29. Februar 1868 – ein Schaltjahr: In einer luxuriösen Villa im fashionablen Nizza nimmt ein für die Geschichte der Residenz sehr bedeutsamer Mann seinen finalen Abschied – Ludwig I. (geb. 1786), seit 1848 abgedankter König von Bayern. Hätte er es sich aussuchen können, darf man davon ausgehen, dass er entzückt gewesen wäre, seinen letzten Auftritt auf einen gewissermaßen aus dem üblichen Jahresablauf herausgehobenen Tag zu legen: Hat sich der selbstbewusste Monarch doch schon von seiner (langen) Kronprinzenzeit an bemüht, in der Politik und – für ihn eng und untrennbar mit dieser verknüpft – in Kunst und Kultur markante Zeichen zu setzen!
Diese doppelte (und für die königliche Schatulle oft strapaziöse) Rechnung hat sich auf lange Sicht als vorteilhaft erwiesen: Während der Politiker Ludwig heute unterschiedlich beurteilt wird, werden die Verdienste des Mäzens und begeisterten Bauherren allgemein gewürdigt. Doch tritt im zeitlichen Abstand auch deutlich hervor, wie entschlossen der zweite bayerische Monarch die von ihm geförderten Künstler eingespannt hat, um die eigenen, sich vielfach wandelnden Visionen eines auch im bürgerlichen 19. Jh. einflussreichen Königtums in Szene zu setzen. Letztlich aber stolpert Ludwig, der royale Politiker, über Ludwig, den fürstlichen Liebhaber der Schönheit: Die tritt in diesem Fall in Gestalt der skandalösen Lola Montez an ihn heran. Ihre rasante Karriereförderung durch den entzückten Landesvater befeuert eine latente politische Krise derart, dass der 62jährige König im Revolutionsjahr 1848 schließlich die Regierung zugunsten seines Sohnes Maximilian (II.) abgibt.
Es ist wohl auch dieser pikante Skandal mit seinen weitreichenden Folgen, der teilweise die bis heute anhaltende Beliebtheit eines der – eigentlich kleineren – Kunstprojekte Ludwigs I. erklärt: nämlich der berühmten Schönheitengalerie, die heute in Schloss Nymphenburg gezeigt wird, ursprünglich aber für die Münchner Residenz bestimmt war.
Bereits 1826, kurz nach seiner Thronbesteigung, begann Ludwig, den Maler Karl Joseph Stieler (1781-1858) mit Porträts der „Schönsten des schönen Geschlechts“ zu beauftragen – eine Lebensaufgabe, die den Künstler fast dreißig Jahre beschäftigen sollte. 1829 konnte Stieler bereits zehn Bildnisse präsentieren, darunter das Abbild der vom König schwärmerisch bis sehr handfest verehrten Marchesa Florenzi.
Die Auswahl der Schönheiten erfolgte auf mehreren Wegen, wenn auch wohl nicht durch unmittelbarste Überprüfung der Modelle seitens des Monarchen, wie böse Zungen und phantasiebegabte Untertanen es sich genüsslich vorstellten. Vielmehr machte Stieler Vorschläge, die Verwandtschaft durfte mitsprechen und Ludwig selbst hielt auch die Augen offen bei Empfängen, beim Fasching und beim täglichen Spaziergang durch die Münchner Straßen – inwieweit er die jeweilige Vorauswahl mit Gemahlin Therese diskutierte, ist leider nicht überliefert. Andeutungen der Zeitgenossen lassen zumindest vermuten, dass bei Bällen, Konzerten usw. die auch der Hof besuchte, ehrgeizige Mütter ihre fest ins Korsett geschnürten Töchterchen strategisch günstig in Stellung brachten: Auf den Plätzen gegenüber der Königsloge ist es manchmal wohl recht eng geworden. Viel wird auch in Hinblick auf das glatte Münchner Gesellschaftsparkett vernünftige Kompromisspolitik gewesen sein („Wenn X aufgenommen wird, muss mindestens auch Y in die Auswahl kommen“) – und Ludwigs Schwiegertochter, die Preußin Marie, durfte natürlich auch nicht fehlen!
Bestimmt war die Schönheitengalerie spätestens ab den 1830er Jahren für den 1835/42 errichteten Festsaalbau im Norden des Residenzareals, der die neuen Fest- und Repräsentationssäle des Königreichs aufnehmen sollte. Vor Thron- und Ballsaal wurden dort im östlichen Obergeschoss zwei Säle als „Spiel- und Konversationszimmer“ eingerichtet, deren mit Stuckmarmor verkleideten Wände Platz für insgesamt 36 fest montierte, gleichformatige Porträts boten. Zur Eröffnung des neuen Flügels im Jahr 1842 war Stielers Pinsel zu einer Zahl von 25 Gemälden vorgedrungen – die Zeit für noch nicht erblühte Schönheiten wurde langsam knapp…
In der Masse strömen die bis heute erhaltenen Bildnisse eine etwas sterile, über jeden noch so angestrengten Verdacht erhabene Lieblichkeit aus, die selbst bekannte Skandalnudeln des 19. Jh. wie die berühmte englische Gräfin Jane Ellenborough als zahme Gretchen erscheinen lässt. Dies war allerdings keine kreative Ermüdung des von den Schönheiten bedrängten Malers, sondern Teil des Konzepts: Für den in seiner Jugend stark von den Philosophen des deutschen Idealismus geprägten Ludwig war die physische Schönheit sinnlich fassbares Symbol moralischer Vollkommenheit – insofern nichts individuelles, persönliches, sondern ein Allgemeingültiges. Die drei Dutzend Frauen erschienen so nur als Varianten einer einzigen, absoluten Schönheit, die aber zugleich auch das sittlich Gute und moralisch Wahre verkörperte – und hingen insofern im Regierungssitz des Landesvaters ganz zu Recht an ihrem Platz!
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Festsaalbau sehr stark beschädigt und die Abfolge klassizistischen Prunkräume im Anschluss nicht wiederhergestellt – Ludwigs heimatlos gewordene Schönheiten wanderten so nach Nymphenburg, wo sie heute von Wänden im Südflügel des Hauptschlosses lächeln – keusch und gut, endlich mit Lola in ihrer Mitte…