…titelte am 18. Januar 1973 vor 50 Jahren die größte deutsche Boulevardzeitung anlässlich der prominent besuchten Premiere von Luchino Viscontis Film „Ludwig II.“ Der italienische Starregisseur hatte mit seinem mehrstündigen und extrem aufwendig produzierten Epos über den berühmtesten Bayernkönig Filmgeschichte geschrieben. Aber anders als die heutige Bewunderung und Anerkennung auch von Ludwig-Fans als Kultfilm, gab es zu Beginn und während der Dreharbeiten bayernpatriotische Bedenken und kritische Stimmen. Die spektakuläre Kinoproduktion an vielen Originalschauplätzen wie Neuschwanstein und Linderhof im Olympia-Jahr 1972 und die glanzvolle Premiere in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn lösten mediale Turbulenzen aus, die heute kaum mehr vorstellbar sind.
Anfang September 1971 erfuhr die Bayerische Schlösserverwaltung sprichwörtlich aus der Zeitung, dass der italienische Ausnahmeregisseur Luchino Visconti „noch im Früherbst [1971] in Deutschland und Österreich einen Film über den Bayernkönig Ludwig II. drehen“ will.
(SZ vom 08.09.1971) In einem Brief an den deutschen Filmemacher Hans Jürgen Syberberg, der ein Filmprojekt über den Mundkoch König Ludwigs II. Theodor Hierneis („Th. Hierneis oder: wie man ehem. Hofkoch wird“ 1972) plant, schreibt der damalige Präsident der Verwaltung Freiherr von Gumpenberg, dass „bis zum heutigen Tag [kein Film-] Antrag des Regisseurs L. Visconti […] in den Schlössern Ludwig II. oder anderen Bauten“ vorliegt. (Schreiben an Syberberg vom 03.09.1971) Derweil „besichtigte [Visconti] die Drehorte für seinen neuen Film über Ludwig II. von Bayern, den er […] bis Januar [1972] fertig haben will.“ (AZ vom 09.09.1971)
Die bloße Anwesenheit des Starregisseurs in München und seine Beschäftigung mit dem bayerischen Monarchen schlug enorme mediale Wellen, denen sich niemand entziehen konnte.
Allerdings verzögerte sich der Beginn der Dreharbeiten dann noch bis Anfang des Folgejahres und auch die Kosten der Monumentalproduktion stiegen in königliche Höhen: „Wir rechnen mit mindestens zwei Millionen Dollar.“ (AZ vom 15.01.1972) Neben dem Staraufgebot der Schauspieler (z. B. Romy Schneider als „Sisi“, Helmut Berger als „Ludwig II.“ oder Gert Fröbe als „Beichtvater“) schlug vor allem der Perfektionismus des adeligen Regisseurs, der am liebsten an Originalschauplätzen filmte, gehörig zu Buche. Sogar das ausrangierte Motorboot „Leoni“ musste auf Wunsch Viscontis in einen königlichen Raddampfer verwandelt werden, wozu es eigens nach Regensburg zu einer Schiffsbaufirma transportiert wurde. (SZ vom 27.01.1972).
Am 31. Januar 1972 starteten endlich die Filmaufnahmen für das Monumentalepos: im österreichischen Bad Ischl, wo Ludwig II. allerdings nie war! Die geschätzten Produktionskosten waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf 9 Millionen D-Mark gestiegen.
Derweil rumorte es in der bayerischen Volksseele wegen möglicher Verunglimpfungen des geliebten Monarchen durch den italienischen Regisseur: „Unser König muß sauber bleiben. […] Der Graf hat die Absicht die (Bett)-Decke von des Königs Liebesleben zu lüften.“ zitierte die Münchner AZ am 10.02.1972 den Vorsitzenden des König-Ludwig-Clubs Hannes Heindl. Vor dem Beginn der Drehaufnahmen in Bayern ließ man sich König Ludwig II. „persönlich“ in einer Proklamation gegen das Filmprojekt wenden.
Damit begann eine regelrechte Pressekampagne gegen die italienische Filmproduktion und der königstreue König-Ludwig-Club-Vorsitzende drohte sogar mit dem Äußersten: „Wenn das Filmteam nach Neuschwanstein kommt, wird er [Heindl] das Ludwig-Schloß besetzen und vor den Eindringlingen abschließen.“ (AZ vom 16.02.1972) Die am Rande dieses, in den Akten der Bayerischen Schlösserverwaltung abgelegten Zeitungsartikels markierten Frage- und Ausrufezeichen der für Schloss Neuschwanstein verantwortlichen Referenten lassen sich wahlweise als Verwunderung oder Schmunzeln deuten.
Unbeeindruckt davon starteten derweil die Dreharbeiten in Bayern auf der Roseninsel mit enormem logistischen Aufwand: Ein 66 Meter langer Anlegesteg musste für das vom Regisseur gewünschte perfekte Set südlich an die Roseninsel temporär erbaut werden.
