Dass 2013 Wagnerjahr ist, haben inzwischen auch all diejenigen zwischen Leipzig und München mitbekommen, die vielleicht nicht zu den unbedingten Fans des Bayreuther Musikgiganten mit seinen vielstündigen Götter- und Heldenopern zählen und den Ring lieber beim Juwelier als im Opernhaus bewundern.
Wir in der Residenz sind natürlich stolz darauf, Teil der Wagnerschen (Musik)Geschichte zu sein – hat doch hier der abgebrannte Komponist erstmals den jungen Ludwig II. getroffen, seinen glühendsten und kapitalstärksten Bewunderer, der Wagner für den Rest seines Lebens den finanziell gut gepolsterten Rückhalt bot, den dieser brauchte, um seine Muse richtig küssen zu können.
Unmittelbare Zeugnisse dieser Beziehung bieten bis heute etwa die Ausstattungen der von Ludwig erbauten Schlösser Linderhof und Neuschwanstein mit ihren unzähligen Reminiszenzen an die Bildwelt der Wagnerschen Opern. Weniger bekannt ist, dass die früheste dieser architektonischen und malerischen Auseinandersetzungen mit dem damals noch von vielen noch als sperrig empfundenen Oeuvre bis 1944 in der Residenz zu finden war – nämlich der sogenannten Nibelungengang im Obergeschoss der Westfassade an der Residenzstraße. Hier führte im Attikabereich über den Stuckgewölben des barocken Theatinergangs ein Korridor an Dienstwohnungen entlang bis zum nördlichen, von Klenze errichteten Eckpavillon der Residenz. In dessen obersten Geschoss lag spätestens seit seiner Volljährigkeit die Wohnung des Kronprinzen Ludwig – in möglichst weiter Entfernung von den Räumen seiner Eltern im südlichen Königsbau – die er auch nach seinem eigenen Regierungsantritt im März 1864 nicht aufgab.
Zu erreichen war die Königswohnung vom Hofgarten aus oder – offizieller – über den Hartschiersaal, den Theatinergang und eine Treppe. Rascher, aber auch viel weniger repräsentativ ging es allerdings über den eingangs erwähnten Korridor, den sogenannten „Theatiner neu“. Kurz nach der ersten Begegnung mit Wagner beschloss Ludwig, diesen Gang umzubauen zu einem neuen, festlich gestimmten Zugang in sein Appartement, das gleichfalls neu eingerichtet werden sollte. Zunächst gab es ziemliches Gerangel, weil der Obersthofmeister Graf Butler-Clonebough die erwähnten Wohnungen für Hofbedienstete nicht räumen wollte. Auf solche pragmatischen Einwände gegenüber seinen Wünschen, die ihm zugleich als Angriff auf seine Herrscherautorität erschienen, reagierte der junge Ludwig schon wie der spätere Märchenkönig – nämlich höchst allergisch: Und so ging er aus diesem frühen Konflikt mit seiner höfischen Umgebung auch mit bestimmten Ton als Sieger hervor – die Wohnungen wurden geräumt, der Gang verbreitert und ausgebaut. Die Wandflächen des neuen Königswegs nun sollten mit Illustrationen von Wagners Hauptwerk geschmückt werden, Szenen aus dem Ring des Nibelungen. Noch als Kronprinz hatte Ludwig das in eingängigen Stabreimen abgefasste, vierteilige Werk „auf dem Spiegel des Alpsees“ bei Hohenschwangau verschlungen. Bei einer ihrer ersten Begegnungen versprach Wagner ihm, die zwischenzeitlich unterbrochene Komposition wieder aufzunehmen und, dank königlicher Subvention, zu Ende zu bringen. Quasi im Vorgriff schmückte der Historienmaler Michael Echter den über 60 Meter langen Gang bis 1866 mit dreißig Gemälden mit Momenten aus „Rheingold“, „Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ in halbrund geschlossenen Bogenfeldern aus.
Bald wimmelten die Wände von Nixen, Zwergen, Riesen, germanischen Göttern, Drachen, blondgelockten Helden, kriegerischen Jungfrauen und finsteren Schurken, die sich über und unter Wasser, in Höhlen und auf Bergen, hinter magischen Feuerwänden und auf etwas klobig wirkenden Götterburgen tummelten. Zumindest in der Anfangsphase war Wagner dabei, besichtigte den Fortgang der Arbeiten – meist mit seiner, damals noch heimlichen, Geliebten Cosima von Bülow im Schlepptau – und erfreute den königlichen Freund mit Ruhmesreden: „Vor kurzem begab ich mich in den neuen Gang Ihrer Residenz: das erste Bild aus dem Rheingold sprang mir entgegen, ich las mit goldenen Lettern die Schrift: „Der Welt Erbe/gewänne zu eigen/wer aus dem Rheingold/schüfe den Ring!“ – Mir schauderte es. Die Freundin war mit. Wir sahen uns ergriffen an. Da stand es, in einem alten, edlen Königsschloß: über meinem Werke wölbte sich das Monument.“ Ob Echter von den Besuchen des Komponisten ebenfalls ergriffen war, ist hingegen nicht so sicher, da ihn Wagner mit ständigen Änderungswünschen bedrängte: „Er [der „brave Echter“] hat viele seiner Entwürfe nach meinem Wunsch nun schon zum dritten Mal abgeändert. Ich fasse nun wirklichen Muth zu seiner Arbeit und glaube, daß wir mit diesen Bildern eine wirkliche Vorarbeitung für die einstige Aufführung des Nibelungenwerkes erhalten.“ Tatsächlich dienten Echters Malereien später für die Münchner Uraufführungen der Ring-Opern als visuelle Anregung.
Zu Ludwigs Lebzeiten blieb der Gang den meisten verschlossen. In den Jahrzehnten danach fiel er rasch dem Vergessen anheim, da er keine Station der ersten Rundgänge durch das 1920 eröffnete Residenzmuseum bildete. 1944 gingen die Malereien schließlich im Bombenhagel zugrunde und sind heute nur noch durch historische Aufnahmen und verkleinerte Aquarellkopien des Malers Franz Heigel überliefert.
2013 erstrecken sich hinter den oberen Fenstern der Westfassade wieder – wie einst – Verwaltungsräume. Grund genug, an die einstige Pracht – und an diese sehr frühe Auseinandersetzung Ludwigs mit Wagners Welten – anlässlich der kommenden Residenzwoche mit einer kleinen Ausstellung zu erinnern!
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