Heute mal ein Beitrag aus dem Nymphenburger Marstallmuseum von unseren Kolleginnen Magdalena Bayreuther und Mirjam Brandt:
Wie die bayerischen Kurfürsten und Könige alljährlich auch, verlassen wir für diesen Beitrag die Räume der Residenz und begeben uns in die Sommerfrische, nach Schloss Nymphenburg. Dort bot sich Mitte Juni im Stallhof ein Spektakel der besonderen Art. „Kommt `ne Kutsche geflogen…“ dachte sich wohl so mancher zufällig vorbeikommende Mitarbeiter erstaunt beim Anblick eines kleinen Park-Phaetons, der auf einer Spezial-Hebebühne seinen Weg in luftige Höhen antrat.
Für seinen neuen Aufstellungsort in der Dauerausstellung des Marstallmuseums musste er seinen angestammten Platz im Erdgeschoss verlassen und ein Stockwerk höher ziehen. Nur: Wie bekommt man den zwar im Vergleich zu den pompösen Gala-Kutschen kleinen, aber dennoch sperrigen und darüber hinaus höchst fragilen Wagen dort hinauf? Denn weder der Aufzug bot eine Lösung (zu klein) noch die Treppe war eine Möglichkeit (zu schmal). Damit schien der Luftweg die einzige Alternative. Also musste getüftelt werden: Wie groß ist der Wagen, wie groß sind die Fenster? Kran, Hebebühne oder doch zaubern?
Dabei sollte es dem Gefährt natürlich nicht so ergehen wie seinem Namensgeber, dem griechischen Helden Phaeton. Er hatte sich den prächtigen Sonnenwagen seines Vaters ausgeliehen, konnte aber die vorgespannten vier feurigen Rosse nicht lenken, stürzte ab und verbrannte die Erde. Auch der Park-Phaeton barg seinerzeit ähnliche Risiken: Die kleine leichte Kutsche konnte bei höherer Geschwindigkeit schnell umkippen und war deshalb für den Stadtverkehr nicht geeignet. Nur für gemütliche Spazierfahrten im lauschigen Parkschatten.
Große Strecken hat unser Phaeton dennoch zurückgelegt: Gebaut wurde er um 1775 in England, von wo ihn Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz (1724-1799) in den Schlosspark seiner Sommerresidenz in Schwetzingen bei Mannheim holte. Im Zuge seines Regierungsantritts als bayerischer Kurfürst 1777 kam der Wagen nach München. Für seine Zeit ist er bereits ein technisch weit fortgeschrittenes Meisterwerk: Durch die Verwendung von viel Metall am Fahrgestell anstelle von Holz ist er mit nur ca. 100 kg sehr leicht. Außerdem war er durch seine vierfache Federung mit C-Federn sehr komfortabel. Dazu trug auch die Sitzgondel bei, die – damals der neueste Modetrend für Möbel – mit luftigem Peddigrohrgeflecht umfasst ist.
Gefahren wurde der Phaeton mit einem einzelnen Pferd, das nicht von einem Kutscher, sondern vom Passagier selbst gelenkt wurde, nur hinten auf dem Wagen stand der obligatorische Lakai – ebenfalls ein neuer Trend aus England.
Um diese technische Meisterleistung auch zukünftigen Besucher-Generationen näherbringen zu können, musste der Transport nach oben sorgfältig durchdacht und vorbereitet werden. Mehrmals – und von unterschiedlichen Personen – wurden Kutsche und Fenster vermessen, angeregt über die Fixierung der schwingenden Sitzgondel sinniert und die benötigte Manpower zum Tragen(!) des Wagens eruiert. Schließlich war ein taugliches Konzept erstellt: Einige Tage vor dem Transport wurde der Park-Phaeton auf einer Palette vertäut, mit Gurten und Kabelbindern stabilisiert und vor und hinter den Rädern mit Holzklötzen gesichert.
Wie es der Zufall wollte, ergab sich auch ein kosten-, zeit- und nervensparender Synergieeffekt. Die Malerarbeiten, die an der Außenfassade des Marstallgebäudes im Gange waren, wurden von einer selbstfahrenden Spezial-Hebebühne mit abnehmbaren Geländer aus getätigt, deren große Transportfläche perfekt für den Phaeton passte. Trotz einer ausgeklügelten Vorbereitung blieb jedoch ein Faktor unberechenbar: das Wetter… Kein Tropfen Regen durfte auf das alte Leder und die empfindliche Farb- und Goldfassung des Wagens kommen. Unberechenbare Wolkenbrüche ließen die düstersten Prognosen zu. Auf gut Glück wurde schließlich der positiven Wettervorhersage für den nächsten Vormittag Glauben geschenkt und der Aktion grünes Licht gegeben.
Am Tag des Kutschenfluges dann tatsächlich Sonnenschein und Schönwetterwolken! Den ersten großen Auftritt hatte der Maler in seiner Funktion als Hebebühnenfahrer, um das monströse Gerät passgenau in die gewünschte Position unterhalb des Fensters zu manövrieren. Danach wurde das Bühnenplateau für die Kutsche vorbereitet, woraufhin ein Traktor der Gartenabteilung anrückte, der am Frontlader eine Gabelstaplerschaufel hatte. Sehr vorsichtig wurde die Kutsche nun aus einer Seitentüre des Marstallmuseums herausgerollt und mit viel fahrerischen Feingefühl vom Traktor auf die Hebebühne gehoben.
Als alles ordnungsgemäß vertäut war, sollte die Bühne eigentlich mitsamt Wagen und drei Begleitpersonen elegant nach oben entschweben. Doch über eine bestimmte Höhe schaffte sie es nicht hinaus. Fachgesimpel über den Antrieb, Zurufe aus der Zuschauerschar. Schließlich war das Problem erkannt: Ein Mann zuviel auf der Bühne! Nachdem man die wenigen Kilo, die die Maximalhebelast der Bühne überstiegen, losgeworden war, ging es unter Gelächter und Blitzlichtgewitter der Zuschauer himmelwärts.
Oben angekommen, musste der Park-Phaeton aus seiner Befestigung gelöst werden, bevor er vorsichtig auf die vorbereitete Hebebühne im Inneren gerollt werden konnte und von dort aus auf festen Boden. Nun kann er sich bis zu seiner endgültigen Neuaufstellung von seinem Aus“flug“ erholen – mit der Gewissheit, dass er wohl eine der wenigen Kutschen ist, die einmal fliegen durften.
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