Geheimnisse

Hedwig – Eine polnische Königstochter in Burghausen

Hedwig von Burghausen

Sie waren nicht nur Mütter, Schwestern und Gattinnen – sie waren Herrscherinnen, Bauherrinnen, Diplomatinnen und lenkten die Geschicke ihrer Familien: Die Rede ist von Frauen am Hof! Wir widmen uns in diesem Jahr im Rahmen einer größeren Blogreihe einigen heute leider wenig bekannten Damen der bayerischen Geschichte. Die Beiträge drehen sich um das Leben und Wirken außergewöhnlicher weiblicher Persönlichkeiten, die in Verbindung mit unseren Burgen, Schlössern und Residenzen stehen. Heute erzählt Kurator Sebastian Karnatz von Herzogin Hedwig, die vielen von der Landshuter Hochzeit bekannt sein dürfte. Doch wie verlief eigentlich das weitere Leben der polnischen Königstochter?

Hedwig Jagiellonica

Die wohl bemerkenswerteste Bewohnerin der Burg Burghausen war Herzogin Hedwig, eine polnische Königstochter. Zeitgenössische Chronisten sprechen davon, die Jagiellonin sei auf der Burg eingesperrt gewesen. Zahlreiche Quellenfunde und nicht zuletzt der Bau selbst sprechen allerdings dagegen.

Alle vier Jahre verwandelt sich die niederbayerische Stadt Landshut in einen spätmittelalterlichen Themenpark. Haare und Bärte der Bewohnerinnen und Bewohner wachsen das ganze Jahr über weitgehend ungebremst, um dann im Sommer vor den Blicken tausender Schaulustiger stolz präsentiert zu werden.

Landshuter Hochzeit

Die Landshuter Hochzeit. Foto: Wikipedia, Alexander Z. Juli 2005.

In der sog. Landshuter Hochzeit wird der Feierlichkeiten rund um die Heirat Herzog Georg des Reichen (reg. 1479-1503) mit der polnischen Königstochter Hedwig (1457-1502) aus dem Hause der Jagiellonen im Jahr 1475 gedacht. Mit großer Akribie feiert dann ganz Landshut ein großes Spätmittelalterfest mit Festzug, Markttreiben, Turnieren usw.

Porträt, Herzog Georg der Reiche von Bayern-Landshut,

Herzog Georg der Reiche von Bayern-Landshut, Peter Gertner, um 1531/32,(Dauerleihgabe der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen).

Folgt man allerdings den bayerischen Hofhistorikern, dann war diese Verbindung zwischen dem reichen Bayernherzog und der Jagiellonin alles andere als eine glückliche, die es regelmäßig zu feiern gälte. Laut dem Chronisten Ulrich Füetrer war die 18-jährige Braut schon bald nach ihrer märchenhaften Hochzeit „zu Purgkhausen eingesperrt im schloss“. Allerdings ist seine zwischen 1478 und 1481 verfasste „Bairische Chronik“, die in diesem Zusammenhang immer wieder zitiert wird, schließlich auch in erster Linie eine Propagandaschrift für den oberbayerischen Herzog Albrecht IV., dessen größer familieninterner Widersacher – man ahnt es – Hedwigs Gemahl Georg der Reiche war.

Eingesperrt in Burghausen?

Burg Burghausen, Hauptburg von Südosten

Die Burg Burghausen von Südosten.

Es lohnt sich also der Herzogin dort zu begegnen, wo sie, so viel ist unbestritten, nach der Hochzeit nahezu ununterbrochen lebte – in Burghausen. Die Burg Burghausen war eine Zweitresidenz der in Landshut residierenden Herzöge von Niederbayern. Seit der Herrschaft Heinrichs des Reichen (reg. 1393-1450), des ersten der so genannten Reichen Herzöge, erfüllte die Burg auch die Funktion eines ständigen und massiv befestigten Familienwohnsitzes. Im 15. Jahrhundert lebten hier vornehmlich die Gemahlinnen der Landshuter Herzöge, so zum Beispiel Margarete (1395-1447) und Amalie (1436-1501). Hedwigs Aufenthalt in Burghausen ist also mitnichten eine Besonderheit, sondern setzt die wittelsbachische Familientradition konsequent fort. Den Rechnungsbüchern ist zudem zu entnehmen, dass Georg die ersten vier Jahre ihrer Ehe – also weitgehend die Zeit vor seinem Regierungsantritt – ebenfalls vor allem in Burghausen verbrachte.

