Unscheinbar, aber eine echte kleine wissenschaftliche Sensation ist das Exponat in der 2023 neu eröffneten Ausstellung „Markgräfliches Opernhaus: Welterbe & Museum“, das wir euch heute vorstellen möchten. Es ist auch ein Beispiel, wie spannend Forschung im Museum sein kann. In der Konzeptionsphase für das neue Museum unternahm das Kuratorenteam intensive Forschungen rund um das Opernhaus und seine Geschichte.
Eine Opernaufführung ohne Bühnenbild? Für viele Theaterbesucherinnen und -besucher sind konzertante Darbietungen auch heute irgendwie unvollständig. Das war in der Barockzeit, aus der das Markgräfliche Opernhaus stammt, nicht anders. Zentrales Element des damaligen Bühnenzaubers waren die Bühnenbilder, wovon wir bereits in einem Beitrag zur Bühnenmaschinerie berichteten. Daher machten wir uns für unser neues Museum auf die Suche nach den Spuren der historischen Kulissen unseres Theaters.
Barocke Bühnenbilder der Bayreuther Markgrafen
Bekannt und erhalten waren aus der Zeit der Markgräfin Wilhelmine, die das Opernhaus hatte errichten lassen, Bühnenbildentwürfe von Carlo Galli Bibiena und Beschreibungen in Opernlibretti. Aus der Regentschaft des Markgrafenpaars Georg Wilhelm und Sophia existieren nach wie vor Inventarlisten, Beschreibungen in Libretti oder auch ein unterhaltsamer Kupferstich einer Aufführung im Erlanger Opernhaus. Er zeigt eine Stadtszene samt zwei Elefanten, welche sich wiederum unter den Theaterrequisiten im Inventar des Schlosses Erlangen von 1719 (aufbewahrt im Staatsarchiv Bamberg, MBB, GAB, Nr. 794) wiederfinden.
Auch gab es Spuren vom Kulissenbestand selbst. Quellen legen nahe, dass noch lange nach Wilhelmines Tod in Kulissen aus ihrer Zeit gespielt wurde: Auf einem Theaterzettel aus dem Jahr 1794 für das Stück „Die Sonnenjungfrau“ von August von Kotzebue, der sich im Stadtarchiv Bayreuth befindet, heißt es:
„Um die Höhe und Tiefe der majestätische Opernbühne zu zeigen, habe ich die sämmtlich noch vorhandenen großen Dekorationen der Vorzeit zu dieser und folgenden Vorstellungen einrichten lassen, so wie die prächtige Glas-Säulen-Decoration zum Sonnentempel aufgestellt wird.“
Und:
„Erster Aufzug. Palmenwald. Im Hintergrunde schimmert ein wenig vom alten verfallenen Gemäuer durch und noch weiter die Kuppel des Sonnentempels[…]“.
Diese Passagen beschreiben Bühnenbilder, die aus Anlass der Festa teatrale L’Huomo im Jahr 1754 gefertigt worden waren, wie im Libretto nachzulesen ist:
„Letzter Auftritt. Ein grosser Berg auf welchen ein Tempel stehet. Am Fuß des Berges, ein Pallast von klahren Cristall mit durchscheinenden Säulen.“ Heute vermitteln lediglich die Entwürfe Carlo Galli Bibienas einen Eindruck davon.
