Wer diesen Blog verfolgt, der weiß, dass die Residenz München wunderbare Filmplots bereithält. Die Komödie freilich, die sich hier am Rosenmontag 1684 abspielte, hat mehr als nur einen Oscar verdient. Ihre Protagonisten sind aufstrebende Stars am Firmament der europäischen Politik des 17. Jahrhunderts. Der eine, Kurfürst Maximilian II. Emanuel, gerade einmal 22 Jahre jung, ehrgeizig und selbstverliebt, seit knapp vier Jahren Herrscher in Bayern, ein Draufgänger und Eroberer von Frauenherzen, der seine Rolle am Schlachtfeld der Weltgeschichte in Siegerpose bejubelt.
Der andere, Eugenio von Savoy, später berühmt als kaiserlicher Feldherr Prinz Eugen, nicht minder ehrgeizig, doch noch weitgehend unbekannt, von nobler Abkunft zwar, aber mittellos und ohne Land.
Beide treffen sich zum ersten Mal im September 1683 vor den Toren des türkenbelagerten Wiens. Max Emanuel tritt als Feldherr der bayerischen Truppen auf, die dem Kaiser beim Entsatz der Stadt zu Hilfe eilen; Prinz Eugen als hochadeliger Volontär, der sich Ruhm, Ehre und ein festes Einkommen bei der kaiserlichen Armee verdienen möchte. Entfernt ist er mit dem Kurfürsten verwandt und tatsächlich findet dieser Gefallen am souveränen Auftreten des ein Jahr jüngeren Offiziers. Nach der siegreich geschlagenen Schlacht um Wien fördert er ihn mit einem Geldgeschenk, verhilft ihm zum Kommando über ein kaiserliches Dragonerregiment und lädt ihn ein, den Fasching gemeinsam in München zu verbringen.
Am 10. Februar trifft der so Geehrte in der bayerischen Hauptstadt ein. Es bleibt ihm keine Zeit, sich lange von der Reise auszuruhen. Noch am Ankunftstag bittet ihn der Kurfürst zu einer Komödie à l’allemande. Vier Stunden dauert das in deutscher Sprache vorgetragene Spektakel. Was folgt, ist ein atemloser Parforceritt durch die höfischen Vergnügungen der Zeit, bei dem Max Emanuel weder Kosten noch Mühen scheut, seinen Gast zu beeindrucken.
Schauspiele, Jagden und Schlittenfahrten, bei Tag und bei Nacht, selbst bei grimmigster Februarkälte, sodass die zur Teilnahme verpflichteten Diplomaten am Hof, über Schlafentzug seufzen und mit leiser Kritik in ihren Berichten den sorglosen Umgang des Kurfürsten mit seiner Gesundheit bemerken. Die Festlichkeiten gipfeln am 16. Februar, Rosenmontag in der Residenz. Auf diesen Tag hat der Kurfürst die traditionelle „Wirtschaft“ verlegt, die sich den Schlittenfahrten anschließt. „Die regierenden Majestäten“ treten dabei, wie es in zeitgenössischen Beschreibungen heißt, als Wirtsleute eines Landgasthauses auf, in dem nicht selten eine Bauernhochzeit spielt. Die Residenz, in der das ausgelassene Schmausen stattfindet, verwandelt sich in die Wirtschaft „Zum bayerischen Löwen“. Max Emanuel gibt den Schankknecht und bittet in selber Kostümierung den Prinzen Eugen, den Fürstbischof von Freising und seine Mätresse, die Gräfin Kaunitz als Magd zu Tisch.
Hat dieses Spiel, das im Rollentausch die herausgehobene Stellung der Teilnehmer gerade in der extremen Umkehr ihrer gewohnten Machtposition unterstreicht, dem ehrenvoll neben dem Kurfürsten platzierten Prinz Eugen gefallen? Es besteht Grund daran zu zweifeln. Schreibt der französische Diplomat Denis de La Haye-Vantelet in seinem Gesandtenbericht zum Faschingsspektakel doch folgende, nach all dem Aufwand Max Emanuels doch reichlich überraschende Bemerkung: „Er [Prinz Eugen] hat nicht an den Schlittenfahrten teilnehmen und nicht à l’allemande spielen wollen, weil, wie er erklärte, es ihm nicht gefalle. Er hat es sehr lächerlich gefunden, dass der Churfürst ihm am Tag seiner Ankunft vier Stunden lang eine dumme deutsche Komödie anhören ließ. Dieser junge Prinz von Savoyen ist nicht sehr aufgeweckt, er spricht wenig, und es ist leicht zu erkennen, dass er sich an das Treiben des bayerischen Hofes nicht gewöhnen wird.“
Wenn de La Haye korrekt berichtet, was war der Grund der Verstimmung des Prinzen? Waren es die eisigen Temperaturen bei den Schlittenfahrten oder seine angespannte wirtschaftliche Situation, die ihn unempfänglich für die Kraftmeierei und Großmannssucht des Kurfürsten machten. Oder offenbart sich in seiner Reserviertheit ein grundlegend unterschiedlicher Charakter: der eine voll überbordender Lust am Spiel, der andere die Gefahren abwägend, vorausplanend und strategisch. So sehr es reizt, dieses Gedankenspiel bis zur Zeit des spanischen Erbfolgekriegs weiterzuspinnen, als sich die Waffenbrüder von einst als erbitterte Gegner im Feld gegenüberstanden, wir wissen es nicht.
Wer jedoch am eigenen Leib erfahren möchte, wie schwer es war, sich der Suggestionskraft des Münchner Faschingsspektakels von 1684 zu entziehen, der hat dazu heuer einzigartige Gelegenheit. Restauriert die Bayerische Schlösserverwaltung doch zurzeit einen Rennschlitten, den Max Emanuel vielleicht im Winter 1683/84 verwendete. Anlässlich des 350. Geburtstags des Kurfürsten wird er ab 11. Juli im Marstallmuseum in Schloss Nymphenburg in neuem Glanz erstrahlen und etwas von der Prachtliebe wie dem Hochmut seines Auftraggebers verraten. In Kürze dazu mehr!
Pingback: Residenz München » Ein Rennschlitten braust vor – Max Emanuels Faschingsgefährt eröffnet die Museo-Blog-Parade 2012