Geheimnisse

München und der Märchenkönig

paradebett ludwig ii

Bekanntlich mochte Ludwig II. seine Residenzstadt nicht sonderlich und dort sind auch nur wenige Spuren des berühmten Königs zu finden. Aber ging seine Herrschaft tatsächlich spurlos an München vorbei?


Immer wenn man an bayerischen Souvenirshops vorüberschlendert, schneekugelt einem Schloss Neuschwanstein entgegen. Von vielen Postkarten grüßt Ludwig II. umringt von seinen Königsschlössern. Dieser Kini-Hype gibt einem Fast-Münchner wie mir immer einen kleinen Stich: Ausgerechnet der Märchenkönig, von Shanghai bis Las Vegas angehimmelt und imitiert, soll seine eigene Haupt- und Residenzstadt mehr als stiefmütterlich behandelt haben. Für Münchner kein Grund über das bayerische Aushängeschild zu jubilieren. Aber war Ludwig II. dem „so namenlos ungern bewohnten München“ – wie er selber schrieb – wirklich so spinnefeind?

Bei Ludwigs Schlossprojekten in den damals ‚strukturschwachen‘ Alpenregionen wurden zwar gezielt lokale Handwerker, wie Spengler und Zimmerer, beauftragt, aber in den Auftragsbüchern dominieren Münchner Firmen. Namen wie Pössenbacher, Moradelli und Wollenweber sagen uns heute wenig, aber bei Beck und Radspieler können wir heute noch einkaufen.

Schweizer-Luxusuhren aus München

schweizer uhr herrenchiemsee

Die gut einen Meter hohe Elefantenuhr steht im Arbeitszimmer des Königs im Neuen Schloss Herrenchiemsee.

Besucht man Herrenchiemsee, verschmelzen die verschiedenen Standuhren gut mit dem sonstigen Prunk. Hier muss man dementsprechend genau hinsehen, bis man einen Münchner findet. Hat man aber einmal den Namenzug „Carl Schweizer, München“ entdeckt, verfolgt er einen durch die ganze Enfilade der Paradezimmer; vom Hatschiersaal, über die beiden Vorzimmer bis zum Beratungssaal. Für jeden Raum fertigte Carl Schweizer Uhren, deren jeweiliges Vorbild meist im französischen Versailles zu finden ist. Da Ludwig II. hohe Qualität und für diese Räume oft exakte Kopien forderte, schickte er Schweizer kurzerhand auf Bildungsreisen nach Frankreich. In Anbetracht dieser Expertise verwundert es kaum, dass Nobelpreisträger Thomas Mann das Uhrengeschäft gut 50 Jahre später in seinem Tagebuch erwähnt.

Meister Pössenbacher und sein König

buffet pösenbacher

Das von Franz Seitz entworfene und von der Firma Anton Pössenbachers ausgeführte Büffet glänzt im Speisezimmer von Linderhof.

Dass Ludwig vor allem Münchner Firmen beschäftigte, war allerdings einer Not geschuldet: Ursprünglich hatte er gehofft, originale Stücke aus der Zeit von Louis XIV. erwerben zu können. Da aber kaum Exemplare auf dem Markt waren, wurde die Firma Pössenbacher aus dem Münchner Glockenbachviertel eingespannt. Schon Joseph Pössenbacher hatte nach Entwürfen Leo von Klenzes Möbel für das bayerische Königshaus geliefert. Sein Sohn Anton, der ab 1866 die Möbelfabrik leitete, war geradezu prädestiniert, die exquisiten Wünsche des Märchenkönigs erfüllen zu können. Der junge Pössenbacher hatte unter anderem in Wien die Formensprache des Barock genau studiert. Bereits 1868 durfte er sich Königlich Bayerischer Hofschreiner nennen. Der vielseitige Betrieb lieferte nicht nur anmutig geschwungene, prunkende Möbel für Linderhof und das Neue Schloss Herrenchiemsee. Auch die wuchtigen Schränke und Tische in Neuschwanstein stammen aus der Isarvorstadt. Diese auf alt gemachten Möbel kamen allerdings aus einer Firma, die sich auf der Höhe der Zeit bewegte: Als einer der ersten Münchner hatte Pössenbacher ab 1883 einen Telefonanschluss.

