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„Wir bekommen ein hervorragendes Teehaus nach München“

japanisches Teehaus

„Wir bekommen ein hervorragendes Teehaus nach München“

Mit diesem freudigen Ausruf teilte Herr Prof. Dr. Wichmann, Mitglied des Organisationskomitees für die Spiele der XX. Olympiade und Kurator der Ausstellung „Weltkulturen und Moderne Kunst“, dem Gartendirektor der Bayerischen Schlösserverwaltung Herrn Meyr im Dezember 1971 mit, dass die Planungen zum Japanischen Teehaus im Englischen Garten München in vollem Gange sind.


Na, habt ihr ihn auch schon gespürt, den Hauch von Nostalgie, der derzeit durch München weht? Vermutlich schon, denn in München finden sich seit einigen Monaten in Souvenirshops oder Trödelläden wieder Anstecker, Plakate oder Aufsteller aus der Zeit um 1972. Waldi ist zurück und auch die kürzlich beendeten Leichtathletik-Europameisterschaften ließen die Erinnerung an Olympia noch einmal aufleben.

Das Großereignis Olympische Sommerspiele 1972, welches mit seiner Ambivalenz aus glücklichen Spielen, wirtschaftlichem und stadtplanerischem Aufschwung und gleichzeitig der Tragik des Attentats vom 5. September 1972 noch heute viele Münchnerinnen und Münchner nicht loslässt, ist im Stadtraum immer noch an verschiedensten Orten ablesbar. Ganz vorne zu nennen natürlich der Olympiapark im Nordwesten Münchens, der jüngst wieder Austragungsstätte sportlicher Wettkämpfe wurde. Die Planungen um 1972 waren so umfassend, dass sie nicht zuletzt auch die Bayerische Schlösserverwaltung und ihre Liegenschaften betrafen. Die Schlossanlagen Nymphenburg und Schleißheim, aber auch der Englische Garten beherbergten Disziplinen der olympischen Wettkämpfe.

Die Verbundenheit von Olympia und der Bayerischen Schlösserverwaltung ging aber über diesen rein sportlichen Aspekt hinaus und zeigt sich an einem wunderbaren Beispiel für Völkerverständigung und kulturellen Austausch: dem japanischen Teehaus im Südteil des Englischen Gartens. Dieses Teehaus wurde 1972 von Dr. Soshitsu Sen, Großmeister der Urasenke Teeschule (15. Oberhaupt des Hauses Ura-sen) aus Kyoto dem Organisationskomitee für die Spiele der XX. Olympiade München gestiftet.

Im Zuge der allgemeinen Vorbereitungen für die Olympiade gab es bereits ab 1970 erste Korrespondenzen und Überlegungen zur Platzierung eines japanischen Teehauses. Angedacht war die Aufstellung im Rahmen der Ausstellung „Weltkulturen und Moderne Kunst“, die im Haus der Kunst parallel stattfinden sollte.

Briefwechsel im Oktober 1971 belegen die voranschreitende Planung und den Wunsch einer kulturellen Annäherung und Verbundenheit zwischen Japan und Deutschland, welche nicht zuletzt auch durch die Städtepartnerschaft zwischen München und Sapporo zementiert wurde. 1971 gab es dann auch erste Pläne für ein Teehaus und die Klärung der Zuständigkeiten vor, während und nach der Zeit von Olympia sowie der Besitzverhältnisse.

