So wundert sich 1743 der Jurist und Historiker Johann Peter von Ludewig. Und tatsächlich ist unser Bild vom 17. und 18. Jahrhundert fast etwas getrübt von dem ganzen Reis- und Weizenpuder, der von den in kunstvolle Locken gelegten falschen Haaren stäubt, die Herren und Damen auf den Porträts des Barock und Rokoko auf ihren Köpfen balancieren.
In der Ahnengalerie der Residenz etwa nickt es mal schneeweiß und eingerollt, mal brünett und wild aufgetürmt aus dem vergoldeten Bilderrahmen herab, und zwar durchgängig bei Männlein wie Weiblein, Kurfürstin und Kaiser…
Woher die Vorliebe für den künstlichen Schopf herrührte, ist dabei gar nicht so klar – modische, zeremonielle und hygienische Überlegungen gingen da letztlich Hand in Hand. Eine Erfindung der Epoche war die Perücke jedenfalls nicht, es hatte sie „schon immer“ gegeben. Die diskrete Unterstützung einer geizigen Natur durch künstliche Haarteile war für die, die es sich leisten konnten, gang und gäbe, und anders ist so manche aufwendige Zopffrisur, die wir an Frauengestalten der Renaissance bewundern, auch kaum zu realisieren gewesen. Im 16. Jahrhundert war für den „Mann mit Problemen“ zum Beispiel Nürnberg offensichtlich ein neuer Geheimtipp für diskrete Anschaffung von „hübsch gemacht Haar“. Zu einem massenhaften Vertrieb scheint es in dieser frühen Zeit allerdings dennoch nicht gekommen zu sein – kein Wunder vermutlich: man weiß, wie erste Versuche auszufallen pflegen…
Von einer möglichst unauffälligen Schönheitskorrektur zum modischen Massenphänomen der frühneuzeitlichen Aristokratie wurde die Perücke wohl erst, wie so oft in dieser Zeit, am französischen Hof: Dort begann der schon nicht mehr ganz so strahlende Sonnenkönig Ludwig XIV. in den 1670er Jahren, die zuvor nur fallweise aufgesetzte Perücke ständig zu tragen (angeblich, nachdem eine Krankheit ihn seiner eigenen, langen Haare beraubt hatte) und wurde darin von seiner unmittelbaren Umgebung und bald auch den europäischen Höfen begeistert nachgeahmt, wo man nun gleichfalls im großen Stile begann, sich die flohverseuchten Schöpfe zu scheren. Klar ist, dass das Haupt des allerchristlichsten Königs nicht einfach mit einem ordinären, auf Schafshaut genähten Puschel aus Frauenhaaren dubioser Herkunft bekrönt wurde: Natürlich nicht! Ludwig lancierte die sogenannte Allongeperücke, bei der die lang herabfallenden, sorgsam geringelten Strähnen sich über der Stirn zu zwei hochgetürmten Lockenwirbeln aufbauschen. Vorbild für dieses modische Detail boten die antiken Bildnisse Alexanders des Großen, deren typisches Kennzeichen diese „Anastolé“ (griech: „hoch/zurückwerfen“) genannte Frisur ist.
Auf Bildnissen des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel (reg. 1680-1726), der natürlich auch die in Versailles „vorgetragene“ Mode befolgte, sieht man gut die Vorzüge, die diese ausgesprochen repräsentative Prachtperücke auch einem vielleicht selbst nur mittelprächtigen Barockfürsten bot: Das Gesicht wird von den wallenden Locken wie von einer Aureole oder Löwenmähne umbauscht und gewinnt so – langer Nase und hängender Unterlippe zum Trotz – etwas unbestimmt Hoheitsvolles: Fertig ist der neue Alexander (auch der alte soll ja in Wahrheit physisch eher klein und unscheinbar gewesen sein…).
Natürlich unterlag das Perückentragen wie alle Kleider- und Modefragen zumindest bei Hofe strengen und en détail justierten zeremoniellen Rangabstufungen: es gab die diversen Typen für unterschiedliche Tageszeiten, für verschiedene festliche Anlässe, in Kombination mit bestimmten Gala- und Zivilkostümen, es gab wilde Debatten, ob Geistliche solch eitles Ding aufzustülpen hätten oder nicht, es gab sie in runder oder eckiger Grundform, nur mit seitlichen, oder kompletter Lockenmontur, mit einem oder zwei Zöpfen, die auch in Beutel gesteckt oder in Schlaufen gebunden sein konnten (und dann einfach nur noch albern aussahen), und, und, und…
Wer aufmerksam an den Bildern in der Residenz vorbeigeht, wird auf eine Fülle der im Laufe von zwei Jahrhunderten erprobten Lösungen dieser haarigen Mode- und Gesellschaftsfrage stoßen, glückliche und – naja: weniger glückliche.
Wie diese ganze Pracht zustande kam, erzählen die repräsentativen Bildnisse natürlich nicht: Das Haar, das der eine trug, musste ein anderer liefern: Die reisenden Händler schätzten lange Zeit hindurch besonders das robuste, blonde Haar der Niederländerinnen, das beispielsweise Bauernmädchen abgekauft, dann gewaschen, gebleicht oder gefärbt und anschließend in einzelnen Strähnen mühsam vernäht wurde. Entsprechend teuer war die Anschaffung und groß die Frustration, wenn schon nach kurzer Tragezeit das erste Ungeziefer in dem kunstvoll arrangierten Haarturm Einzug hielt. Kein Wunder allerdings, stießen Milben und Wanzen dort doch auf gehaltvolle Nahrung, denn die nur trocken gereinigte Perücke wurden jeden Morgen zum Abschluss einer zwar nicht intensiven, aber länglichen Reinigungs- und Ankleidezeremonie frisch mit parfümierten Puder, meist aus fein gemahlenem Mehl, aufgeweißt: ein entsprechender kleiner Blasebalg, kostbar gefertigt, hat sich in der Schatzkammer erhalten!
So stehen Fürstenporträt und Friseur-Utensil gleichermaßen für die ewig wahre Tatsache: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit….
P.S. Viele interessante Einblicke in die „Welt der Perücke“ bietet der Ausstellungskatalog „Lockenpracht und Herrschermacht“ des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig, Leipzig 2006!