Wo waren diese Kulissen abgeblieben? Die letzte konkretere Spur von Kulissen des 18. Jahrhunderts stammt immerhin aus dem Jahr 1925. Franz Rapp, damaliger Direktor des Deutschen Theatermuseums in München, listet im Nachgang einer Begutachtung der im Markgräflichen Opernhaus befindlichen Kulissen (Altakt des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege Seehof, 12.03.1925/456) als älteste Objekte noch einen Kerker-Vorhang, „auf der Rückseite mit Rokokozimmer bemalt“ und 3 Mauerkulissen vom Ende des 18. Jahrhunderts auf. Von den historischen Kulissen fand sich im Zuge der Museumsvorbereitung jedoch im Opernhaus keine Spur mehr. Grund waren Brandschutzräumungen im 2. Weltkrieg: Eine Aktenrecherche beförderte einen Vermerk (BSV, Rep. Reg. 387 Nr. 1, Vormerkung Nr. 4229) im Rahmen des Luftschutzkonzeptes aus dem Juni 1943 zutage, in dem es heißt: „Die dem Staat gehörigen modernen Kulissen und der frühere Vorhang sind von den Lattenrahmen abzunehmen und gerollt nach München zu schicken. Wegen der historischen Kulissen wird noch weitere Weisung gegeben.“ Die angekündigte Weisung fand sich nicht, aber zahlreiche Kulissenelemente haben dennoch ihren Weg in die Residenz München gefunden. Davon zeugte auch ein Packzettel, der sich in einem deponierten Kulissenbündel erhalten hatte, aber dazu später.
Historische Kulissen aus dem Markgräflichen Opernhaus in den Depots der Bayerischen Schlösserverwaltung und ihre Restaurierung
Die gerollten Leinwände, die in der Residenz München deponiert waren, wurden im Laufe der Zeit in ein Depot des Schlosses Nymphenburg umgelagert. Hier befanden sie sich noch, als die ersten Vorbereitungen für das neue Museum begannen. 2015 machte sich unsere Restauratorin Sonja Seidel mit unserem Kunstgutverwalter Markus Santjohanser daran, die Bündel aufzuschnüren. Das erwies sich als Herausforderung, die nur im Rahmen einer Restaurierungskampagne zu lösen war, da sich die Kulissen in äußerst fragilem Zustand befanden. Die wohl durch lange unsachgemäße Lagerung eingestaubten Kulissen scheinen im Rahmen der Notbergung um 1943 schlicht rasch zusammengerollt worden zu sein. Ein Entrollen der fragilen Leinwände hätte zu starken Zerstörungen geführt. Das Schadensbild, das sich im Zuge der restauratorischen Öffnung darbot, bestand in starken Verschmutzungen durch die Dachbodenlagerung früherer Zeiten, Knicken und Farbabplatzungen durch unsachgemäßes Aufrollen ohne Kern während der Notbergung, Rissen und Ausfransungen. Auf diesem Befund fußend entwickelte Sonja Seidel im Zuge der Bearbeitung erster Leinwände ein Konzept, wie die bis zu knapp 7 Meter langen Kulissenelemente sorgfältig auseinander genommen, gefestigt und gereinigt werden konnten. Auf dieser Grundlage bearbeitete die Firma Restauratoren Bunz + Bunz, Owingen, 2018 die Kulissen. Die Firma hatte bereits Erfahrungen im Bereich von Kulissenrestaurierungen und verfügte über die nötige Infrastruktur mit langen Arbeitsstrecken in einer großen Halle. Hier konnten die Kulissen auch fotografiert werden. Und während dieser Restaurierungskampagne fand sich dann auch der bereits genannte Packzettel.
Wissenschaftliche Untersuchung des Kulissenbestands
Erst nachdem diese Arbeiten durchgeführt waren, konnte die kunsthistorische Untersuchung durch die Verfasserin beginnen. 37 Elemente, darunter Seitenkulissen von Straßen oder einem Birkenwald sowie Kleinteile wie Fenster, haben sich erhalten, jedoch kein einziges komplettes Bühnenbild. Ein Blätterbuch in der Ausstellung vermittelt einen kleinen Eindruck davon.
