Vor 50 Jahren schaute die ganze Welt auf München – und in vielerlei Hinsicht auch auf die Bayerische Schlösserverwaltung. Wir nehmen euch heute mit auf einen kleinen sportlichen Parcours, wo sich die Olympischen Sommerspiele 1972 und die Bayerische Schlösserverwaltung (BSV) berührt haben.
Gold für Deutschland! Am 9. September 1972 gab es etwas Einmaliges zu bejubeln. Dies war, ohne den sportlichen Erfolg von Liselott Linsenhoff schmälern zu wollen, nicht allein das Olympia-Gold für eine bundesdeutsche Dressurreiterin. Es war vor allem die Kulisse, vor der sich das umjubelte Ereignis vollzog. Linsenhoffs Paraderitt auf „Piaff“ geschah unmittelbar vor dem Nymphenburger Schloss, genauer gesagt inmitten des tiefgreifend umgestalteten Gartenparterres. Für das Jahrhundertereignis Olympia 1972 hatte die Bayerische Schlösserverwaltung sozusagen eine Jahrhundertausnahme hingenommen, die den Einbau eines 20 x 60 Meter großen Dressurvierecks sowie von Tribünen für tausende Menschen, Jurorenhäuschen etc. mitten im denkmalgeschützten Park nach sich zog. Südlich des Parterres waren in Grünflächen Pavillons für Pressevertreter und nahe der Amalienburg gab es mehrere extra angelegte Aufwärmflächen. Ihre Unterkünfte hatten die Pferde indes bei der Olympiareitanlage in Riem. Sie wurden eigens für die Wettkämpfe angefahren. Interessanterweise hatten sich deutsche Spitzenreiter wie Josef Neckermann – er holte später hinter Linsenhoff die Bronzemedaille und mit ihr Mannschaftssilber – im Vorfeld gegen Nymphenburg als Austragungsort für die Dressurwettkämpfe ausgesprochen. Die Presse berichtete über Neckermanns Befürchtungen, die unter anderem darauf zielten, dass wegen des Wassers der Schlosskanäle womöglich Millionen von Insekten die Pferde piesacken würden. Das Organisationskomitee der Spiele ließ sich aber nicht beirren und hielt an dem bildgewaltigen Austragungsort fest.
Schloss Nymphenburg blieb nicht die einzige Wettkampfstätte im Bereich der Bayerischen Schlösserverwaltung. Im Englischen Garten, auf der Werneckwiese südlich des Kleinhesseloher Sees, fanden auf rund 5.000 Quadratmetern die Wettbewerbe im Bogenschießen statt, das erstmals seit den Spielen 1920 in Antwerpen wieder in das Olympische Programm aufgenommen war. Die Frauen trugen ihre Wettbewerbe auf Distanzen bis 70 Meter, die Männer auf bis zu 90 Meter aus. Alle Schützen blickten Richtung Norden, um vom Sonnenlicht möglichst wenig geblendet zu werden. Per optischem und akustischem Signal wurde angezeigt, wann es zu schießen galt.
Es waren jedoch nicht nur die Wettkämpfe um Gold, Silber und Bronze, mit denen die BSV in Berührung kam. Schon eine Briefmarkenserie der Deutschen Bundespost 1970 hatte deutlich werden lassen, dass die Gastgeberstadt München der Weltöffentlichkeit nicht zu präsentieren war ohne Sehenswürdigkeiten der Bayerischen Schlösserverwaltung.
Der Strahlkraft der Liegenschaften der BSV in München und Umgebung erlag auch das Olympische Organisationskomitee, als die Stätten für das begleitende Kulturprogramm festzulegen waren. So gab es im Sommer 1972 für Einheimische und Angereiste – das Olympische Dorf öffnete bereits am 1. August seine Tore – Aufführungen und Konzerte im Cuvilliéstheater, im Brunnenhof der Residenz oder im Herkulessaal, wo beispielsweise Chick Corea jazzte. Auch wurden Konzerte in Schloss Schleißheim, das die Olympische Regattastrecke in seine Nachbarschaft gesetzt bekam, ins Olympiaprogramm integriert.
Im Rahmen des Ausstellungsprogramms der Spiele konnte die Bayerische Schlösserverwaltung ihre Kompetenz als Bewahrerin einzigartiger bayerischer Kunstschätze ausspielen. Für die Rahmenausstellungen „Weltkulturen und moderne Kunst“ im Haus der Kunst sowie für die fast 2.000 Exponate starke Schau „Bayern – Kunst und Kultur“ im Münchner Stadtmuseum, bei der der damalige Präsident der BSV Levin Freiherr von Gumppenberg im Ehrenausschuss saß, steuerten Liegenschaften der Schlösserverwaltung zahlreiche Leihgaben bei, unter anderem einen Wandteppich des 18. Jahrhunderts aus der Residenz München, der zum Titelbild von Katalog und Plakat avancierte.
Viele der in die Stadt gekommenen Athleten, Funktionäre und Touristen waren aber natürlich schlichtweg auch an Sightseeing und somit einem Besuch der Schlösser, Burgen und Residenzen in München und Umgebung interessiert. Vor den Spielen gab es rege Korrespondenz zwischen den Organisationsstellen und der Bayerischen Schlösserverwaltung, wie zum Beispiel Hostessen, Bereitschaftspolizisten oder Kurzzeitpersonal die Schlösser besichtigen konnten.
