Geheimnisse

„Die Sache reducirt sich auf die beabsichtigte Restauration einer Ruine“ – der unspektakuläre Start von Schloss Neuschwanstein im Jahr 1868

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Mit nur wenigen Zeilen berichteten die Zeitungen im Jahr 1868 über den Beginn von Bauarbeiten auf der sog. Jugend oberhalb von Hohenschwangau, ohne zu ahnen, dass dies der Startpunkt eines der weltweit berühmtesten Bauwerke sein würde. Nachdem zu Beginn nur von einer „Restauration einer Ruine“ gesprochen wurde, zeigte sich nach und nach, dass König Ludwig II. viel mehr im Sinn hatte.

Das mediale Großereignis der geplanten Hochzeit König Ludwigs II. mit Prinzessin Sophie im Jahr 1867 endete mit einem Knall im Oktober desselben Jahres, dessen Schockwellen noch lange Zeit die Öffentlichkeit bewegte. Die Aufarbeitung, Analysen und Kommentierungen hierzu füllten noch über Monate die Gazetten im In- und Ausland. Anfang 1868 flaute das Interesse langsam ab und es schienen zum Leidwesen der Presse keine weiteren Sensationen zu diesem Thema mehr auf. König Ludwig hatte sich von den Strapazen in die Berge geflüchtet, aber ab Mitte Januar 1868 erwischte ihn ein starker Katarrh, der ihn monatelang nicht los ließ. (Augsburger Abendzeitung vom 14. Januar 1868) Bis in den Frühling hinein kämpfte der König, immer wieder ans Bett gebunden, mit rheumatischen Schmerzen (Augsburger Abendzeitung vom 17. Februar 1868), entzündlichen Luftröhren-Katarrh (Bayerischer Kurier vom 04. März 1868) oder einem höchst schmerzhaften Zahngeschwüre (Passauer Zeitung vom 28. März 1868). Der überraschende Tod seines Großvaters Ludwig I. am 29. Februar 1868 war dabei ein weiterer schwerer Schlag für den jungen König, der nicht zu seiner Genesung beitrug.

Erst im Laufe des Aprils 1868 erholte sich Ludwig II. langsam von dieser hartnäckigen Krankheit, bei der er seit zweiten Februar wegen Unwohlsein nicht mehr das Zimmer verlassen hat“. (Straubinger Zeitung vom 19. April 1868). Die erzwungene Pause von den anstrengenden Pflichten der Regierungsgeschäfte bereitete wohl aber für König Ludwig den kreativen Nährboden für ein neues Bauprojekt, das sich Mitte April 1868 bei ihm langsam formierte und das sofort mit großem Elan angegangen wurde. Noch von der Öffentlichkeit unbemerkt wurden Konzepte erarbeitet, Vorlagenbücher zum Thema mittelalterlicher Burgen bestellt und erste Pläne skizziert. Erst am 21. Mai 1868 erfuhr die überraschte Öffentlichkeit von der Augsburger Abendzeitung, dass im Auftrag des Königs […] sich der k. Rath Düfflipp, Oberbaurath Riedl und Maler Jank nach Eisenach [begaben], um von dort aus die Wartburg zu besuchen und Pläne dieses alten Schlosses aufzunehmen. Auf dem Rückweg werden sie in Nürnberg eintreffen, um dort die k. Burg in Augenschein zu nehmen.

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Skizze von der Wartburg in Thüringen, wohl um 1868

Der Grund der Reise verdiente damals im Bamberger Tagblatt nicht mehr als drei Zeilen: Dem Vernehmen nach will sich Se. Maj. der König ein neues Schloß bei Hohenschwangau bauen, dem die Wartburg bei Eisenach und die k. Burg zu Nürnberg zum Vorbild dienen sollen. (Ausgabe vom 22. Mai 1868)

An etwas Besonderes dachte damals wohl niemand so richtig, eher wurde das ganze Vorhaben klein geredet wie die Allgemeine Zeitung vom 27. Mai 1868 kommentiert: Kürzlich hat die Nachricht von dem Bau eines großen neuen Schlosses in unmittelbarer Nähe von Hohenschwangau die Runde durch die Zeitungen gemacht. Die Sache reducirt sich auf die beabsichtigte Restauration einer Ruine.“ Alles sollte ganz einfach sein, wie die Passauer Zeitung noch am 29. Mai berichtet: „Da der König befohlen hat, daß die Restauration in dem ursprünglichen, ganz einfachen altdeutschen Styl vorgenommen werde, so haben einige Hofbeamte sich näher über die bereits früher zur Ausführung gelangte Restauration der Wartburg und der Burg zu Nürnberg (desselben Styls) an Ort und Stelle instruirt. Im Geheimen wuchsen derweil die Vorstellungen König Ludwigs von seiner neuen „Wartburg“ in immer größere Dimensionen, angeregt vielleicht auch von der Premiere der Richard Wagner Oper „Meistersinger in Nürnberg“ am 21. Juni 1868 in der Münchner Hofoper.