Die Gemahlinnen der Herzöge verfügten jeweils über einen großen Hofstaat zur Verwaltung und nicht zuletzt zur angemessenen höfischen Belebung der Burg. Zu den höfischen Vergnügungen zählten unter anderem Feste im Tanzhaus, das Lustwandeln im Garten sowie zahlreiche Jagden. All dies ist archivalisch auch für Herzogin Hedwig gesichert.

Baulich blieb es auf der Burg Burghausen während des gesamten 15. Jahrhunderts ebenfalls turbulent: Der massiv betriebene Ausbau der Burg zum befestigten Familienwohnsitz unter Georg und Hedwig verdeutlicht die besondere Stellung Burghausens. Georg selbst war auch nach den ersten vier Jahren hier häufig zugegen, wenn auch natürlich nicht so oft wie in seiner eigentlichen Residenz, der Burg Trausnitz in Landshut. Er bewohnte das erste Obergeschoss des Palastraktes. In seiner Abwesenheit erreichten die Hofhaltung seiner Frau regelmäßige Warensendungen mit Pfirsichen, Quitten, Wildbret und Wein sowie mit kostbaren Geschenken wie einem Zelter, einem leichten Reitpferd.

Zu Hedwigs Hofstaat gehörten neben dem Hofmeister Hans Ebran von Wildenberg auch 21 Edelfräulein, zahlreiche Hofbedienstete, ein Hofnarr und ein Hofzwerg. Hedwig selbst dürfte in Anwesenheit ihres Mannes das Geschoss über den herzoglichen Räumen bewohnt haben sowie zusammen mit ihrem Hofstaat den gegenüberliegenden Kemenatenbau. Auch zu ihrer Familie hielt Hedwig schriftlichen Kontakt und empfing polnische Gäste auf der Burg. Wallfahrten sind für die fromme Christin ebenfalls bezeugt.

Burg Burghausen, Hedwigskapelle

Burg Burghausen, Hedwigskapelle.

Die Herzogin als Stifterin

Diese Befunde sprechen in der Summe doch alles in allem gegen eine wie auch immer geartete Gefangenschaft in Burghausen. Auf dem Gelände der Burg begegnet uns Hedwig auch als Stifterin. Die während der Regentschaft ihres Mannes entstandene Kapelle, die der Gottesmutter Maria geweiht ist, ziert an prominenter Stelle an der Westempore ein Relief, das Hedwig und Georg kniend als Stifterpaar zuseiten des als Schmerzensmann dargestellten Christus zeigt.

Burghausen, Hedwigskapelle, Stifterrelief

Stifterrelief in der Hedwigskapelle der Burg.

Durch jüngste dendrochronologische Untersuchungen sind auch im Kemenatenbau, der Hedwig und ihren Hofstaat beherbergte, Veränderungen in spätmittelalterlicher Zeit nachgewiesen. Eine heute im Staatlichen Burgmuseum befindliche, aus der Kemenate ausgebaute Bohlendecke mit spätgotischen Zierelementen konnte auf das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts datiert werden. Nicht nur die Wehrfunktion der Burg wurde also unter Georg und Hedwig optimiert, sondern auch der Wohnkomfort im Damenstock.

Burg Burghausen, Hofmeisterzimmer

Burg Burghausen, Hofmeisterzimmer mit ausgebauter Bohlendecke mit spätgotischen Zierelementen.

Selbiges gilt auch für das Stubenappartement Herzog Georgs, das Ende des 15. Jahrhunderts ganz im Geiste des frühen Humanismus alle Annehmlichkeiten des zeitgenössischen Residenzbaus besaß – Fensterblicke in den spätgotischen Ziererkern und ein durchgegliedertes Appartement mit einem großzügigen Eingangsbereich, dem Flez, einer kleineren (Schreib-)Stube, einer Schlafkammer und einer großen, auch für Gesellschaften nutzbaren Stube am Scheitel des Gebäudes mit mehrseitiger Durchfensterung. Sollte das Herzogspaar diese Transformation der Burg zu einem zeitgemäßen Herrschaftssitz Ende des 15. Jahrhunderts wirklich veranlasst haben, wenn die eigentliche Aufgabe dieser Residenz nichts anderes war, als Hedwig vermeintlich sicher wegzusperren? Das erscheint zumindest schwer vorstellbar.

