Ich bin einverstanden damit, daß meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind.
Tagebücher, 4.12.1922. In: Die Tagebücher, Hrsg. Jutta Bohnke-Kollwitz, Akademie-Verlag, Berlin 1989, S. 542
Käthe Kollwitz in der Walhalla – Aber wie?
Am Anfang steht die Idee einer engagierten Pädagogin. Gabriele Meuer, heute pensionierte Lehrerin der Käthe-Kollwitz-Schule Hannover, begeistert sich für die Namenspatronin ihrer Schule. Kollwitz, schon zu Lebzeiten Deutschlands bekannteste Künstlerin, wird noch heute nicht nur wegen Ihres künstlerischen Oeuvres, sondern auch wegen Ihres unerschrockenen politischen und sozialen Engagements verehrt.
Eine Künstlerin mit Vorbildcharakter
Geboren ist sie im ausgehenden 19. Jahrhundert, die Rolle der Frau befindet sich im Umbruch. Tochter liberaler Eltern, der Vater entdeckt und fördert ihr künstlerisches Talent schon früh. Als Kollwitz in den 1880er Jahren zum Studium an die Künstlerinnenschule nach München geht beginnt sie, sich mit der Geschlechterproblematik zu beschäftigen. Nach ihrem Umzug nach Berlin, wo sie mit ihrem Mann, dem Arzt Karl Kollwitz, lebt, rücken die schwierigen Lebensumstände des Proletariats in ihren künstlerischen Fokus. Doch dann passiert das Schreckliche, ihr jüngerer Sohn Peter fällt als Soldat 1914 in Flandern. Dies markiert einen Wendepunkt in ihrem Schaffen, sie wird zur Pazifistin. Kollwitz setzt sich mit Krieg und Tod auseinander, besonders die Folgen des Krieges für Frauen, Kinder und Familien beschäftigen sie. Damit schafft sie eine bis dato einzigartige weibliche Perspektive auf die schrecklichen Kriegserfahrungen. Die Wirkung ihrer Lithografien, Radierungen, Kupferstichen, Holzschnitten und Plastiken bleibt bis heute unmittelbar und scheint aktueller denn je. Wer vor den oft fast erschreckend düsteren Werken steht, fühlt sich in die Zeit ihrer Entstehung zurück versetzt. 1919 wird Kollwitz als erste Frau in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen, 1929 erhält sie als erste Frau den Orden „Pour le Mérite“ für Wissenschaft und Künste. Ihr Einsatz gegen den Nationalsozialismus zu Beginn der 1930er Jahre führt zu einem erzwungenen Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste. Ab 1935 ist sie faktisch mit einem Ausstellungsverbot belegt, ihre Werke werden aus Ausstellungen und Galerien entfernt. Dennoch bleibt das Ehepaar Kollwitz in Deutschland. Käthe Kollwitz versucht hier, ihre jüdischen Kolleginnen zu unterstützen. 1940 stirbt Karl Kollwitz, seine Frau folgt ihm nur 5 Jahre später am 22. April 1945. Was bleibt, ist nicht nur ihr umfassendes Oeuvre. Ihr Leben und ihre Haltung sind bis heute vielen Menschen ein Vorbild.
Und genau diese Vorbildfunktion ist es, die Gabriele Meuer dazu inspiriert, sich für die Aufnahme einer Büste von Käthe Kollwitz in die Walhalla in Donaustauf bei Regensburg einzusetzen. Ausgehend von einem Projekt des „Werte und Normen“-Kurses im 10. Jahrgang 2009/10 der Käthe-Kollwitz-Schule Hannover gründet sie die Initiative Käthe Kollwitz zu Ehren mit dem Ziel, eine Büste der Künstlerin zum nächsten Auswahltermin in der Walhalla zu platzieren. 2009 steht die Projektskizze. 2010 erfolgt der Antrag an die Bayerische Staatsregierung, dem schließlich 2017 stattgegeben wird. Letztendlich beteiligen sich zahlreiche Käthe-Kollwitz-Schulen, Museen und Förderer aus ganz Deutschland. Käthe Kollwitz wird die nächste Persönlichkeit sein, deren Büste in den weithin sichtbaren Säulentempel am Hang des Bräubergs aufgenommen werden sollen.