Die starke Bindung an Ludwig II. wäre dem Schreiner aber fast zum Verhängnis geworden. 1886 stundete der königliche Kunde so viele Rechnungen, dass die Firma beinahe selbst zahlungsunfähig geworden wäre. Die Schulden wurden jedoch schnell beglichen und Pössenbacher, durch die vielen Aufträge erprobt, lieferte wertvolle Möbel für den Münchner Justizpalast, das Reichstagsgebäude und das Berliner Hotel Adlon.

Ausbildung für „niedere Töchter“

Am meisten half Ludwig II. vermutlich, indem er die Schwestern Dora und Mathilde Jörres beschäftigte. Deren Firma für Kunststickerei fertigte ab 1862 vor allem Paramente und andere hochwertige Textilien für den liturgischen Gebrauch. In einer Zeit, als die Kirche unter anderem durch Reichskanzler Bismarck herausgefordert war, sorgte der König für volle Auftragsbücher.

jörres textilien ludwig II

Dieses feine Blümchen wächst am Vorhang des Himmelbettes im Paradeschlafzimmer.

Er bestellte reich bestickte Vorhänge, Tisch- und Tagesdecken für all seine Schlösser.

Derart von Produkten aus dem Hause Jörres überzeugt, ließ er bei den Schwestern die Bettvorhänge für das ihm so wichtige „Chambre de parade“ von Herrenchiemsee fertigen. Bereits bevor der Grundstein des Neuen Schlosses auf der Herreninsel gelegt wurde, hatten die Planungen für dieses Paradeschlafzimmer begonnen. Allein für die noch heute zu sehende Rückwand mit dem schlafenden Amor bezahlte Ludwig II. 9.800 Mark – fast das Dreifache des Jahresgehalts eines Professors an der Akademie der Bildenden Künste! Insgesamt lieferten die Schwestern Ware im Wert von gut 165.900 Mark allein für das Paradebett, wenn man 2.284 Mark Zoll für den Staat nicht berücksichtigt.

mathilde jörres denkmal

Noch heute grüßt Mathilde Jörres Passanten, die eilig durch Neuhausen ziehen.

Man könnte sagen, dass die Bestellungen bei Jörres einem Konjunkturpaket gleichkamen. Dora und Mathilde lag viel an der Bildung armer Mädchen, die damals kaum ausgebildet wurden. Besser geschult, eröffnete dies für die jungen Frauen mehr Chancen. Nach dem Tod des Königs verkaufte Mathilde die Firma und zog sich in das von ihr gegründete, noch heute existierende Marienstift zurück. Eine kleine Stele ihr zu Ehren findet man heute in der Klugstraße im Bezirk Neuhausen-Nymphenburg.

Über’s Zahlen der Zahlen

Zum Ende hin sei ein kurzer Exkurs gestattet: Die Aufträge Ludwigs haben den König selbst – alle Bauten finanzierte er bekanntlich aus eigener Tasche – rund 31 Millionen Mark gekostet. Der Krieg gegen Preußen 1866 verschlang neben zahlreichen Menschenleben binnen zweieinhalb Monaten fast das Doppelte, zirka 56 Millionen. Vielleicht hätten die Minister 1886 dem König doch seine Schulden finanzieren sollen, statt Dr. Gudden ins Rennen zu schicken; wer weiß wie dieser kurze Blogbeitrag dann ausgefallen wäre. Zumindest wäre es nicht zum Schaden der genannten Firmen gewesen.

Und die Moral von der Geschicht‘ …

Ludwig I. hat in München für die großbürgerlichen Straßenzüge und Museumsbauten gesorgt. Ludwig II. für die entsprechenden Bewohner: Bewohner, die sich noch heute ein bisserl königlich fühlen dürfen, wenn sie mit kleinem Geldbeutel in alteingesessene Geschäfte zum Einkaufen gehen.

 


Für Leser, die das Thema noch vertiefen möchten:

Marita Krauss: Die königlich bayerischen Hoflieferanten. München 2009.
Afra Schick: Möbel für den Märchenkönig Ludwig II. und die Münchner Hofschreinerei Anton Pössenbacher. Stuttgart 2003.