verständlicherweise gehörig bitten. Auch der spätere Bayernherzog Wilhelm V., damals noch Kronprinz, der in Landshut Hof hielt, brauchte mehrere schriftliche Anläufe, um die begehrten, vom Original abgenommenen Abgussformen zu erhalten.
Vor allem durfte sein Vater, Herzog Albrecht V., nichts davon wissen: Wilhelm hatte bei der Einrichtung seines viel beachteten Musenhofs finanziell ziemlich über die Strenge geschlagen (ein Talent, das er von ebendiesem Vater geerbt hatte), und die Beziehungen Landshut-München waren in Hinsicht auf weitere Geldausgaben etwas angespannt. Dennoch trafen die abgeformten Gussschalen 1579 schließlich in Bayern ein: Wilhelms Kunstintendant, der Niederländer Friedrich Sustris, maulte zwar, sie seien schon ziemlich verbraucht, aber dennoch scheint er sie tatsächlich für die Herstellung einer Kopie des Michelangelo genutzt zu haben. Diese Kopie selbst ist allerdings verschollen. Ganz offensichtlich aber diente sie als Vorbild für Wilhelms Hofbildhauer Hubert Gerhard, der, die Kopie vor Augen, nun selbst eine verkleinerte, freie Variante des Motivs in vergoldeter Terrakotta schuf: Etwas graziler, mit leicht veränderter Armhaltung und etwas sinnvoller drapiertem, da von Anfang an mitgeplanten Lendentuch – aber weiterhin erkennbar eine Reverenz gegenüber dem gefeierten Michelangelo.
Spätestens seit 1607 schmückte die Skulptur die damals geweihte Reiche Kapelle und erinnert an dieser Stelle seitdem an den regen kulturellen Austausch zwischen Italien und Bayern!
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