Endlich – das Warten hat ein Ende. So viele zuversichtlich – und vorsorglich – aufgesetzte Designer-Sonnenbrillen in der Münchner Innenstadt können nicht irren: Der Frühling naht. Die Sonne ziert sich vielleicht streckenweise noch etwas, aber richtig: sie kommt wieder. Wie sie das macht, mit der ihr eigenen Grandezza und doch gleichzeitig unnachahmlich nonchalant, zeigt eines der wundervollsten Stücke in der reichhaltigen Sammlung historischer Prunkuhren in der Residenz.
Gefertigt wohl um 1730 in Frankreich und versehen mit einem Werk des Pariser Meisters Le Noir, steht die große „Pendule“ (Pendeluhr) aus vergoldeter Bronze heute im Audienzgemach der 1730/37 von François Cuvilliés ausgestatteten „Reichen Zimmer“, dem Prunkappartement des Kurfürsten Karl Albrecht, nachmals Kaiser Karl VII. (reg. 1726-1745). Ein hochbedeutender Platz für eine ausgesprochene Kostbarkeit also, an dem unsere Uhr schon sehr früh, mindestens seit 1769 dokumentiert ist.
Unter dem kreisrunden, weiß emaillierten Zifferblatt breitet sich ein zweites Rund aus goldenen Strahlen aus: Im Zentrum dieser glänzenden Aureole thront mit der Lyra in der Hand Apoll, der Gott der Sonne und der Künste, in seinem Wagen, einem schicken kleinen, zweirädrigen Modell Marke „Parnass“, der von dem feurigen Hengst Aethon („der Glänzende“) und seinen drei Brüdern Pyroeis, Eous und Phlegon gezogen wird. Das Motiv passt wunderbar zu einer Uhr, denn Apoll ist als Gott der Sonne auch der Herr der Jahreszeiten und des Tageslaufs, verkörpert durch die geflügelten Stunden, die sich in der Nacht in seinem Palast versammeln. Zwei dieser vierundzwanzig kurzlebigen, zumindest flüchtigen Damen stemmen denn auch das mit Adlerköpfen geschmückte Uhrengehäuse über dem Götterwagen in die Höhe. Auf der Spitze balanciert ein Putten-Pärchen, das den Erdball ausmisst und wohl berechnet, ob der goldenen Pferde-Quadriga auf ihrer langen Reise die Puste ausgehen wird. Denn dargestellt ist der Moment, in dem jeden Morgen der feurige Sonnenwagen aus den Wellen des östlichen Ozeans auftaucht und entlang der Bahn der Tierkreiszeichen in den Himmel rast, um erst am Abend am anderen Ende der kreisrund gedachten Welt wieder in die Fluten des westlichen Weltmeers einzutauchen – vermutlich mit einem großen Zischen…. Dort aber ist dann erst einmal Boxenstopp und Erholung angesagt, denn auf dem kühlen Grund erwartet die schöne Meeresgöttin Thetys mit ihren Nymphen den Gott in ihrer Grotte, um ihn dort mit viel Liebe und Wellness fit für das nächste Tagesrennen zu machen (wie Apoll dabei wieder nach Osten gelangt, verschweigt der Mythos hingegen klüglich).
Besondere Aufmerksamkeit erlangte das unterirdische Götter-Spa im 17. Jahrhundert dank einer Attraktion der Gärten des französischen „Roi Soleil“ Ludwig XIV. in Versailles: Der berühmten, ab 1666 eingerichteten „Thetysgrotte“ nördlich des Schlosses, die als realer Bau zwar nur kurze Zeit existierte, deren prunkvoll-bizarre Ausstattung aber durch Kupferstiche, Beschreibungen und eine vielgelesene Verserzählung von Jean de La Fontaine international Bekanntheit erlangte. Der Apoll der Münchner Uhr orientiert sich in Haltung und Typus an der lebensgroßen Skulptur des ruhenden Gottes, die die Bildhauer Girardon und Regnaudin für die Grotte entworfen hatten.
Nur ein paar hundert Meter weiter westlich bot der königliche Garten eine zweite eindrucksvolle Vergegenwärtigung des antiken Sonnenmythos, die als das unmittelbare Vorbild der Münchner Uhr anzusehen ist: In der Hauptachse des Schlosses fährt der Sonnenwagen mit den wild Wasser schnaubenden Rossen unter einer gewaltigen Fontäne aus dem sogenannten „Bassin d’Apollon“ heraus auf die Gartenfront des Palastes zu. Die berühmte, vielfigurige Brunnengruppe aus vergoldetem Bei, die 1668/71 von Jean-Baptiste Tuby geschaffen wurde, gehörte (und gehört) zu den Highlights jedes Schlossbesuchs, vor allem wenn der „Fontainier“ die in Versailles notorisch knappen Wasserressourcen anzapfte und es aus den voll aufgedrehten Düsen richtig spritzen ließ…
Klar also, dass zahlreiche Nachschöpfungen dieser eindrucksvollen Komposition entstanden, wie eben die verkleinerte, zu Uhr umgedeutete Version, die wir heute fern von Versailles in München bewundern können und von der mindestens zwei Exemplare hergestellt wurden. Noch einmal nämlich (mit anderem Podest) steht unsere Pendule in ähnlich hochherrschaftlicher Umgebung in Fontainebleau, dem königlichen Jagdschloss bei Paris.
Es ist daher angenommen worden, dass die Münchner Uhr ein diplomatisches Geschenk des französischen an den kurbayerischen Hof gewesen sein könnte, der mit Versailles in der ersten Hälfte des 18. Jh. enge politische und kulturelle Verbindungen unterhielt. Die Miniaturausgabe eines international bekannten Beispiels französischer Hofkunst im kurfürstlichen Audienzzimmer zu platzieren, war für jeden Gesandten, der Visite bei Karl Albrecht machte und die Zeichen zu lesen verstand, ein deutlicher Hinweis auf diese wichtige Allianz. Noch später vermerkt auch das Inventar von 1769 explizit: „Unter der Uhr siehet mann das Ebenbild von dem grossen Bassin zu Versailles von Bronze d’orée“.
Wer die schimmernde Prunkpendule partout nicht bemerken wollte, der konnte auch noch akustisch alarmiert werden – immerhin ist Apoll auch der Gott der Musik: Im Inneren des (übrigens wohl nicht mit der Uhr zusammen angefertigten) Postaments mit kostbarem Schildpattfurnier befindet sich ein Spielwerk, dessen Walze einst gleich sechs Melodien klimpern konnte. Heute ist die Verbindung zum Uhrwerk gekappt und die Glocken schweigen – vielleicht besser so. Wir freuen uns stattdessen an einen ruhigen Sonnenaufgang, der unseren Besucherinnen und Besuchern jetzt täglich längere Tage und (hoffentlich) immer mehr Sonne verspricht….