„Steter Tropfen höhlt den Stein“ heißt es gemeinhin, und bedeuten soll es, dass beharrliches und geduldiges Arbeiten schließlich zum gewünschten Ergebnis führt. Nun ist das Bild mit dem kontinuierlich fortschreitenden Wasserschaden, der nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten schließlich zur Steinerosion führt, ein für den musealen Bereich vielleicht nicht allzu glücklich gewähltes: Wer heute den im letzten Viertel des 16. Jh. unter Herzog Wilhelm V. (reg. 1597-1597) ausgestatteten Grottenhof der Residenz betritt, wird uns hierin vermutlich zustimmen.
Die zahlreichen Brünnlein, die einst in der reich mit bizarrem Muschelwerk dekorierten Säulenhalle sprudelten, sind seit langem stumm, seitdem die mittlerweile mürben Marmorbecken ihr Wasser nicht mehr halten können. Der allgegenwärtige Staub, aber auch Dreck und Schadsalze, gelöst in saurem Regen, der in Herbst und Winter – und manchem sommerlichen Gewittersturm – im Lauf der Jahre über dem kleinen Renaissancehof niedergegangen ist, hat die einst hellen Tuffsteine und Schneckenhäuser, die zu phantastisch geformten Vasen, Obelisken und hybriden Mischwesen zusammengesetzt sind, unter dicken Schmutzkrusten vergrauen lassen.
Und trotzdem stimmt das Sprichwort, denn es tut sich was – langsam, aber stetig: Hinter der durchsichtigen Plane, die als provisorischer Schutz zwischen die Bögen der Halle gespannt ist und Staub und Schmutz von den Wänden fernhält, wird seit vielen Monaten akribisch gearbeitet. Nachdem wir vor vier Jahren mit der finanziellen Unterstützung des Freundeskreises der Residenz und der Kappelmaier-Stiftung eine Musterachse im Süden der Grottenhalle restaurieren konnten, stehen nun auch die Reinigungs- und Retuschearbeiten an den Wandmalereien des angrenzenden Bogenfeldes unmittelbar vor ihrem Abschluss.
Dargestellt ist ein kritischer Moment in der Liebesgeschichte zwischen dem Götterboten Merkur (griech. Hermes) und der athenischen Prinzessin Herse: Als der Gott ihr einen nächtlichen Besuch abstatten will, sieht er sich von Herses eifersüchtiger Schwester Aglauros, die die Schlafkammer bewacht, aufgehalten: Im zweiten Buch seiner Metamorphosen erzählt der römische Dichter Ovid den weiteren Fortgang: Merkur, nicht sonderlich an einem guten Verhältnis mit der Familie seiner Geliebten interessiert, schlägt Aglauros mit seinem Schlangenstab und „Nicht versuchte sie irgendein Wort, noch, wenn sie versuchte,/Fände die Stimme noch Bahn; um den Hals schon herrschte der Felsen,/Steif war Mund und Gesicht, und blutlos saß sie, ein Bildnis“. An der versteinerten Wächterin vorbei rauscht der Gott dann ins – wiewohl nur kurz währende – Liebesglück.
Einen besonderen Pfiff bekam die amouröse Kraftmeierei, die am Hofe des später als besonders fromm gepriesenen Wilhelms etwas überraschend anmutet, dadurch dass das Thema der Versteinerung ja auch die restliche künstlerische Ausstattung der Grottenhalle beherrschte: Der zentrale Brunnen auf dem sich nochmals Gott Merkur, diesmal in vergoldeter Bronze, nach getaner Arbeit zum Olymp emporschwingt, wird flankiert von menschlichen und halbmenschlichen Figuren, Blumen und Vögeln, die aus Muscheln und farbigen Kieseln zusammengesetzt sind. In seitlichen Nischen stehen aus Stein und Muschelwerk geformte Frauengestalten, aus deren Brüsten einst Wasser in die vor ihnen schwebenden Marmorschalen floss.
Im Zentrum des angrenzenden Gartens paradiert schließlich die Figur des Perseus, der das gruselige Schlangenhaupt der von ihm getöteten Medusa emporreckt, dessen schauriger Anblick alles Lebendige in Stein verwandelt.
Aber die herzogliche Grottenhalle war natürlich nicht (nur) ein Ort erotisch motivierter Perfidie und mythologischer Zaubereien Ursprünglich befand sich im Westen des Hofs, der heute allein stehenden Grottenarchitektur gegenüber eine weitere Halle, die im 18. Jh. bei der Einrichtung neuer Gemächer vermauert wurde. Während auf der Ostseite eine etwas fragwürdige Moral herrschte, pochte das Bildprogramm der westlichen Loggia auf göttliche Ordnung und Bestrafung der Sünder: Es war Apollo geweiht, als Gott der Sonne und der Künste der Garant kosmischer Gesetze: Auf den umlaufenden Wandgemälden musste er selbst seiner ungebetenen Liebe für die keusche Nymphe Daphne entsagen und im Spiegel des Gewölbes trat er zwar den feurigen Sonnenwagen an seinen vorlauten Sohn Phaeton ab, der aber schon kurz darauf vom Göttervater mit dem Blitz zum unerwarteten Ausstieg gezwungen wurde.
Seit ihrer Entstehung vor über 400 Jahren, vor allem nach der teilweisen Zerstörung der Hofarchitektur im Zweiten Weltkrieg haben die Malereien schwer gelitten. Stück für Stück werden nun die erhaltenen Reste des komplexen mythologischen Bildprogramms wieder sichtbar: Schon tauchen auf den vorbereitenden Zeichnungen unter Merkurs übergroßen Helm, der nach dem Krieg schemenhaft mit dem Pinsel über den lädierten Kopf „gestülpt“ wurde, die lüsternen Augen des Götterboten auf. Feinste Pinselstriche haben in tagelanger Arbeit die zahlreichen Fehlstellen in den immer noch überraschend großen Resten originaler Malfläche optisch geschlossen.Und natürlich höhlen wir „unseren Stein“ weiter – in der Hoffnung, unseren Besucherinnen und Besuchern einmal alle noch heute in der Grotte erhaltenen (Schand)Taten des frechen Merkur in restaurierter Farbigkeit zu präsentieren!