München ist eine Löwenstadt – ob es mit der statistisch hohen Anzahl von Tagen mit Sonne zu tun hat, die das dem Wüstentier zugehörige Gestirn ist? Vielleicht ist es auch das selbstbewusste, gern auch grollende und beißfreudige Verhalten der Bewohner. Kaum ein öffentlicher Platz jedenfalls, kein Wappen und kein für den Tourismus gestalteter Bierkrug, den nicht Tatzen, Mähne und Schweif zieren, vom Accessoire für den Fußballfan mal ganz zu schweigen.
Dass die vormals königliche Residenz eine ganze Menagerie der königlichen Tiere zu bieten hat, liegt gewissermaßen in der Natur der Sache. Und während im Circus Krone die Truppe der weißen Löw(ch)en als Maskottchen Furore macht, sorgen bei uns die vier grünen Bronzelöwen, die an der Westfassade der Residenz seit vier Jahrhunderten ihre Kartuschenschilde balancieren, für wohlwollende Aufmerksamkeit. Die gönnen ihnen nicht zuletzt die zahlreichen Fremdenführer, die hier mit neugierigen Besucherscharen Halt machen, um eine der vielen kursierenden Versionen der populären Streichel-Legende zu erzählen: Wie ein frecher Student ein Pamphlet auf die Affäre Ludwigs I. mit Lola Montez verfasst, wie er geschnappt wird (oder sich schnappen lässt), vom amüsierten (oder beleidigten) Monarchen befragt wird und sich mit Wortwitz aus seiner misslichen Lage befreit. Entscheidend für den Tourismus ist der Hinweis, dass er vorher oder nachher den Maskaron am Schilde eines der Löwen streichelte und um Glück in dieser brenzligen Angelegenheit bat. Womit eine pittoreske Tradition für glücksuchende Passanten ihren Anfang nimmt, die die vier schnauzbärtigen Maskengesichter zu den am besten polierten – oder besser: abgeriebenen – Stellen der Residenz oder vielleicht auch ganz Münchens gemacht hat.
Ursprünglich waren unsere Bronzelöwen allerdings nicht als Glücksbringer und nicht einmal als Torwächter vorgesehen: Der niederländische Bildhauer und Bronzekünstler Hubert Gerhard und sein Künstlerkollege Carlo Pallago schufen die vier Großkatzen (vor 1596) ursprünglich als heraldischen Schmuck für ein imposantes Grabmal, das Herzog Wilhelm V. seit Anfang der 1590er Jahre für sich und seine Gemahlin Renata von Lothringen plante. Seinen Platz hätte der gewaltige Aufbau aus Stein und Bronze in der von Wilhelm gestifteten Jesuitenkirche St. Michael finden sollen: Geplant war unter einer schwebenden Skulptur der Gottesmutter die zentrale Darstellung des knienden Herzogspaars in Anbetung vor einem hohen Bronzekruzifix. Das sarkophagförmigen Grabmal, die Tumba, sollte eine ganze Heerschar von Ehrenwachen, Engeln, Wittelsbacher Vorfahren – und Löwen – umstehen. Insgesamt hätte das Figurenprogramm eine komplexe Verherrlichung nicht nur Wilhelms, sondern seines ganzen, jahrhundertealten, der katholischen Kirche verbundenen Hauses zum Ausdruck gebracht. Allerdings liegt die tragische Betonung hier auf „hätten“ – zwar wurde ein Großteil der Figuren tatsächlich gegossen, der Bau des Grabmals kam aber nicht zustande – zu sehr hatte Wilhelms Regierung die Kassen geleert, 1597 dankte der Herzog ab. Am Schluss blieben von der elaborierten Planung eine Grabplatte und das Kruzifix im Querschiff der Kirche übrig.
Es war dann Wilhelms sparsamer Sohn Maximilian I., der den ganzen, bereits vorhandenen Figurenfundus übernahm und als Schmuck der von ihm initiierten Neubauten in und um die Residenz verwertete: Die knienden Ehrenwachen kamen in die Frauenkirche, die Madonna auf die Mariensäule, der Ahnherr Otto auf den Wittelsbacher Brunnen .
Die vier Löwen schließlich, die die Ecken der Tumba flankieren sollten, wurden um 1616 an der neuen Residenzfassade aufgestellt. Dort ersetzte man die heraldischen Wappenschilde durch neue nach Entwurf von Hans Krumper: Ihre Bildreliefs und lateinischen Inschriften beziehen sich nun nicht mehr auf die Ahnenreihe der Wittelsbacher, sondern auf die über den Portalen angebrachten Darstellungen herrschaftlicher Tugenden: So zeigt der Löwenschild rechts am Nordportal eine Sonne mit der Inschrift „Supera simul et infera“ – „Sie scheint über Hohen und Niedrigen“. Darüber thront Justitia, auf deren Brust die Sonne der Gerechtigkeit leuchtet. Auch ohne Lateinkenntnisse eine klare Ansage!
Momentan ist unser eines Löwenpaar auf Reisen: Die kostbaren Bronzen werden gereinigt und restauriert und anschließend abgegossen. Die Kopien sollen dann an das Residenzportal zurückkehren. Die Originale aber werden in ihrer ganzen Pracht, geschützt vor Abgasen und schädlichen Klimaeinflüssen, zusammen mit den anderen Bronzen unseren Besuchern ganz nahe vor Augen geführt – in eigens eingerichteten Museumsräumen der Residenz, mit etwas Glück schon 2015.
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