Steingarten Teehaus

Teehaus Steingarten Englischer Garten

Besonders spannend an dieser Schenkung ist sicherlich, dass das Teehaus nicht erst in Deutschland erbaut wurde, sondern bereits im Nordwesten Japans „welcher ungefähr die gleichen Witterungsbedingungen wie München auf [weist]“ unter der Leitung von Mitsuo Nomura, dem Architekten des Projekts. An diesem – mutmaßlich nahe Kyoto gelegenen – Ort wurde das Teehaus in unvorstellbar akkurater Präzision erbaut. Um sich die handwerkliche Meisterleistung zu verdeutlichen, reicht ein Blick auf die hölzernen Balken, die die Last des Daches aufnehmen. Sie stehen auf Findlingen und sind weder eingelassen noch angeklebt, sondern in Zentimeter genauer Feinarbeit auf die unebene Struktur des Steins angepasst. Dieses Gesamtkunstwerk wurde also zunächst in Japan geplant und erbaut, dann abgebaut und von dort aus verschifft, ehe fünf eigens aus Japan angereiste Handwerker das Haus Stück für Stück im Englischen Garten wieder zusammensetzten. Auch für den Garten wurde ein japanischer Gärtner beauftragt, der rings um das Häuschen einen kontemplativen Ort der Ruhe anlegte.

Herr Nomura, der in einem Briefwechsel im Jahr 1971 (anlässlich des Besuchs einer japanischen Delegation in München) als ehrerbietungsvoller Mann beschrieben wird, welcher „einem der ältesten japanischen Geschlechter [angehört] und […] einer der führendsten Männer der Teezeremonie“ sei, plante der Stadt München ein einzigartig authentisches, japanisches Teehaus, welches von der kaisernahen Familie Urasenke zunächst an das Olympiakomitee und später an den Freistaat Bayern und somit die Bayerische Schlösserverwaltung übergeben wurde.

In der Satzung der „Gesellschaft der Freunde des Teewegs Urasenke in der Bundesrepublik Deutschland e.V.“ aus dem Jahr 1977 heißt es, „das Studium der Teezeremonie bildet einen Schlüssel zum Verständnis japanischen Geistes“ und deshalb wollen wir uns in diesem Blogbeitrag nicht nur das Teehaus selbst, sondern auch eine solche Teezeremonie anlässlich des Jubiläums einmal näher ansehen.

Stein Teehaus

Im Englischen Garten angekommen weist einem ein kleiner Hinweisstein – nachträglich 1973 anlässlich der Übergabe japanischer Kirschbäume durch die Japan Cherry Blossom Association aufgestellt – den Weg. Man streift seinen Alltag ab und wandelt über eine kleine Brücke vom Englischen Garten aus hinüber in eine ganz und gar japanische Welt. War sich die Presse 1972 noch uneins, ob sich das Haus gut in den Englischen Garten einfügen würde, ist diese Frage längst mit JA beantwortet. Idyllisch auf einer kleinen Insel hinter dem Haus der Kunst gelegen, wird das Teehaus vom Wasser des Schwabinger Bachs umspült und von verschiedenen kleineren und größeren, mal mehr mal weniger japanisch anmutenden Bäumen gesäumt. Es fügt sich so gut in die Umgebung der Gartenanlage ein, dass noch heute so mancher überrascht ist, wenn er von der Existenz dieses Kleinods erfährt.

Anlässlich des 25. Japanfests werden zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie wieder Teezeremonien für die Öffentlichkeit angeboten.

Teehaus Engl Garten

Blick in den Innenraum des Teehauses von Sicht der Gäste aus; Auf der linken Seite die Fusuma, rechts die lichtdurchlässigen Schiebetüren, genannt Shoji

Der Andrang auf das Kanshoan – so der korrekte Name des Japanischen Teehauses – ist groß und bald sind alle Vorstellungen ausgebucht. Die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde des Teeweges Urasenke führen die Teilnehmenden auf einem aus Steinen angelegten Weg in das Innere des Teehauses. Die Gäste nehmen linker Hand auf den dort aufgestellten Bänken Platz und richten ihren Blick auf den Teil des Raums, der mit Tatami-Matten ausgelegt ist. Der Blick wird – typisch für die japanische Architektur – zusätzlich durch das Licht gelenkt. Ein rundes Fenster an der Stirnseite des Raums beleuchtet vor allem den vorderen Teil. Mit dem leicht erhöhten Niveau des Bodens weckt es fast den Eindruck, man blicke in spannungsvoller Erwartung einer Vorführung auf eine Theaterbühne. Dieser Eindruck wird noch einmal verstärkt, als auf der linken Seite der Tatami-Matten plötzlich eine der Papiertüren (japanisch Fusuma) behutsam zur Seite geschoben wird und eine Dame die Szenerie betritt.

