Am 6. November jährt sich einmal mehr der Geburtstag der berühmten Henriette Adelaide (1636-1676), geborene Prinzessin von Savoyen und seit 1650 Gemahlin des Kurfürsten Ferdinand Maria (reg. 1651-1679), die sicher eine der faszinierendsten Frauengestalten in der Geschichte der bayerischen Wittelsbacher gewesen ist. Grund genug, sich einmal mehr in diesem Blog mit den erhaltenen Überresten ihres einst großartigen Wohnappartements im Südwesten des Residenzareals zu beschäftigen, dessen Ausstattung ganz auf die Selbstdarstellung der nach einer kurzen Glanzzeit relativ jung verstorbenen Kurfürstin zugeschnitten war.
In dieser knappen Frist gelang es ihr jedoch, den bis dato recht sinistren Münchner Hof gesellschaftlich wie künstlerisch ziemlich aufzumischen und für das prunkvolle Zeitalter des Barock fit zu machen. Nicht genug kann daher der weitgehende Verlust ihrer einstigen, im Wesentlichen zwischen 1665 und 1667 eingerichteten Wohn- und Repräsentationsgemächer beklagt werden, die sukzessive durch einen verheerenden Brand, dann den klassizistischen Architekten Leo von Klenze und schließlich die Bomben des Zweiten Weltkriegs dezimiert wurden, sodass sich heute vor allem noch die rechtzeitig geborgenen Deckenbilder der drei Haupträume erhalten haben. Hätte sich der ursprüngliche, überbordende Prunk der Räume mit ihren flächenfüllenden vergoldeten Schnitzereien, den Wandteppichen und Stuckmarmor-Intarsien bewahrt, dürfte er heute wohl das Stilempfinden so manchen modernen Besuchers mit Grausen erfüllen – zu viel, zu gold, zu kleinteilig und vollgestopft und vor allem in der Anmutung ungeheuer fremdartig!
Doch liegt gerade hier der Reiz der historischen Erinnerung, denn das Appartement der Henriette Adelaide stellte ein sehr qualitätvolles Ensemble eines „emblematischen“ Gesamtkunstwerks mittels verrätselter, intellektuell mehr oder minder fordernder Sinnbilder dar. Diese emblematischen Ausstattungsprogramme erweisen sich uns Heutigen ästhetisch wie inhaltlich meist schwer zugänglich. Für das Zeitalter des Barock waren sie aber absolut essentiell und erscheinen daher im Rückblick als überaus symptomatisch. Ein gutes Beispiel ist der heute vergleichsweise schlichte Raum 71, einst das Audienzzimmer der Kurfürstin, später auch als „Goldener Saal“ bezeichnet, den Besucher von Norden kommend über zwei Vorzimmer erreichten und hinter dem die Folge der eigentlichen Wohngemächer begann.
Von der namensgebenden Vergoldung hat sich heute nicht mehr viel erhalten: Einst aber waren alle Wand- und Deckenflächen, die nicht mit Malereien oder Bildteppichen bedeckt waren, mit voluminösen Schnitzornamenten versehen, die mit schimmernden Schlaggoldblättern überzogen waren.
Dominiert wurde der Raumeindruck allerdings primär durch das vielteilige Bildprogramm, das Decken- und Frieszone überzog, wovon sich zum Glück wenigstens die neun Deckengemälde erhalten haben, die heute in einer vereinfachten Kassettierung auch wieder vor Ort zu besichtigen sind. „Emblematisch“, also vereinfacht gesprochen: „sinnbildlich“ wurde dieses Programm dadurch, dass die in verschiedenen Raumzonen angeordneten Malereien in einem abgestuften Verhältnis um ein gemeinsames Thema kreisten, nämlich die Gerechtigkeit des Fürsten und seinen Willen, den Untertanen Zugang und Recht zu gewähren. Dabei unterstützten sich die einzelnen Bilder, indem ihr Inhalt einander bestätigte und stärkte, einzelne Facetten des Hauptthemas gesondert illustrierten und diese in Rätselbildern mit erklärenden Beischriften erläuterten und interpretierten. Seine Vollendung fand dieses symbolische System, wenn der Herrscher (oder in diesem Fall die Kurfürstin) unter dem im Saal platzierten Baldachin erschien und im Rahmen einer Audienz tatsächlich die im Gemälde angemahnte Begegnung mit den Untertanen vollzog, die Bildsymbolik sich also im Tun faktisch konkretisierte.
Für die Ausmalung wurden aus den Schriften antiker Autoren, aber auch aus zeitgenössischen Reiseberichten aus dem Orient Berichte, Anekdoten und Zeremonien herausgezogen, die geeignet schienen, ein Bild des Fürsten als zugänglichen und weisen Richter und Landesvater zu zeichnen. Schwungvoll auf die Leinwand gebracht wurde dies vom schwäbischen Maler Johann Heinrich Schönfeld, der von seinen italienischen Studienjahren eine flotte Pinselschrift und eine Vorliebe für starke Hell-Dunkel-Kontraste mitgebracht hatte.
Das Zentrum der Decke war natürlich einem Vertreter des Imperium romanum gewidmet, hier dem Kaiser Trajan (reg. 98-117 n. Chr.), der gemäß einer weithin bekannten Erzählung einen dringenden Feldzug unterbrach, um einer mittellosen Witwe, die ihn anflehte, zu ihrem Recht zu verhelfen – also besonders „zeitnah“, wie man so schön sagt.
