Die sogenannte Silberkammer der Residenz, also der in unserer Museumssammlung erhaltene Bestand des kurfürstlich-königlichen Tafelsilbers, ist zu Recht berühmt: knapp 4000 Nummern zählt allein der jüngste und schwergewichtige Inventarband auf.
Allerdings führt die in drei Räumen hinter Glas ausgestellte Auswahl der kostbaren Metallkunst heutzutage ein ziemliches Schattendasein. Das soll sich aber ändern: in knapp drei Jahren soll die Sammlung im dann sanierten Königsbau am Max-Joseph-Platz in modernen Ausstellungsräumen neu präsentiert werden. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, und auf den haben wir uns mittlerweile gemacht: Stück für Stück werden Teller, Terrinen, Kannen, Leuchter, Platten, Schüsseln, Schalen, Rechauds, Messer, Gabeln, Kellen, Becher, Schreibzeuge (silberne Schreibzeuge?? – ja: silberne Schreibzeuge) und vieles mehr einzeln vorgenommen, dokumentiert, fotografiert und auf den Restaurierungsbedarf begutachtet.
Hier geht es vor allem um Reinigung: Silber läuft an der Luft bekanntlich an – das eigentlich mondhell schimmernde Metall, poetisch auch als „Lunas Tränen“ bezeichnet, wird ohne regelmäßige Pflege oder schützende Überzüge automatisch stumpf und schwärzlich – es ist eigentlich zum Heulen, mit oder ohne Luna.
Sagen wir es also mal so: wir sind derzeit beschäftigt. Den Besuchern gefällt’s. Sie nehmen Anteil an dem einsam vor seinem Tellerstapel tippenden Autor. Klar lassen sich zwei Hauptgruppen unterscheiden: Zum einen die älteren – hier z.B. schwäbischen – Damen, die zunächst einmal skeptisch die materielle Basis abklären: „Isch däs wirklich aalles Silber?“ Wenn der Betrugsverdacht dann ausgeräumt werden konnte, werden mitleidige Erinnerungen an eigene, mit Putzen und Polieren verbrachte Stunden wach („Heidanei…“). Die andere Gruppe bilden die Jüngeren, die selbst keinerlei Erfahrungen mit Silberscheuern mehr haben, denen jedoch schlagartig die Vorteile des in der WG zusammengewürfelten Ikea-Geschirrs klar zu werden scheint.
Aber natürlich machen diese vorbereitenden Arbeiten auch viel Freude. Denn so ein mit elegantem Rokoko-Schwung geschweifter Teller, auch wenn er nur einer in einer Serie von über 150 identisch geformten Stücken ist, erzählt dem genauen Betrachter so einiges. Die oft übel zerkratzte Oberfläche zeigt, dass die Objekte wirklich benutzt wurden: Mit den langen, schweren Messern des 18. Jh. machte man jeweils einzelne, tiefe und ziehende Schnitte, statt, wie heute, entschlossen, aber kleinräumig drauflos zu säbeln: Das sieht man den Residenz-Tellern an.
Außer den stilistischen Merkmalen und den heraldischen Hinweisen auf den hochherrschaftlichen Benutzer von ehedem – Wappen und Jahreszahl – ist es oft die Rück- oder Innenseite, die weitere Informationen bereithält. Hier finden sich auf den allermeisten Stücken bis in die Mitte des 19. Jh. eine kleine eingekratzte Zickzacklinie und in der Regel zwei eingeschlagene Stempel: Die Meistermarke, das Zeichen des Silberschmieds (meist ein Monogramm), und das Zeichen des Beschaumeisters, eines vom Magistrat bestellten Beamten. Zusammen bilden diese kleinen Spuren der Vergangenheit das Kontrollsystem ab, wie es vor allem und am konsequentesten in Augsburg, dem im 18. Jh. führenden Zentrum des Silberhandels, ab 1529 ausgebildet worden war.
Da man fürstliches Tafelsilber ganz klar als eine (wenn auch besonders formschöne) Kapitalreserve ansah, die bei Bedarf eingeschmolzen und vermünzt werden konnte (und wurde!!), bedurfte es einer Garantie, dass die Legierung, mit der man dem weichen Edelmetall mehr Festigkeit verlieh, im vorgeschriebenen Verhältnis verwendet wurde und der Silberarbeiter hier nicht in die eigene Tasche wirtschaftete: im Augsburg des 18. Jh. schmiedete man die Gegenstände in der Regel aus 13-lötigem Silber (heißt: hierzu erlaubte Beimischung von drei Lot unedler Metalle). Im Zuge der ausgefeilten (und hier nur verkürzt vorgestellten) Qualitätskontrolle schabte man mit einem Stichel an einer unauffälligen Stelle vom fertigen Werkstück einen kleinen Silberspan ab. Die zurückbleibende, gezackte Spur ist der sogenannte Tremulierstich. Die genommene Probe wurde erst gewogen, dann geschmolzen. Dabei schieden sich die beigemischten Stoffe ab, so dass man das reine Silber nochmals wiegen und aus der Differenz das Mischungsverhältnis bestimmen konnte! Wenn alles stimmte, wurde das Beschauzeichen eingeschlagen und die Ware durfte passieren. Das ist die – Achtung Kreuzworträtsel-Fans! – berühmte „Stichprobe“!
Ein aufwendiges Verfahren, das jedoch bei jedem (zumindest Augsburger) Silberstück, das nicht von Hofkünstlern stammte (die zunächst hiervon befreit waren), durchgeführt wurde – wo die Stempel fehlen, muss man sich also zumindest fragen, warum (oder ob man nicht richtig geschaut hat – manche Marken sind wirklich gut versteckt…).
Das Augsburger Beschauzeichen ist stets der „Pyr“, der bekannte Pinienzapfen aus dem Stadtwappen. Ab 1740 wurden die Beschaustempel dankenswerterweise mit Kennbuchstaben versehen.
Diese ermöglichen die Bestimmung des Zeitfensters, in dem der fragliche Pyr-Stempel in Benutzung war. Ein wichtiges Hilfsmittel für die Datierung von Silberobjekten und die Zuordnung von Stücken an bestimmte Meister, deren aktive Berufsjahre so in etwa abgesteckt werden können! Denn wie ihre fürstlichen Auftraggeber bildeten die Augsburger Silberschmiede regelrechte Dynastien aus, in denen die einzelnen Mitglieder gleichfalls Ordnungsnummern tragen, von denen aber sonst oft wenig bekannt ist, da sie ein Leben lang nur mit Kunsthandwerk und nicht wie Königs mit Krieg und Gloria beschäftigt waren. Ob unser Teller nun in der Werkstatt von Abraham Drentwett I, II, III oder IV entstand, klärt deshalb oft erst die Zusammenschau von Beschauzeichen und Meistermarke…