Wer heute am Beginn seines Rundgangs durch die Residenz die Tür zum Grottenhof mit den filigranen Wasserspielen und seiner Renaissancearchitektur aus vielfarbigen Muscheln öffnet, landet zurzeit, wie schon in der letzten Sommersaison vor einem mobilen Gerüst:
In der Wölbung der reich verzierten Grottenhalle, in deren Mitte die Bronzestatue des geflügelten Gottes Merkur lächelnd auf seinen vergoldeten Zehen balanciert, herrscht rege Betriebsamkeit. Hier laufen seit einigen Wochen wieder mit Hochdruck Restaurierungs- und Sondierungsmaßnahmen vor den mythologischen Wandmalereien. Die Ergebnisse dieser Maßnahme werden später in ein Konzept einfließen, das die Grundlage einer umfangreichen Wiederinstandsetzung des Freskenschmucks in diesem Kernbereich der Residenz bilden soll. Der intime kleine Brunnenhof unter dessen Bögen sich die bizarre Grottenfassade erstreckt, entstand in den 1580er Jahren unter Herzog Wilhelm V. und gehört damit zu den ältesten erhaltenen Teilen unserer Palastanlage. Die von Florentiner Vorbildern inspirierte Gartenarchitektur war zu ihrer Entstehungszeit nördlich der Alpen nahezu ein Unikat, in dem es sich der Bayernherzog mit stolzgeschwellter Brust im Beisein seiner Höflinge wohlergehen ließ (siehe auch unseren Beitrag https://schloesserblog.bayern.de/?p=1157). Das raffinierte Bildprogramm, das die Skulpturen, den Freskenschmuck und die übrige Dekoration einschloss, kreiste um die Gestalt des Merkur und seiner Schützlinge: Der Gott mit Flügelsandalen und dem Schlangenstab ist nicht nur der Schutzherr der Händler (und Diebe), sondern auch der List und Überredung – kurz ein idealer göttlicher Begleiter für Friedenszeiten, für ein gelehrtes, mitunter auch witziges Schwätzchen, wie mancher es an einem warmen Sommertag an Rand eines hübschen Gartenbrunnens führen möchte. Aber mehr noch: Merkur war zu seiner Zeit auch ein erfolgreicher (wenn auch meist flüchtiger) Liebhaber attraktiver Menschenfrauen – von seinen amourösen Verwicklungen mit der Prinzessin Herse etwa erzählen die Fresken in den südlichen Lünetten der Grottenhalle (Ergebnis: ein gebrochenes Herz, ein uneheliches Kind, eine in Stein verwandelte Schwester (!)).
Diese ausgemalten Lünetten (also Bogenfelder) stehen momentan im Zentrum unserer Aufmerksamkeit: Wie so viele andere Teile der Residenz auch, wurde die Grottenhalle im Zweiten Weltkrieg beschädigt: Nachdem sie lange Zeit standgehalten hatten, stürzten endlich die durch die Wucht eines Treffers im benachbarten Antiquarium erschütterten Gewölbe 1944 doch ein. Feuer und Regenwasser taten ein Übriges, die schon vorher vielfach restaurierten Malereien des 16. Jh. weiter zu beschädigen, bis in den 50er-Jahren die erhaltenen Reste durch eine andeutende, flächige Ergänzung wieder lesbar gemacht werden konnten. Doch vieljährige Verschmutzung, Langszeitschäden und frische Schadstoffe, die täglich durch die offene Halle eindringen, sitzen den Fresken immer stärker in den – bildlichen – Knochen. In den letzten Jahren konnte man praktisch zuschauen, wie sich die Verluste an den letzten kostbaren Resten der originalen Malerei verschlimmerten. Nun sind es die großzügigen Spenden des Vereins der Freunde der Residenz und die Unterstützung der Kappelmaier-Stiftung, die es uns seit 2010 ermöglichen, in der frostfreien Zeit eine komplexe Musterreinigung an einer der Lünetten durchzuführen: Mit einer Kombination verschiedener Säuberungsmethoden wird die Oberfläche gereinigt. Mittels chemischer Verfahren kann dabei auch die schleichende „Vergipsung“ der Malschicht, die zu einer grauen Trübung der Farben führt, gestoppt und teilweise rückgängig gemacht.
Die im Wasser gelösten Salze, die durch Risse ins Mauerwerk eindringen, ausblühen und die Oberfläche des bemalten Putz absprengen, werden mit Kompressen aus den Wänden gezogen. Viel Geduld müssen die Restauratoren und auch wir haben, nur sehr langsam und äußerlich unspektakulär gehen all diese Prozesse voran – aber doch stetig. Und gleichzeitig gilt es zu fragen, bis zu welchem Grad alte Retuschen – also Übermalungen des originalen Freskos – abgenommen, wie weit ältere Fehlstellen geschlossen werden sollen. In welcher Weise soll der Grenzverlauf zwischen alter Substanz und Ergänzungen der Nachkriegszeit behandelt werden, und welche Version des Freskos soll unserer Arbeit zugrunde liegen – die Phase unmittelbar nach dem Wiederaufbau, die letzte, vielfach ergänzte Fassung vor der Zerstörung, oder ein früherer, kaum mehr dokumentierter Zustand?
Viel Arbeit wartet noch auf uns – aber irgendwo am Ende erkenne wir schon deutlich eine strahlend schöne Herse, über der ein lächelnder Merkur wieder in einen gereinigten, azurblauen Himmel schwebt.