Vor 150 Jahren, im Dezember 1872, freute sich König Ludwig II. auf seinen frisch fertiggestellten goldenen Puttenschlitten. Leider wurde die Vorfreude auf sein königliches Weihnachtsgeschenk und damit auf eine romantische Schlittenfahrt in den Bergen – zunächst – getrübt. Wie es dazu kam und wann Ludwig II. dann doch seine erste Fahrt mit dem heute weltbekannten Schlitten machen konnte, interessierte schon damals die Zeitungsleser in Bayern und darüber hinaus.
Zu welchem Zeitpunkt genau König Ludwig II. den Befehl für den Bau eines Schlittens gab, ist nicht bekannt. Gut vorstellbar ist aber, dass ihm bei der „Top-Secret-Besichtigung“ seines im November 1871 fertiggestellten großen Galawagens und in Anbetracht der damaligen winterlichen Verhältnisse ein alternatives Fortbewegungsmittel mit Kufen in den Sinn kam. Eine erste Ideenskizze lieferte der königliche Theaterdirektor Franz von Seitz im Januar 1872, die der König rigoros kritisierte und nach seinen Wünschen verbesserte.
Gleichzeitig bahnte sich schon der „Fall Gmelch“ an, wodurch dem König die Lust auf seinen pompösen Galawagen und den verantwortlichen Wagenbauer gehörig verging. Für die Arbeiten am Schlitten war deshalb nach dem Befehl Ludwigs an seinen Hofsekretär verschärfte Diskretion geboten: „Die Arbeiten soll Hofsattler ,Meyer‘ erhalten, und möchten Herr Hofrath diesem Vorsicht und Stillschweigen anempfelen [!].“
Nach einigen Korrekturrunden – die sich für die Motive der Bilder bis in den August 1872 hinzogen – begannen die Arbeiten schließlich Anfang April 1872, worauf eine versteckte Inschriftenplatte am Schlitten weist:
„Auf Allerhöchsten Befehl Seiner Majestät des Königs Ludwig II. von Bayern / wurde dieser Schlitten von dem kgl. Hofsattler u. Wagenfabrikanten Joh. Mich. Mayer, nach dem / Entwurfe des kgl. Directer [!] Franz Seitz, erbaut. Die figürlichen Bildhauerarbeiten wurden von S. Eberle / die ornamentalen von P. Karg ausgeführt. Die Bilder malte Frhr. v. Pechmann die Stickerei lieferte / H. Alckens und die Metallarbeiten Joh. Stroblberger. Sämmtliche Arbeiten wurden in München gefertigt / Begonnen wurde der Schlitten am 1ten April 1872 vollendet am 30. November 1872“
Je näher der vom König gewünschte Fertigstellungstermin (Dezember 1872) heranrückte, desto schwieriger wurde es für den Münchner Wagenbauer, das goldene Prunkstück vor neugierigen Blicken geheim zu halten. Schon Mitte November 1872 lüftete der Nürnberger Anzeiger den Schleier um das neue Schneegefährt des Königs, der sich gerade lieber in Hohenschwangau aufhielt als in seiner Residenzstadt: „Ob während des Aufenthaltes dahier der im Bau begriffene wundervolle Schlitten im reichsten Renaissance-Styl aus der Zeit Ludwigs X.V. zur Benutzung kommt, wird in noch höheren Regionen entschieden, denn die erste Bedingung wird wahrscheinlich eine Schlittenbahn sein, es müßte denn auch „auf Salz“ gehen.“ (Nürnberger Anzeiger vom 14.11.1872)
Allen Verschwiegenheitsgeboten zum Trotz konnte sich der König am 10. Dezember 1872 über folgende Meldung im Fränkischen Kurier ärgern: „In der Mayer’schen Wagenfabrik in der Schönfeldstraße zu München war heute ein für den König gefertigter prachtvoll ausgeführter und schwer vergoldeter Schlitten ausgestellt. Der Werth desselben soll beinahe die Summe von 100.000 fl. erreichen.“ Verständlich, dass Ludwig II. wünschte, es solle dem indiskreten Wagenbauer Mayer der Kopf gewaschen werden: „Zu der gestrigen Notiz über den Schlitten in der Mayer’schen Wagenfabrik ist nachzutragen, daß derselbe nicht zur öffentlichen Besichtigung ausgestellt war, sondern bei einem Geschäftsbesuch daselbst gesehen wurde.“ (Münchner Bote vom 12.12.1872)
