„Diese Hitze“ wird dieser Tage unisono gestöhnt – mal wollüstig-entspannt, wenn man sich mit Eis, Pommes und Magazin bewaffnet im Freibad rekelt, mal besorgt von denen, die ihren ausgetrockneten Acker begehen, oder leicht hysterisch, wenn man in hochgeschlossener Geschäftskleidung vom stickigen Büro auf den flirrenden Asphalt vor dem Fenster blickt. Vermutlich war das in vergangenen Zeiten an manchem Sommertag im kurbayerischen München auch nicht anders, auch wenn z.B. das europäische 17. Jahrhundert meteorologisch als „Kleine Eiszeit“ in die Geschichte eingegangen ist und uns die Quellen bis ins 19. Jahrhundert hinein das Bild ziemlich vieler verregneter Augustmonate zeichnen…
Was konnten Residenzbewohner also tun an Tagen, die zwar brütend heiß waren, an denen aber dennoch das strikte höfische Zeremoniell galt, und das hieß: Hofkleidung – schwere, bestickte Stoffe, oft, vor allem im Fall der Damenmode, in mehreren Schichten übereinander. Die gepuderte Perücke, die dazu getragen wurde, war zwar saisonal mit Sommerblumen geschmückt und bot einen aparten Anblick, wird aber bei hohen Außentemperaturen kaum zum Lebensglück ihres Trägers beigesteuert haben.
Die Möglichkeit, Luft an (oder in) den Körper zu lassen, wurde durch das Modediktat systematisch verbaut: Vor allem in der Taille war die aristokratische Kleidung unangenehm figurbetont zusammengeschnürt, vor allem im 19. Jahrhundert, wo auch der elegante Herr schwitzend sein Päckchen zu tragen hatte mit superengen Hosen und grässlich dicht am Körper anliegender Oberbekleidung, den Hals eingeklemmt vom steifen Vatermörder-Kragen. Verständlich, dass für viele die Devise lautete, möglichst wenig zu Fuß gehen und drinnen zu bleiben – moralische und ästhetische Normen stützten sich hier gegenseitig und verschafften vor allem hitzeempfindlichen Hofdamen ein Alibi: Schließlich war, abgesehen von Jagden, ein erfrischender Galopp im Damensattel nicht vorgesehen und auch galt es, die vornehme Blässe des aristokratischen Teints zu wahren, die man zwar gern mit Schönheitspflästerchen („Mouches“) akzentuierte, aber nicht durch übermäßigen Aufenthalt im Freien einem unkontrollierten Wachstum von Sommersprossen aussetzen wollte.
Aber natürlich bestand die Münchner Hofgesellschaft nicht nur aus Stubenhockern: Die Entdeckung der bayerischen Alpen als touristisches Ausflugsziel blieb zwar dem 19. Jahrhundert vorbehalten, Freigänger und Sommersportler gab es aber auch schon früher. Die Wittelsbacher Kurfürsten waren daher bemüht, ihrem Hof entsprechende Freizeit- und Sonnenplätze zur Verfügung zu stellen: An erster Stelle sind hier natürlich die Sommerresidenzen zu nennen, vor allem Nymphenburg, damals noch vor den Toren der Stadt, mit seinem großen, unter Kurfürst Max Emanuel (reg. 1679-1726) reich ausgeschmückten Park. Hier ließ er auch die bald berühmte „Badenburg“ errichten, einen reich dekorierten und möblierten Wellnesstempel des Barock mit großem gekacheltem Schwimmbassin, in dem man sich – zumindest theoretisch – unter einem mit Wassernymphen bemalten Deckenplafond hätte erfrischen können.
Auch mobil konnte man den überhitzten Hof zu „Wasser lassen“: Im Auftrag von Max Emanuels Eltern, Kurfürst Ferdinand Maria (reg. 1651-1679) und seiner Gemahlin Henriette Adelaide, war schon 1662/63 ein großes Prunkschiff – der Bucentaur – am Würm-(dem heutigen Starberger) See gezimmert worden, ein vormoderner Luxus- und Partydampfer, der zu Fest und Feuerwerk auf den See gerudert werden konnte.
Bei solchen Gelebenheiten beliebte der Kurfürst selbst – sonst oft als eher dröge beschrieben –, zur Abkühlung und männlichen Selbstbestätigung unter dem vergoldeten Ungetüm hindurchzutauchen.
Was aber tun, wenn einen die Amtsgeschäfte in der Hauptstadt festhielten und das Ausweichen in die luftigere Sommerresidenz verboten? Die erhaltenen Inventare des 19. Jahrhunderts verzeichnen in den Dienerschaftsräumen hinter den Prunkgemächern und den weniger repräsentativen Treppenhäusern mehrere Sitzbadewannen aus Kupfer, die vielleicht für kühlende Gießbäder benutzt werden konnten. Der beliebteste Aufenthaltsort in der Residenz an heißen Tagen dürfte aber wohl der kleine, bereits in den 1580er Jahren angelegte Grottenhof im Herzen des riesigen Gebäudekomplexes gewesen sein: Zwei Loggien, von denen heute nur noch eine existiert, boten angenehmen Schatten und gewährten daneben den Ausblick auf das mythologische und allegorische Figurenprogramm der im zentralen Gartenparterre installierten Wasserspiele. Die Ausschmückung der kleinen Grottenhallen mit bizarr geformten Tuffstein und Korallen nährte die Illusion, sich im kühlen Wasserreich Neptuns zu befinden. Und wenn auch die aus Muscheln geformten Nymphenfiguren, die ihre Brüste verführerisch zur Schaus stellen, im Betrachter erotische Hitzewallungen aufkommen lassen mochten, konnten doch die Wasserstrahlen, die aus eben jenen Brüsten sprangen, gleich wieder zur Abkühlung verhelfen.
Auch für Sonnenanbeter bot der Hof einigen Komfort, denn das Oberbeschoss, in dem sich heute die Flucht der „Reichen Zimmer“ erstreckt, war ursprünglich nur zur Hälfte bebaut, während die hofseitige Fläche als Altane, also als terrassenartige Plattform hergerichtet und mit Pomeranzenbäumen und Figuren geschmückt war. Offenbar ein Erfolgsmodell, denn als in den 1680er Jahren diese Fläche gleichfalls überbaut wurde (passenderweise mit den sogenannten „Sommerzimmern“), verlegte man diesen mediterran angehauchten Terrassengarten einfach ein Stockwerk höher auf das Dach des neuen Flügels – noch näher zur Sonne…
Man sieht also, von jeher bot die Residenz ihren Besuchern auch in der warmen Jahreszeit so einiges an Attraktionen – und wenn auch denkmalpflegerische und konservatorische Gründe den Einbau der häufig angemahnten Klimaanlagen in unseren historischem Gemäuern verbieten, so belohnt der Gang durch unser sommerliches Schloss doch mit mancher heißen Entdeckung!