Vielleicht erinnern sich noch manche an Zeiten, die fast soweit zurückzuliegen scheinen, wie die Herrschaft des mythischen Herzogs Theodo über das damals noch ziemlich touristenleere Bayern – Zeiten, in denen man, anstatt ewig auf drohende Gewitterfronten zu starren, Sonntags von München aus einfach entspannt zum Baden an den Starnberger See fuhr…
In der Mitte des 17. Jahrhunderts zumindest scheint das Wetter in den residenzlichen Naherholungsgebieten verlässlicher gewesen zu sein. Sonst nämlich hätte Kurfürst Ferdinand Maria (reg. 1651-1679) wohl kaum den Auftrag für das weißblaue Wunder erteilt, das zwei Generationen lang praktisch als Synonym für extravaganten sommerlichen Freizeitspaß am bayerischen Hof gelten sollte: Der „Bucentaur“! Dieses riesige, dreistöckige „kurfürstliche Leibschiff“, das von 80 Rudern – und circa 150 schlecht bezahlten Ruderern – bewegt wurde, ließ der von Wassersport und Fischerei faszinierte Kurfürst 1662/63 am Ufer des Starnberger Sees zimmern.
Anlass war – wie letzthin häufig in unseren Beiträgen erwähnt – die Geburt des Kurprinzen Max Emanuel, ein mit so viel Glück und Erleichterung befrachteter Familienzuwachs, dass er eine wahre Wittelsbachische Bauwut auslöste: Theatinerkirche, Schloss Nymphenburg – und ein schwimmendes Schloss, nämlich die riesige Prunkgalerere bei Starnberg. Den Entwurf lieferte der Venezianer Francesco Santurini, der auch opulenteste barocke Bühnenbilder entwarf, was man dem fertigen Schiff ansehen konnte. Vorbild war der venezianische Bucentauro (der Name leitet sich wohl von „buzo d’oro“ – „goldenes Schiff“ ab). Auf diesem, einer riesigen Skulptur gleichenden, gänzlich vergoldeten Prunkschiff ließ sich das Staatsoberhaupt, der Doge, am Himmelfahrtstag in die Lagune rudern, um die Seerepublik Venedig mit einem goldenen Ring dem Meer zu vermählen…
Ganz so romantisch ging es in Bayern nicht zu: Statt dem Starnberger See Avancen zu machen, nutzte die kurfürstliche Familie das Leibschiff als Festsaal, als Bühne und als luxuriöses Jagdhotel. Und als Sprungturm: Ferdinand Maria scheint es geliebt zu haben, vor den Augen des Hofs unter dem Schiff hindurchzutauchen…
Auf dem Oberdeck schließlich hatten Musiker und Personal Platz. Am Rumpf zog sich ein bemalter Leinwandstreifen entlang, auf dem Wassergötter direkt aus den Wellen aufzutauchen schienen.
Wie noch heute mancher stolze Autobesitzer, durfte auch Ferdinand Maria bei der Beschreibung seines Luxusfahrzeugs mit Maßen und Zahlen protzen: 29 Meter lang und 7.5 breit war das schöne Ungetüm, 259.600 Nägel waren in die Planken gehämmert worden, und 14 Zentner Pech waren nötig, die Unterseite abzudichten, das alles für den stolzen Preis von 18.289 Gulden. Sogar ein Sprachrohr, das vom Steuer in die Ruderetage führte, gab es. Was es nicht gab, war Tiefgang: Der bayerische Bucentaur hatte einen Flachboden, was ihn bei Wind praktisch manövrierunfähig machte.
1666 etwa trieb ein plötzlicher Sturm das bei Possenhofen nachlässig vertäute Schiff auf den See hinaus. Kurfürstin Henriette Adelaide berichtet anschaulich in einem Brief ins heimatliche Turin, wie alles (vor allem sie) in Panik geriet, während ihre kleine Tochter – Max Emanuels ältere Schwester – die aufgelöste Mutter zu trösten versuchte. Schließlich strandete man seelisch ziemlich ramponiert und mit deutlicher Schlagseite in seichten Gewässern. Die kurfürstliche Familie musste die Nacht in einer Bauernhütte verbringen, wo die Prinzessin in einem Strohkorb schlief – auch eine neue Erfahrung… Zum Dank für die Rettung wurde dann erst mal eine Wallfahrt nach Altötting veranstaltet – auf dem sicheren Trockenen, dafür aber mit einem silbernen Modell der Galeere als Dankeschön an die hilfreiche Madonna im Gepäck.
Es muss ein prachtvoller Anblick gewesen sein, wenn das weiß-blau-goldene Schiff, begleitet von einer Flotte von Gondeln und Küchenbooten im Sommer über den See glitt. Etwas zum Träumen, wenn man selber im Tretboot auf dem Wasser dümpelt…
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