japanisches teehaus englischer garten innen

Eine der Schiebetüren in geschlossenem Zustand, daneben zu sehen das Kreisrunde Fenster und einige Utensilien der Teezeremonie. Das Shoji und seine Materialität sind ein Beleg für den kulturellen Stellenwert der Anlage: Zum 30. Jubiläum kam eigens ein Papiermeister aus Japan, der die Türen erneuerte. Diese Vergänglichkeit des Materials ist, wie so oft in der japanischen Ästhetik, ein Qualitätsmerkmal.

Man könnte meinen, der Startschuss für die Teezeremonie ist gefallen, dabei ist die Zeremonie bereits in vollem Gange. Das Gesamtkunstwerk Japanisches Teehaus endet nicht an den papierenen Wänden des Hauses, sondern geht über in eine kunstvoll angelegte und in makelloserer Reinheit gerechte Kiesfläche und erstreckt sich über die kleine Gartenlaterne mit steinernem Wasserbecken hinaus. Darüber, wo die genauen Grenzen der Anlage liegen, kann man streiten. Ist es der Rand der Insel, also der offiziell ausgezeichnete Standort des Häuschens, oder zählen auch Sichtachsen und Blickbeziehungen aus dem Englischen Garten noch zum pittoresken Gesamtbild?

teehaus japanisch umgebung

links: Eine kleine Gartenlaterne mit tsukubai-Wasserbecken und Bambuskelle. Auch an den japanischen Tempelanlagen sind in der Regel Vorrichtungen zur rituellen Reinigung zu finden; rechts: Diese Aufnahme aus dem japanischen Garten im Yasukuni Schrein in Tokyo zeigt die typischen – tobiishi genannten – Trittsteine, die auch im Garten des japanischen Teehauses in München zu finden sind

Für die Teezeremonie jedenfalls gilt bereits die Begrüßung durch den Gastgeber und das Warten und Hereingebeten-werden zum gesellschaftlichen Ritus. Auch die Reinigung vor dem Eintritt in das Gebäude ist Teil des Ablaufs.

Inwieweit die Umgebung, die Jahreszeiten, der visuelle Eindruck Teil der Teezeremonie sind, zeigt ein Zitat des Teemeisters Takuan: „Wir erfreuen uns an den Landschaften der Jahreszeiten, des Schnees, des Mondes und der Blumen, erleben die Zeiten des Blühens und Verwelkens an den Gräsern und den Bäumen und lassen, unsere Gäste begrüßend, Ehrfurcht walten. Wir lauschen dem Wasser im Kessel, vergessen die Sorgen und Kümmernisse der Welt… und spülen allen Staub von unserem Herzen“.

Steingarten japanisches teehaus und kyoto

links: Blick auf das Japanische Teehaus während des Japanfestes im Juli 2022; rechts: Der sorgsam gepflegte Garten einer Tempelanlage in Kyoto. In den Gärten japanischer Tempelanlagen ist das Motiv der „Entliehenen Landschaft“ dominierend. Das traditionelle Harkmuster erinnert hier an Wellen

Alle irdischen Befindlichkeiten und Sorgen werden mit der rituellen Reinigung und dem Betreten des Teehauses zurückgelassen. Gesprächsthema ist einzig, was zu sehen ist. Geplänkel über politische Themen, ernste Themen, ja der gesamte Weltschmerz hat draußen zu bleiben. Der Blick wird nach innen gerichtet, auf die Teezeremonie, den Teemeister und auf sich selbst. Der Begriff des sei, der Reinheit – äußere und innere – auch im Sinne der Reinheit des menschlichen Geistes umschreibt, gibt hier einen Hinweis auf den Einfluss des Zen-Buddhismus.