Die schlechte Nachricht nach der Sichtung des Bestands: Keine Spur von den Kulissen der Barockzeit. Sämtliche Elemente stammen aus dem 19. Jahrhundert oder Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die gute Nachricht: Unter den Leinwänden befand sich ein echter Schatz: 4 Elemente der ersten Inszenierung von Richard Wagners Lohengrin bei den Festspielen auf dem Grünen Hügel im Jahr 1894, geschaffen vom berühmten Bühnenbild-Atelier Max Brückner aus Coburg, einer der besten Adressen der Zeit. Die Firma Brückner gestaltete den Weg vom standardisierten zum individuell für das jeweilige Stück entworfenen Bühnenbild mit und war berühmt für historisch genaue und naturalistische Kulissen. Sie lieferte ihre Werke von Coburg bis nach New York – und auch an die Bayreuther Festspiele. Brückners Bühnenbilder gehörten zu den Versuchen, »mustergültige« Bühnenbilder zu schaffen, die nach dem Willen Richard, Cosima und Siegfried Wagners Vorbildcharakter für alle späteren Inszenierungen der Wagner-Opern haben sollten.
Die vier Objekte sind allesamt Hintersetzer, die eine Treppe mit Balustrade, ein Treppen-Portal, ein weiteres Portal und einen Brunnen darstellen.
Angesichts der Leinwände stellt sich die Frage, wie diese eher unscheinbaren Objekte einer konkreten Opernproduktion zugeordnet werden konnten. Einen ersten Hinweis darauf ergaben bereits die Leinwände selbst. Alle Leinwände außer dem Brunnen waren rückseitig mit „Wag“ beschriftet, vielleicht für „Wagner“? zudem stand auf einer Rückseite „Kemenate hintersetzer No. 4“, auf einer anderen „[…]menate […]setzer 4“. Die nächste Spur enthielt die bereits zitierte Auflistung von Dr. Rapp, der eine „Dekoration zum 2. Akt des Lohengrin (Burghof). Gute Arbeit von Max Brückner-Koburg“ auflistet, ohne den genauen Umfang zu beschreiben. Da Rapp jedoch diese Dekoration zumindest teilweise zur Umarbeitung freigibt und sich der von ihm aufgeführte Kulissenbestand nur zu einem kleinen Teil mit unserem Konvolut deckte, war zuerst einmal ungewiss, ob die Lohengrin-Kulissen noch existierten bzw. überhaupt Objekte aus der Rapp’schen Liste noch vorhanden waren. Dies galt es zu überprüfen.
Normalerweise ist es gar nicht einfach, Produktionen dieser Zeit Bühnenbilder zuzuordnen. Zum einen wurde häufig noch die barocke Tradition fortgeführt, in standardisierten Bühnenbildern zu spielen, die nicht für eine spezifische Produktion geschaffen, sondern für unterschiedliche Stücke verwendet wurden. Zum anderen haben sich nicht nur die Kulissen selbst zumeist nicht erhalten, sondern auch höchst selten Bildquellen wie Fotos, Stiche oder dergleichen.
Das war tatsächlich anders bei den Inszenierungen der Bayreuther Festspiele, die schon früh publiziert wurden. Dazu gehörte die Serie „Bayreuther Bühnenbilder (Richard Wagner’s Werke im Bild)“, Greiz, Dr. G. Henning’s Hofkunstanstalt. Diese Publikationen wurden von König Ludwig II. gefördert, der sich dafür engagierte, Werke in eigens für sie hergestellten Bühnenbilder satt in Fundus-Kulissen zu spielen, und der bekanntermaßen auch Bühnenbilder zu Wagner-Opern in seine privaten Schlösser einbauen ließ, wie die Venus-Grotte im Schlosspark Linderhof. Die publizierten Stiche ließen bereits auf das Bild zum 2. Aufzug der 1894-er Inszenierung des Lohengrins schließen.