Der Olympische Gedanke steht bekanntermaßen nicht nur für den sportlichen Wettstreit, sondern auch für Völkerverständigung, respektvollen Umgang miteinander und das Kennenlernen anderer Kulturen. Bis heute kündet hiervon das japanische Teehaus am Südende des Englischen Gartens, ein Geschenk aus Anlass der Städtepartnerschaft mit Sapporo, das 1972 die Olympischen Winterspiele beherbergte.
Pierre de Coubertin begründete Ende des 19. Jahrhunderts die Olympischen Spiele der Neuzeit als Treffen der Jugend der Welt, wobei freilich nicht jedem das Erreichen sportlicher Spitzenleistungen gegeben ist. Viele junge Menschen besuchten München im Olympiasommer 1972 aus Freude, Neugierde und dem Wunsch nach Vernetzung. Für sie wurden internationale Jugendcamps eingerichtet und manche von ihnen wohnten dort gewissermaßen bei der Bayerischen Schlösserverwaltung. Ein Camp mit rund 1.500 jungen Menschen residierte im Kapuzinerhölzl nördlich des Botanischen Gartens, das zum Verantwortungsbereich der Schloss- und Gartenverwaltung Nymphenburg gehörte; ein Wunsch der Organisatoren, welcher der Schlösserverwaltung – schließlich handelte es sich um ein Landschaftsschutzgebiet – aktenkundig Bauchschmerzen bereitete.
Von diesem Camp hatten es die jungen Bewohner nicht weit zur Wegstrecke des Marathonlaufs. Dieser bog am 10. September – fünf Tage nach dem Terrorakt im Olympischen Dorf, der die heiteren Spiele verdunkelte – vom Olympiastadion in einem großen Bogen kommend durch das Hartmannshofer Tor im Norden in den Nymphenburger Park ein. Die Läufer – einen Marathonlauf der Frauen gab es noch nicht – kreuzten auf Höhe der Kaskade den Nymphenburger Kanal, wo es auch eine Verpflegungsstation für sie gab. In dem viel zu wenig bekannten offiziellen Olympiafilm „Visions of Eight“ ist besagte Nymphenburger Parkpassage vom Boden und aus der Luft aus festgehalten (ab 1:30:35). Im weiteren Verlauf passierte der Marathonlauf dann auch noch den Englischen Garten, ehe es zum Olympiastadion zurückging.
Jede Medaille aber, selbst eine olympische, hat bekanntlich auch eine Kehrseite. Bei der Realisierung der Wettkampfstätten kollidierten unterschiedliche Interessen. Studiert man Akten der Zeit, spürt man den Zweispalt der Schlösserverwaltung, die sich der Einmaligkeit des Ereignisses und der globalen Aufmerksamkeit für ihre Sehenswürdigkeiten selbstverständlich bewusst war, sich zugleich aber auch ihrem Auftrag der Pflege und Bewahrung denkmalgeschützter Anlagen verpflichtet sah. Um Hochleistungssport in den historischen Anlagen austragen und überhaupt erst die Voraussetzungen dafür schaffen zu können, kam es unausweichlich zur Konfrontation mit massiven Veränderungswünschen. Die damit verbundenen Eingriffe in das Gartendenkmal erstreckten sich zum Beispiel von Veränderungen an den formalen Strukturen des historischen Parterres oder am Wegenetz bis hin zur Zerstörung von geschützten Wiesen- und Gehölzstrukturen. Besucher aus Äquatorialguinea, denen der Park von Nymphenburg von Olympia-Briefmarken aus ihrer Heimat zumindest schematisch geläufig war, erkannten vor Ort angekommen das Gelände womöglich erst auf den zweiten Blick angesichts der einschneidenden Umgestaltung des Gartenparterres.
Viel Staub wirbelte auf, dass von der Olympia-Baugesellschaft ein „Kunststoffverfestiger“ auf die Nymphenburger Wege gesprüht wurde, damit den Ausdauersportlern – außer den Marathonläufern passierten auch die Geher auf ihrem 50-Kilometer-Parcours den Schlosspark Nymphenburg – keine Kieselsteine in die Schuhe sprangen. Dieses Verfahren jedoch roch allen vorherigen Versicherungen zum Trotz fürchterlich, was wiederum verärgerte Parkbesucherinnen und -besucher und eine Nachfrage aus dem Landtag nach sich zog und schließlich erst im nacholympischen Jahr wieder rückgeführt werden konnte.
Jenseits der extra für den Weltklassesport durchgeführten radikalen Einschnitte am Gartendenkmal, was heute auch im Sinne der Nachhaltigkeit und aus Sicht des Natur- und Artenschutzes nachdenklich stimmen würde, präsentierten sich die Gärten und Parks der Bayerischen Schlösserverwaltung im Olympiasommer 1972 freilich von ihrer gepflegtesten Seite. Dass deren Erscheinungsbild damals schon für Mustergültigkeit stand und Vorbildcharakter besaß, bemerkte der Olympiabegeisterte schon beim Blättern im Offiziellen Olympiaführer. Dort wurde dem Publikum aus nah und fern von einer Firma sicher aus gutem Grund feinster Teppichrasen und trittfester Parkrasen als „Rasen-Mischung Nymphenburg“ und „Rasen-Mischung Englischer Garten“ angepriesen.
Titelbild: Ausschnitt aus dem Ausstellungsplakat zu „Bayern – Kunst und Kultur“, Otl Aicher und Team, 1972, Münchner Stadtmuseum/IOC