Zu den wenigen gänzlich von Grund auf rekonstruierten Räumen der Residenz gehört neben dem großen, häufig für Konzerte und Veranstaltungen genutzten Kaisersaal am Hofgarten auch der westlich an diesen anschließende Vierschimmelsaal. Erbaut und eingerichtet wurden sie beide ursprünglich im ersten Viertel des 17. Jh. Übrigens ist hier einmal nicht die umfängliche Zerstörungskraft des Weltkriegs Ursache für den Untergang eines frühbarocken Raumkunstwerks,
sondern die Baulust des frühen 19. Jh.
Damals ließ der neue Hausherr der Residenz, Kurfürst Max IV. Joseph (reg. 1799-1825), der bald schon, ab 1806, als erster bayerischer König seine Ordnungsziffer mit Bedacht wieder mit römisch I., also Max I. Joseph, neu anzählen sollte, auch sonst reinen Tisch zu machen: In der ererbten Residenz fanden er und seine Gemahlin Karoline von Baden bei Regierungsantritt keine Räume vor, die ihnen den notwendigen zeitgemäßen Komfort zu bieten schienen. So wurde kurzerhand Einbau und modische Einrichtung neuer Räumlichkeiten in die bestehende architektonische Hülle befohlen und zwar in den Bereichen der Schlossanlage, deren überkommene Ausstattung am entbehrlichsten schien – nämlich eben an Stelle von Kaiser- und Vierschimmelsaal.
Erst als diese klassizistischen Wohn- und Repräsentationsbereiche der frühen Königszeit 1944 stark beschädigt worden waren, entschied man im Zuge des Wiederaufbaus, auf Basis der (schriftlichen) Quellen und mit Hilfe des seinerzeit deponierten und daher erhaltenen Bilderschmucks aus dem 17. Jh. die barocken Räumlichkeiten, soweit möglich, wiederherzustellen.
Der erste Vierschimmelsaal diente als Tafelstube (also Speisezimmer) und räumlich-zeremonieller Auftakt zu der nach Süden hin anschließenden Raumflucht der sogenannten Stein- oder Kaiserzimmer. Diese Reihe von prachtvoll ausgestatteten Prunkräumen hatte der Herzog und spätere Kurfürst Maximilian I. (reg. 1597-1651) als pompöse Gästewohnung für das durchreisende Staatsoberhaupt, also den römischen Kaiser, einrichten lassen. In diesen Jahrzehnten war das bekanntermaßen regelmäßig ein Vetter der Wittelsbacher aus dem geliebt-gehassten Konkurrenzgeschlecht der Habsburger, der auf seinem Weg zu oder von Krönungsfeierlichkeiten und Reichstagen in München Station machte und dort nicht nur angemessen beherbergt, sondern auch beeindruckt werden sollte: „Nichts gegen Wien“, so die Botschaft, „reizende Leute, hübscher Dialekt, gutes Essen – aber was ist das habsburgische Wien samt Hofburg gegen die Residenz der Wittelsbacher ??“
Zu einer solchen Inszenierung kaiserlicher Würde und herrschaftlicher Macht (wohl eher des bayerischen Hausherrn…) trug die künstlerische Ausstattung der Tafelstube entscheidend bei. Den Raumeindruck beherrschte ein gewaltiger, reich dekorierter Kachelofen, der praktisch als monumentale Skulptur durchging. Über der kaiserlichen Tafel war zudem ein perspektivisches Architekturbild montiert, zur Gänze gefertigt aus Scagliola – also Einlegearbeit aus farbigem Stuckmarmor! Letztlich noch wichtiger aber war das Bildprogramm der in Felder eingeteilten Decke: Hier hatte Hans Rottenhammer in einzelnen Bildern die symbolische Siebenzahl der seit der Antike bekannten Planeten dargestellt, verkörpert in den Gestalten der olympischen Götter, denen sie ihre Namen verdankten:
Es treten auf der Götterkönig Jupiter und sein entthronter Vater Saturn, dazu die Kinder Venus, Mars und Merkur, schließlich die jungfräuliche Jägerin Diana als Herrscherin des Mondes. Diese sechs umgaben ein zentrales Gemälde, das wohl von der Hand des Mathias Kheimon stammte. In kreisrundem Format, das bereits auf die weltumspannende Harmonie der konzentrisch umeinander kreisenden Planetensphären anspielte, zeigte es Apoll, den Sänger der kosmischen Sphärenmusik und Gott der Sonne. Dargestellt in raffinierter Untersicht und perspektivischer Verkürzung, raste er in seinem flammenden Feuerwagen über den gemalten Wolkenhimmel. Und damit löst sich übrigens auch die häufige Frage unserer Besucher nach dem scheinbar eigenartigen Namen des Saales! Denn bei den vier Schimmeln handelt es sich nicht um variantenreichen Pilzbefall oder ähnliches, sondern um die vier von Apoll gelenkten weißen Hengste, die gemalte Quadriga von Schimmeln, deren künstlerische Umsetzung die Zeitgenossen wohl so beeindruckte, dass sie die rasanten Renner zu den Maskottchen und Titelhelden der kaiserlichen Tafelstube erkoren.
Mit der Sonne im Zentrum der Deckel als Sinnbild des Fürsten, der alles weise in Einklang mit dem ewigen, göttlichen Gesetz regiert, stellte der Planetenzyklus des Vierschimmelsaals nicht nur ein beeindruckendes Herrschaftskonzept vor – sondern auch ein frühes Beispiel des erst ca. 60 Jahre zuvor veröffentlichten kopernikanischen Weltmodells, das erstmalig die Sonne im Mittelpunkt des Alls etablierte: Künstlerische Machtrepräsentation und innovative wissenschaftliche Welterklärung gingen hier eine interessante Verbindung ein!
Das Schicksal hat den Planetenbildern der Residenz übel mitgespielt: Bereits 1674 gingen sie bei einem verheerenden Residenzbrand zugrunde. Für ihre anerkannte Bedeutung spricht, dass Kurfürst Max Emanuel befahl, das zerstörte Bildprogramm des Saales getreu der erhaltenen Beschreibungen zu erneuern – es handelt sich hier also bereits um eine erste, frühe Form von Rekonstruktion. Es sind heute also diese, um 1692/94 gemalten Zweitversionen der ursprünglichen Darstellungen der Planetengottheiten, die der Besucher des Vierschimmelsaals über seinen Köpfen bewundern kann. Doch die vier Schimmel sucht er vergebens –1944 ist auch die mittlerweile im Bayerischen Nationalmuseum ausgestellte Zweitversion des Salvatore Rosa den Flammen zum Opfer gefallen…