Nachdem Mutmaßungen über den Bau eines Schlosses von offizieller Seite stets dementiert wurden, sickerten im Juli 1868 neue Details der geplanten Burg durch, die nun schon drei Stockwerke hoch werden sollte, wie die gut informierte Passauer Zeitung vom 21. Juli 1868 wusste. Kurz zuvor begannen in Hohenschwangau bereits Untersuchungen der alten Burgruine und des Baugrundes.

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Skizze einer Längenansicht des Burgbergs auf der Jugend bei Hohenschwangau mit geognostischer Colorirung (die Vegetation des Waldes weggedacht) von Carl Wilhelm Gümbel im Juni 1868

Für die Erschließung des Bauplatzes musste eine Zufahrtsstraße neu gebaut werden: Schon liegt die reizend angelegte Straße zur Burg zum größten Theil fertig. (Aschaffenburger Zeitung vom 22. Juli 1868) Von einer unscheinbaren, vielleicht sogar denkmalpflegerischen Restauration der alten Ruinen war allerding nun keine Rede mehr. Spaten, Schaufel und Pickel arbeiten in reicher Anzahl am neuen Werke der Burg selbst. Aber wie alles Gute und Schöne sein Hinderniß und das Veraltete nicht selten die härteste Lebenszähigkeit hat, so auch hier. Der uralte Burgthurm trotzt, als wäre er konkordatmäßig mit den Felsen verwachsen, dem Eisen des Pickels und der Schaufel, er will seinen so viele Jahrhunderte alten Besitzstand nicht aufgeben, muß aber der jüngeren Macht des groben Pulvers endlich doch erliegen, so felsenfest auch sein Gemäuer ist, dessen Kraftmaterial ein ersprießliches Studium für jene unserer Bautechniker wäre, denen so oft nichts als ein Neubau unter den Händen einfällt. (Würzburger Anzeiger vom 24. Juli 1868)

Der Lärm der Arbeiten zur neuen Burg wurde sogar im fernen Köln am Rhein noch wahrgenommen: Hohenschwangau. Die friedliche Stille dahier wird in neuester Zeit täglich zwei Mal durch ein alarmirendes Geräusch unterbrochen, welches uns plötzlich in die Nähe eines Schlachtfeldes zu versetzen scheint. Es rührt dies von den Felssprengungen her, welche für den projectirten Bau des neuen Schlosses Statt finden. […] Um den Bau des neuen Schlosses, welches hier sich erheben soll, zu ermöglichen, finden seit nunmehr länger als einem Monat täglich zwei Mal, Mittags gegen 12 Uhr und Abends gegen 6 Uhr, Felssprengungen Statt, deren gewaltiger Widerhall von den Bergen die weite Umgegend mit einem donnerähnlichen Krachen erfüllt. (Köln‘sche Zeitung vom 8. September 1868) Schon lockte die königliche Baustelle Schaulustige an die sich das lautstarke Spektakel nicht entgehen lassen wollten: Von der auf schwindelnder Höhe über den Pöllatfall führenden Marienbrücke kann man um die angeführte Zeit jene Sprengungen vollständig und gefahrlos mit ansehen. Nachdem die circa hundert Arbeiter den Platz verlassen haben, werden von den letzten zurückgebliebenen die Lunten angelegt. Die drei oder vier Männer, welche dies auszuführen haben, flüchten dann schleunig hinter die Ruinenreste hinab, worauf die Explosionen erfolgen, welche – mit den emporschießenden Rauchsäulen und Stein-Fontainen – vulkanischen Ausbrüchen gleichen. (Augsburger Anzeigenblatt vom 5. September 1868)

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Ansicht von der Marienbrücke auf das gesprengte Plateau der Jugend, undatiert, nicht vor 1869, Stadtarchiv Füssen, sog. Schradlerplatten

Der Strom der Neugierigen, welche die neue Perle für unser Gebirg (Lindauer Tagblatt vom 23. Juli 1868) sehen wollten, hat seit dieser Zeit auf der Marienbrücke nicht mehr nachgelassen. Und auch wir sind gespannt auf weitere News zu den Bauarbeiten von Schloss Neuschwanstein, die 1868 vor 155 Jahren lautstark begannen.

 


Titelbild: Schloss Neuschwanstein, Foto: Heiko Oehme