Zusätzlich zu diesen Quellen wurden vergleichend Realien untersucht, die aus dem Umfeld der Inszenierung und vor allem aus dem Bühnenbild-Atelier Max Brückners stammten, wie Zeichnungen aus seinem Nachlass im Münchner Theatermuseum. Hier fanden sich zahlreiche Blätter mit Zeichnungen diverser Bühnenbildelemente für das königliche Hof- und Nationaltheater in München. Diese Zeichnungen dienten als Inventar des damaligen Bestands und wurden aktualisiert, indem ausgesonderte Elemente als „demoliert“ gestempelt wurden. Hier fanden sich unter den Blättern an Lohengrin-Dekorationen bis in Details sehr ähnliche architektonische Elemente, etwa zu unserem Treppenelement und unserem Türbogen. Eine Recherchereise nach Meiningen vermittelte einen Eindruck gesicherter originaler Brückner-Kulissen – denn das dortige Theatermuseum verfügt über einen einzigartigen Bestand an Kulissen des Ateliers Brückner aus der Zeit, war doch das Meininger Hoftheater unter der Leitung des „Theaterherzogs“ Georg II. und seiner Frau Helene Stammkunde der Firma.
Als nun also viele Indizien dafürsprachen, dass unsere Kulissenfragmente aus der Lohengrin-Produktion stammten, fertigte die Verfasserin Dummies, also maßstabsgerechte Verkleinerungen, der fragliche Elemente an und besuchte damit das Richard-Wagner-Museum in Bayreuth, das über eine weitere höchst wichtige Quelle verfügte: Das originale Bühnenbildmodell. Gemeinsam mit einer dortigen Kollegin, Melanie Möbius, wurde versucht, die in Frage kommenden Stücke in das Bühnenbildmodell einzupassen. Zuerst ließen sich lediglich zwei Elemente problemlos einfügen, der Brunnen und die Treppe. Nach der Restaurierung des Bühnenbildmodells durch das Restaurierungszentrum der Bayerischen Schlösserverwaltung (Susanne Mayr) war das Modell soweit wiederhergestellt, dass sich auch die beiden anderen Elemente noch positionieren ließen. Derzeit können unsere Besucherinnen und Besucher das Modell als freundliche Leihgabe des Richard Wagner Museums, Bayreuth, im Opernhausmuseum sehen – neben einem der vier Kulissenteile, nämlich der Treppe. Zwei Kulissenelemente wurden sichtbar mit farbigen Statthaltern ergänzt – natürlich restauratorisch fachgerecht, ohne das originale Modell zu schädigen.
Vom Grünen Hügel ins Markgräfliche Opernhaus
Nun stellte sich noch die Frage, wie die Kulissen vom Grünen Hügel ins Markgräfliche Opernhaus gekommen sein könnten. Mit der der Neuinszenierung des Lohengrin 1908 wurden die alten Kulissen wohl nicht mehr benötigt. Aus Archivalien wissen wir, dass Bühnendekorationen im Markgräflichen Opernhaus ein knappes Gut waren. So werden die Leinwände wohl zur Zweitverwendung abgegeben worden sein. Da die Maße der Bühnen sehr unterschiedlich sind, wurde das Lohengrin-Bühnenbild wohl nicht einfach aufgehängt. Vielmehr dürfte es um Materialrecycling gegangen sein. Die Leinwände dürften umgearbeitet und ggf. neu bemalt worden sein. Eines der vier Lohengrin-Elemente weist dazu Spuren auf: Die Beschriftung „Kemenate…“ auf der Rückseite der Leinwand wurde durch eine neue Türöffnung abgeschnitten und lt. einer weiteren Beschriftung diente das Objekt nun als Element eines japanischen Teehauses. Auch Rapp vermerkte, die Elemente seinen bereits teils umgearbeitet worden. Da wir heute nur noch vier Fragmente haben, und auch eher kleine, weniger repräsentative Objekte, erscheint es gut möglich, dass ein Großteil der Lohengrin-Elemente auch zweitverwendet wurde, ob für die Lohengrin-Aufführungen im Markgräflichen Opernhaus (u.a. 1906, 1907) oder für gänzlich andere Produktionen.
Nachdem keine weiteren Brückner-Kulissen vom Grünen Hügel die Zeiten überdauert haben, stellen unsere vier Objekte nun die einzigen „Überlebenden“ an Brückner-Kulissen der Bayreuther Festspiele dar – und sind zugleich Zeugnisse der Versuche Cosima Wagners, modellhafte Inszenierungen der Stücke ihres Gatten zu schaffen.