Ludwig I. und die Walhalla
Der bayerische König Ludwig I. ließ hier zwischen 1830 und 1842 von seinem Hofbauintendanten Leo von Klenze einen mächtigen Bau errichten, um die Ehrenbüsten historischer Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ aufzunehmen. Die Walhalla stand also bereits zu Lebzeiten Käthe Kollwitz‘. Ob sie erwartet hätte, dass auch ihre Büste hier einmal in einer Reihe mit beispielsweise Mozart, Gutenberg oder Dürer zu finden sein würde? Mit fast 4 Millionen Gulden war die Walhalla das kostspieligste Projekt des architekturbegeisterten Königs.
In Anlehnung an das antike Parthenon auf der Athener Akropolis aus dem 5. Jahrhundert vor Christus gestaltete Klenze einen klassizistischen Bau in Gestalt eines von Säulen umgebenen Tempels. Welche Bedeutung dieser Bau für König Ludwig hatte, zeigt sein Herrscherportrait aus dem Jahr 1826, entstanden lange vor Beginn der Bauarbeiten.
Wir sehen den Monarchen im Ornat, die Hand, das Zepter haltend, ruht auf der bayerischen Verfassung, neben ihr liegt die Krone. Und im Hintergrund, obwohl in der Realität noch nicht errichtet, erhebt sich die Walhalla. Ludwigs Intention bei der Errichtung des Bauwerkes war die Abbildung einer vereinten Kulturnation, die Zusammenstellung der im 19. Jahrhundert als vorbildlich erachteten Herrscher, Feldherren, Wissenschaftler und Künstler. Unser heutiger, deutlich reflektierterer Umgang mit der deutschen Geschichte und ihren Persönlichkeiten, geprägt von zwei Weltkriegen und den Gräueltaten des Nationalsozialismus, fehlte Ludwig und seinen Zeitgenossen. Gelesen als Spiegel zeitgenössischer Diskurse und Abbild geschichtlicher Prozesse bietet die Walhalla Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen Geschichte. Besonders vor diesem Hintergrund gewinnt die Aufnahme der Käthe Kollwitz noch einmal an Gewicht.
Käthe goes Walhalla – So entsteht die Büste
Unter dem Motto „Käthe goes Walhalla“ begleiten ab 2018 Schülerinnen und Schüler der Käthe-Kollwitz-Schule Hannover den Entstehungsprozess der Büste von Anfang an. Ein „Dokumentationsteam“ wird gebildet, welches die Entstehung filmisch und fotografisch festhalten wird. Der erste große Schritt auf diesem Weg: Ein Künstler muss gefunden werden, der die Büste anfertigt. Uwe Spiekermann, Steinbildhauermeister aus Hannover-Langenhagen und Niedersächsischer Staatspreisträger für das gestaltende Handwerk, wird mit dieser Aufgabe betraut.
Er hat das Handwerk bereits von seinem Vater erlernt und führt den Familienbetrieb nun in zweiter Generation. Spiekermann ist nicht nur Steinbildhauer, sondern auch geprüfter Restaurator im Handwerk. Beste Voraussetzungen also, um Käthe Kollwitz in Stein abzubilden.
Alles beginnt mit der Frage: Wer war Käthe Kollwitz?