Die Tat war übrigens so gut, dass noch Jahrhunderte später der heilige Papst Gregor nicht nur in der Urne des Kaisers dessen Zunge, die so vorbildlich Recht gesprochen hatte, unverwest vorfand, sondern gleich den ganzen Trajan aus dem Fegefeuer, wo er als Heide leider nach dem Tode schmoren musste, herausbeten konnte!
Umgeben war das gemalte Exempel guter Herrschaft mit weit unbekannteren Tugendbeispielen aus teils exotischen Weltregionen. Entschlüsseln konnte die Zeitgenossen sie wohl nur mittels der kurz nach Vollendung des Appartements herausgegebenen Beschreibung der neuen Residenzräume aus der Feder des gelehrten italienischen Höflings Rannuzio Pallavicino: Er berichtet von dem persischen König, der ein Glockenseil aus seinem Palast heraushängen lässt, auf dass die Untertanen ihn bei Bedarf herausklingeln können.
Leider läuft es dann wie bei jeder Hotline: Am Schluss hängen so viele Klingler ergebnislos in der Warteschleife, dass die Leitung schließlich reißt und erst das Geschepper der niederstürzenden Glocke den Herrscher zur Pflicht ruft. Der chinesische Hof hingegen, berühmt für sein differenziertes Archiv- und Ablagesystem, präsentiert dem Hilfesuchenden nicht nur eine Glocke, sondern gleich noch eine Trommel dazu, die jeweils je nach Art des Anliegens zum Klingen gebracht werden müssen!
Schön ist auch die Darstellung des indischen Fürsten, der Audienzen (sogar) während der Haarpflege erteilte – ein zukunftsweisendes Modell für die Höfe Europas, pflegte doch z. B. auch die einflussreiche Mätresse Ludwigs XV., Madame de Pompadour, die Gesandten Europas reizvoll dekolletiert während ihrer Morgentoilette zu empfangen! Ernster ist der Ton hingegen in der Darstellung des todkranken Kaisers Vespasian, der noch auf dem Sterbelager Audienzen gibt und Urteile signiert.
Leider haben sich die Bilder der Frieszone, der der Hofmaler Caspar Amort schuf und in denen das Thema weitergeführt wurde, nicht erhalten: Es fanden sich dort bekannte „Schocker“, wie das Bild des Richters Oranus, den Perserkönig Cambyses auf dem Amtsstuhl Platz nehmen heißt, den er zur Aufmunterung mit der abgezogenen Haut des korrupten Vorgängers hat polstern lassen. Dies übrigens ein warnendes Beispiel für den Magistrat, das schon seit dem 15. Jahrhundert gern in niederländischen Rathäusern Darstellung fand!
Auch der Stammvater des Hauses Habsburg, Rudolf I., sowie der heilige Franzosenkönig Ludwig IX. tauchten in entsprechenden Szenen im Fries des Goldenen Saales auf – mithin konnten sich sowohl der österreichische wie der französische Gesandte freuen, wenn sie zu Audienzen antraten und Vertreter ihres jeweiligen Herrscherhauses als Vorbilder der Gerechtigkeit an den Münchner Wänden vorfanden (kein schlechter Schachzug, denn die beiden Herren waren sich der leidigen Politik halber spinnefeind, und Bayern musste zwischen beiden möglichst geschickt lavieren).
Im goldstarrenden Rahmen der Schnitzereien war dieses – übrigens ja komplett männlich dominierte – Bildprogramm für das Audienzzimmer einer Kurfürstin, die zwar Gemahlin und/oder Mutter der regierenden Landesherren war, nominell aber keinerlei Herrschaftsrechte ausüben konnte, ungewöhnlich – man hätte mehr religiöse und caritative Beispiele frommer Jungfrauen und demütiger Königsgemahlinnen erwarten dürfen. Allerdings wurden diese „spezifisch weiblichen“ Themen bereits sehr breit in den nicht erhaltenen Vorzimmern und den Privaträumen der Kurfürstin dargestellt – und übrigens auch dort überaus selbstbewusst. Dass eine solche Bildfolge inmitten des „Frauenzimmers“ installiert werden konnte, wird wohl mit der Persönlichkeit Henriette Adelaides zusammenhängen, die ehrgeizig und politisch interessiert war, Einfluss auf ihren Mann hatte und ambitionierte Ziele verfolgte (diese allerdings nur teilweise erreichte). Nach einem schweren Start am Münchner Hof, der von ihrer Schwiegermutter Maria Anna, gleichfalls kein klassisches Beispiel weiblicher Demut, geprägt wurde, und einem quälenden Jahrzehnt der Kinderlosigkeit ging spätestens ab der lang ersehnten Geburt des Thronerben Max Emanuel 1662 ihr Stern auf. Äußerlicher Höhepunkt dieser Entwicklung war ihr Eintritt in den „Geheimen Rat“, das eigentliche Regierungsgremium, im Jahr 1666. Vor dem Hintergrund dieses Hochgefühls eigener Möglichkeiten ist das – heute fragmentierte – Gesamtkunstwerk des „Goldenen Saals“ am besten zu verstehen.