Zurück zu der eben in den Raum eingetretenen Dame. Sie trägt einen Kimono und bietet den Gästen in der vorderen Reihe eine kleine Süßigkeit an. Das Kaiseki (leichtes Mahl) ist nicht dazu gedacht, den Gast völlig zu sättigen, es ist viel mehr die Ergänzung und Abrundung der Zeremonie.

japanisches Teehaus Englischer Karten Teezeremonie

Impressionen aus der Teezeremonie im Rahmen des Japanfests 2022

Die Dame verschwindet wieder in dem kleinen Raum links der Bühne und nur Augenblicke später öffnet sich eine der hinteren Schiebetüren und der Teemeister betritt den Raum.

Er nimmt vor einer Reihe verschiedener Gerätschaften Platz, darunter das Natsume (Behältnis für Teepulver), eine Teeschale, ein weißes Leinentuch, der Besen zum Aufschlagen des Tees und eine Schöpfkelle. Zunächst erfolgt erneute Reinigung, nämlich die ritualisierte Reinigung der Utensilien. Langsam, ja kunstvoll läuft das Wasser aus der Kelle über den Griff zurück in das dafür vorgesehene Behältnis. Das Teewasser wird in einem Kama (Wasserkessel) erhitzt und anschließend kann nun der Tee zubereitet werden.

Der Matcha, welcher aus einer Region nahe Kyoto bezogen wird und in Qualität seiner japanischen Schwesternschule (Omotesenke) in nichts nachsteht, wird den Gästen einzeln gereicht. Das Kaiseki rundet das geschmackliche Erlebnis ab.

Ganz im Sinne der Lehre des Teewegs (japanisch Chado), welcher Begriffe wie Harmonie, Reinheit und Ordnung in sich vereint, ist die Zeremonie mit dem Trinken des Tees noch nicht beendet. Es ist, als würde man die Herstellung des Tees noch einmal in rückwärts ablaufend betrachten. Aus dem gelben Gefäß wird kaltes Wasser zur Reinigung von Besen und Schale geschöpft und am Ende wird ein Löffel kaltes Wasser in den Kama hinzugefügt. Der Wasserstand in dem Gefäß befindet sich nun wieder auf dem Niveau, welches er zu Beginn der Vorführung hatte. Der „Urzustand“ ist wiederhergestellt.

Nach dieser Darbietung ist nun Zeit, den Blick noch einmal durch das Innere des Hauses schweifen zu lassen und nun können die dekorativen Blumen und die Bildnische im Innenraum eingehender betrachtet werden. Ein weiteres Zeugnis für die unvergleichliche Authentizität des Kanshoan. Eine solche Bildnische darf in keinem traditionell japanischen Haus fehlen. Die hier befindliche ist in ihrer symbolischen Bedeutung besonders aufgeladen. Ein Fächer, montiert auf einer Hängerolle wurde vom Stifter selbst mit dem japanischen Buchstaben wa (Frieden) bemalt. Als Pendant befindet sich an einer anderen Wand ein Wasserfall, ebenfalls auf einer solchen Hängerolle abgebildet.

Die Blumen sind nicht, wie es der interessierte Japankenner vielleicht erwarten würde, im Stil eines Ikebana Arrangements drapiert, sondern einfach gehalten und greifen saisonale Begebenheiten auf.

Diese Betrachtung führt nun noch einmal zur alles durchdringende Ästhetik des Wabi-Sabi. Die Vollkommenheit, welche nicht mit der Perfektion zu verwechseln ist, die Reinheit, welche keinesfalls klinische Sauberkeit meint, die Schönheit des Vergänglichen, das Mono-no-aware sind an diesem kontemplativen Ort, welcher die Faszination Japans in einem abgeschlossenen Kosmos zu präsentieren vermag, zu jeder Zeit zu spüren.