Seine Arbeit beginnt mit Recherche. Wer war Käthe Kollwitz, was zeichnete ihre Persönlichkeit aus? Spiekermann reist zur Walhalla, will sich ein Gefühl dafür verschaffen, an welchem Ort seine Büste einmal stehen wird, ein genaues Anforderungsprofil erstellen. Vor Ort nimmt er an den vorhandenen Büsten Maß. Und er fährt nach Köln ins dortige Käthe Kollwitz Museum. Hier findet er zahlreiche Selbstportraits und Fotos der Künstlerin, die er abfotografiert, um sie als Vorlagen für seine Arbeit nutzen zu können. Die ersten Modelle fertigt er in Plastilin, einer weißen Modelliermasse. Diese kommt farblich dem Stein am nächsten, aus dem die Büste letztlich gefertigt wird: Laaser Marmor Bianco Statuario des „Weißwasserbruchs“. Dieser Stein wird nahe des Ortes Laas in Südtirol in über 2.000 Meter Höhe nur unter Tage abgebaut. Ein Transport des Steins ins Tal erfolgt aufgrund der steilen Berghänge nur über eine Seilbahn.
Ursprünglich wurden die Büsten in der Walhalla hauptsächlich aus Carrara-Marmor gearbeitet. Laaser Marmor übertrifft diesen in Härte, Qualität und Helligkeit, sodass er den italienischen Stein abgelöst hat. Spiekermann fertigt aus der Modelliermasse verschiedene Vorstudien an, alle zeigen Käthe Kollwitz in unterschiedlichen Lebensstadien. So findet er heraus, wie „seine“ Käthe Kollwitz einmal aussehen soll. Im August 2018 bringt er persönlich den 280 Kilogramm schweren Marmorblock nach Hannover.
Die „verlorene“ Form
Nun beginnen die Arbeiten am finalen Modell, dieses Mal in der tatsächlichen Größe der Büste. Im November erfolgt die Abnahme des Modells durch den Verein Käthe Kollwitz zu Ehren. Gemeinsam mit Spiekermanns Mitarbeitern Andrew Klinge und Rudolf Struck wird das Modell wird nun in Gips „abgeformt“, es wird rundum eine ca. 3 cm dicke Gipsschicht aufgetragen.
Nach dem Trocknen dieser Schicht wird sie in drei Teile getrennt und abgenommen. So entsteht eine negative Hohlform, die nach ihrer Zusammenfügung mit Gips ausgegossen wird. Dann wird die Hohlform abgeschlagen. Ähnlich wie bei den Karyatiden an der Gelben Treppe, geht dabei die Negativform „verloren“ und es entsteht ein ebenfalls hohles Gipsmodell. Dieses dient als maßgetreue Vorlage für die Büste aus Marmor. Um Lichtwirkung und Position einschätzen zu können, fährt Spiekermann mit diesem Modell zum Aufstellungsort. Alles passt.
Es wird ernst: Die Arbeit am Marmor
Für die präzise Übertragung in den Stein nutzt er dann das traditionelle Verfahren mit dem Punktiergerät. Dabei werden einzelne Messpunkte auf den Stein übertragen, um so sämtliche Maße 1:1 umsetzen zu können. Uwe Spiekermann stellt die Büste im Mai 2019 fertig, rechtzeitig zum Festakt. Etwa 200 Gäste wohnen der feierlichen Enthüllung in der Ehrenhalle der Walhalla bei. Natürlich auch die Schülerinnen und Schüler des Dokumentationsteams sowie Gabriele Meuer. Die Bayerische Schlösserverwaltung dankt ganz herzlich allen Beteiligten für ihr Engagement und den großen Einsatz.
Was lange währt, ist also endlich gut. Käthe Kollwitz‘ Büste steht in der Walhalla, in einer Reihe mit vielen anderen Deutschen, deren Gesichter uns daran erinnern sollen, verantwortlich und aufgeklärt mit der Geschichte umzugehen. Käthe Kollwitz wird selbst zum Erinnerungsort, ähnlich wie ihre Kunstwerke.
Wenn auch Ihr den neuesten Zuwachs in der Ehrenhalle der Walhalla einmal von Angesicht zu Angesicht sehen wollt: Die Bayerische Schlösserverwaltung lädt am 31. Mai 2019 zu einem Schlössertag in die Walhalla. Mit einem bunten Programm für die ganze Familie könnt Ihr bei freiem Eintritt die Walhalla – und natürlich auch Käthe Kollwitz – besuchen.