Aber die Neuigkeiten über das sensationelle Schlittengefährt hatten sich schon wie ein Lauffeuer in München herumgesprochen: „Gestern und vorgestern strömten Hunderte von Leuten in die Schönfeldstraße, um in der Hofwagen-Fabrik von Mayer einen Galla-Schlitten [!], der dort auf Bestellung für den König gefertigt wurde, zu besichtigen. Dieser Schlitten ist ein wahres Meisterwerk der Bildhauerei, Malerei, Stickerei und über alle Beschreibung schön und reich. Dazu kommen die zu diesem Schlitten ebenfalls von Mayer gefertigten Pferdegeschirre, die an Eleganz und Reichthum alles übertreffen.“ (Landshuter Zeitung vom 13.12.1872) Die Kunde des Wundergefährts überwand schnell die Grenzen Bayerns womit sich auch gleich die vermuteten Kosten (nach Preußischen Preisen?) verdoppelten: „Als ein Seitenstück zu seinem vielbesprochenen Galawagen hat der König von Bayern sich jetzt einen Schlitten bauen lassen, der an Pracht alle Schlitten der Welt überbietet. […] Selbst die Deichsel ist vergoldet und mit blauem Sammt ausgeschlagen: den Werth des Ganzen schätzt man auf 200.000 Gulden. Der Schlitten wurde dieser Tage nach Hohenschwangau geschickt und wird auf den wilden Wegen des Baierischen Gebirges seine erste Fahrt machen.“ (Beilage der Berliner Börsenzeitung Nr. 586 vom 14.12.1872)
Dort zu Hohenschwangau wartete der König bereits sehnsüchtig auf sein weihnachtliches Geschenk, das unglücklicherweise nicht unversehrt ankam. Auch dieses Malheur schlug journalistische Wellen: „Der für S.M. den König gefertigte Galla-Schlitten [!] wurde auf dem Transporte von hier nach Hohenschwangau stark beschädigt, indem die daran angebrachte Krone und 2 der Figuren abgebrochen sind. Der Schlitten ist bereits wieder zur Reparatur gegeben.“ (Amberger Volkszeitung vom 30.12.1872) Die Dresdner Nachrichten aus Sachsen hatten flinkere Informanten in Bayern: „Der Schlitten, den sich der König von Bayern hatte bauen lassen […] ist bereits zerbrochen. Er war nicht für die Gebirgswege eingerichtet. Es war ein strenges Verbot ergangen, daß der Schlitten nicht länger dem Publikum gezeigt würde; gleichwohl ist das Geheimniß nicht zu wahren gewesen.“ (28.12.1872) Die Causa „zerbrochene Kronen“ veranlasste die Journalisten des „Bayerischen Vaterlands“, zum Neujahrstag grundsätzlichere, politische Schlüsse zu ziehen: „Der k. Prachtschlitten ist beim Transport nach Hohenschwangau übel weggekommen, indem die Krone darauf zu Verlust ging und zwei Figuren abgebrochen wurden. Beim Schlitten ist doch das Gute, daß eine verlorne oder zerbrochene Krone wieder ersetzt werden kann. Im neuen Deutschland aber pflegt man seit 1866 wegen zerbrochener oder sonst zu Verlust gegangener Kronen nicht viel Aufhebens zu machen, weil man schon ziemlich daran gewöhnt ist.“ (Ausgabe vom 01.01.1872)
Nun hieß es auch für einen König geduldig warten, bis der Schlitten wieder repariert und fahrbereit war. Ende Februar 1873 will man eine Reise Ludwigs nach Hohenschwangau mit der Erstlingsfahrt des goldenen Puttenschlittens in Verbindung bringen: „Wie uns mitgetheilt wird, ist die Reise des Königs nach Hohenschwangau lediglich durch den Schneefall veranlaßt worden. Es soll nämlich einmal der neue Prachtschlitten, welcher wieder reparirt [!] ist, probirt [!] werden.“ (Bayerisches Vaterland vom 26.02.1873) Tatsächlich hatte König Ludwig den Schlitten aber bereits am 13. Februar 1873 ausprobiert, was er sogar in seinem Tagebuch als „Schlitteneinweihungstage“ notiert hat.
Bekannt ist der goldene Gala-Schlitten heute vor allem wegen seiner technisch innovativen Beleuchtung, die der König nachträglich einbauen ließ.
Dieses Bild, des durch eisige Hochgebirgsnacht brausenden, elektrisch beleuchteten Prachtschlittens mit dem Bayerischen Monarchen unter einer warmen Hermelindecke, beglückte alljährlich im Winter die Anwohner um Linderhof und Neuschwanstein. Einen kleinen Eindruck von diesem faszinierenden Ereignis kann man heute noch beim Besuch des Nymphenburger Marstallmuseums bekommen, wo der Schlitten in seiner ganzen Pracht ganzjährig bewundert werden kann.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch – mit oder ohne Schlitten – ins Jahr 2023.
Ihr Alexander Wiesneth
Literaturhinweise
MENNEL, Arthur: Die Königsphantasien. Eine Wanderung zu den Schlössern König Ludwigs II. von Bayern. Leipzig 1888.
KOBELL von, Louise: König Ludwig II. von Bayern und die Kunst. München 1898.
PETZET, Michael: König Ludwig II. und die Kunst. München 1968.
WACKERNAGEL, Rudolf H.: Staats- und Galawagen der Wittelsbacher. 2 Bände. München 2002.