Burg Burghausen, Große Stube

Burg Burghausen, Große Stube der herzoglichen Wohnräume.

Das Ende der Reichen Herzöge

Die Tragik der Herzogin, die in ihrer Kindheit eine vorbildliche humanistische Ausbildung erhalten hatte, wie sie im bayerischen Herzogtum erst in der Folge und auch dann vor allem für die männlichen Nachkommen die Regel war, liegt weniger in ihrem Dasein auf der Burg Burghausen begründet, als im dramatischen Verlust der Eigenständigkeit des niederbayerischen Herzogtums. Da Hedwig und Georg kein Sohn beschieden war, setzte der Herzog seine Tochter Elisabeth (1478-1504), die Gemahlin Ruprechts von der Pfalz, als Erbin ein. Diese Regelung widersprach aber dem Wittelsbacher Hausvertrag, der das Landshuter Erbe beim Aussterben im Mannesstamm den Herzögen von Bayern-München zusprach.

Elisabeth von Bayern (1478-1504), die erstgeborene Tochter Georgs und Hedwigs, sollte nach dem Willen ihres Vaters gemeinsam mit ihrem Gemahl Ruprecht von der Pfalz die Herrschaft über Niederbayern erben. Nach Georgs Tod am 1. Dezember 1503 pochten sowohl Pfalzgraf Ruprecht als auch Albrecht IV. von Bayern-München auf ihr Recht.

Dies alles erlebte Hedwig bereits nicht mehr. Am 18. Februar 1502 war sie überraschend – wenn auch gesundheitlich schon seit längerem angeschlagen – gestorben. Ihr Schwiegersohn Pfalzgraf Ruprecht starb am 20. August 1504, inmitten der Wirren des Landshuter Erbfolgekriegs, an der Ruhr. Hedwigs Tochter Elisabeth setzte den Krieg fort. Nach der entscheidenden Niederlage der mit den Pfälzern verbündeten böhmischen Truppen bei Wenzenbach am 12. September 1504 war das Schicksal des Erbes der Reichen Herzöge besiegelt. Nur drei Tage später starb auch Elisabeth, wohl ebenfalls an der Ruhr. Am 30. Juli 1505 beendete der „Kölner Schiedsspruch“ den Krieg zwischen den beiden wittelsbachischen Parteien. Der Hauptteil des niederbayerischen Gebietes wurde Albrecht IV. zugesprochen, der Bayern jetzt nahezu ungeteilt beherrschte. Die Enkel Hedwigs, Elisabeths Söhne Ottheinrich und Philipp, wurden mit dem neu eingerichteten Gebilde der Jungen Pfalz, nach ihrer Residenzstadt auch Pfalz-Neuburg genannt, entschädigt. Da die beiden noch nicht volljährig waren, regierte an ihrer Stelle Pfalzgraf Friedrich II. als ihr Vormund über das zersplitterte Gebiet, das sich von der oberen Donau über Franken bis zur nördlichen Oberpfalz erstreckte.

Schloss Neuburg an der Donau

Schloss Neuburg an der Donau.

Nicht einmal 30 Jahre nach einer der prunkvollsten Hochzeiten des späten Mittelalters war das Herzogtum Bayern-Landshut damit von der Landkarte verschwunden. Von Herzogin Hedwig, der glanzvollen Braut dieser Hochzeit, blieben kaum mehr als einige kirchliche Stiftungen, das Relief der später nach ihr benannten Hedwigskapelle im vierten Vorhof der Burg Burghausen und ein Portrait, das heute auf der Burg Trausnitz zu sehen ist (siehe Titelbild). Ganz wie es sich für die etwas im historischen Dunkel bleibende Braut der Landshuter Hochzeit gehört, ist bis heute unklar, ob es sich hier wirklich um ein Portrait Hedwigs handelt, oder ob hier ein – ohne Zweifel zeitgenössisches – adeliges Damenportrait nachträglich dem Gedenken an die Jagiellonin umgewidmet wurde.

 


In Gedenken an den 2020 verstorbenen Burghauser Stadthistoriker Dr. Johann Dorner, dem Erforscher der Quellen zu Hedwigs Hofstaat.