Die doppelreihigen Pfahlstützen sind wohl auch heute noch archäologisch nachzuweisen, aber bitte keinesfalls mit dem UNESCO-Welterbe Pfahlbauten zu verwechseln. Unbeeindruckt war Luchino Visconti auch von einer anonymen Bombendrohung gegen ihn, von der Bildzeitung mit großen Lettern am 24. Februar 1972 in Szene gesetzt: „Aufhören! Oder die Roseninsel fliegt in die Luft!“ Die trockene Professionalität des italienischen Regie-Stars kommentierte das Blatt ebenfalls: „Der Regisseur ließ die Insel abriegeln und dreht weiter.“
Schließlich wurde der Ernst der Lage von Visconti doch noch in einer schnell anberaumten Pressekonferenz erkannt, nachdem er die „Proteste zunächst für einen Faschingsscherz gehalten“ hatte.“ (Münchner Merkur vom 26.02.1972). Mittlerweile verließ die Filmcrew die Roseninsel und zog nach Linderhof weiter. Die aufwendigen Dreharbeiten hatten leider im Park und am Casino der Roseninsel enorme Schäden verursacht, worauf sich ein jahrelanger Streit um Geldforderungen zwischen der Schlösserverwaltung und der italienischen Produktionsgesellschaft „Mega-Film“ aus Rom entspann, der sich erst nach dem Konkurs der Filmfirma 1975 (ohne Ausgleichszahlungen) legte.
Zurück zum sicherlich bezauberndsten Set des Films: der Venusgrotte in Linderhof, wo Visconti alle Register der cineastischen Ausstattungs- und Beleuchtungskunst zog und ganz besondere Statisten wünschte: „Die Schwäne, aus Frankfurt eingeflogen, interessiert kaum das Futter. Das jupiterlampengeeichte Federvieh knappert [!] lieber an den schwimmenden Plastikblumen.“ (AZ vom 04.03.1972)
Leider gingen die Filmaufnahmen auch in Schloss Linderhof trotz höchster Professionalität nicht ohne Schäden zu Ende, was die örtliche Verwaltung sofort nach München berichtet: „Am letzten Drehtag, dem 6. 3. 1972 waren die Aufnahmen um 17,30 Uhr beendet. Unmittelbar nach Beendigung der Dreharbeiten muß ein Spiegel im Spiegelsaal, vermutlich durch einen Stoß, beschädigt worden sein.“ Der Schaden (Abnehmen, Rahmenausbessern und Neuanbringen) belief sich auf 7.000 DM, eine im Vergleich zu den Produktionskosten verschwindend geringe Summe.
Wenige Wochen später, nach weiteren aufwendigen Dreharbeiten an den Originalschauplätzen Neuschwanstein, Schloss Nymphenburg und der Residenz München war der Film im Kasten und Visconti entschwand wieder über die Alpen gen Süden, um sein Ludwig-Epos zu vollenden. Dies gelang dem Starregisseur leider nicht so schnell wie geplant, woran auch ein schwerer Schlaganfall im Juli 1972 Schuld war, von dem sich Visconti nur langsam erholte. Die für Oktober 1972 geplante Uraufführung in München verschob sich nunmehr auf den 18. Januar 1973 und wurde von der bayerischen Landeshauptstadt in die bundesdeutsche nach Bonn ins dortige Metropol-Theater verlegt. Die Premiere des Ludwig-Epos‘ war filmreif mit Prominenz aus Politik und Gesellschaft besetzt: „Zur Gala-Veranstaltung kommen Vizekanzler Walter Scheel, Innenminister Genscher, 32 Botschafter, Regierungsvertreter – und vor allem die Damen der Bonner Gesellschaft.“ (Bildzeitung vom 18.01.1973)
Gespannt verfolgte man in der Isarmetropole die „turbulente Premiere von Viscontis Ludwig II.“ (AZ vom 20./21. 01.1973) Der sicherlich filmkritischste bayerische Vertreter konnte zum Erstaunen der Anwesenden aber nichts „Antibayerisches“ feststellen: „Und CSU-Boß Franz-Josef Strauß lobte den Film und meinte, auch solche Streifen müßte es geben. Selbst beim besten Willen konnte der mit vielfachem Buh vor dem Kino begrüßte Ex-Minister nach der Bonner Gala-Premiere von Luchino Viscontis „Ludwig II.“ nichts „Antibayerisches“ im Drei-Stunden-Epos entdecken.“ Erst im März 1973 lief der Film – nach Protesten aus Bayern leider in einer deutlich gekürzten Version – in den deutschen Kinos an. Trotz dieser Verstümmelung überzeugte der Film die Kritiker: „Luchino Visconti aber ist – allen Unkenrufen zum Trotz – ein meisterlicher Wurf gelungen. Die hochästhetisierte Traumwelt eines Traumkönigs. Kunstvoll-künstliches, aber großes, dekoratives Kino der Agonie.“ (AZ vom 22. März 1973) Und auch die bayerische Seele, die Schlimmstes befürchtet hatte, war besänftig: „Der König-Ludwig-Bund kann wieder ruhig schlafen. Ein Teil des Publikums tat es übrigens auch.“ (Münchner Merkur vom 24./25.03.1973)
Erst ab 1980 wurde die vollständige vom Meisterregisseur autorisierte 248 Minuten Lang-Version rekonstruiert. Der monumentale Ludwig-Film zählt heute zu Luchino Viscontis Hauptwerken und nimmt auch in der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts einen bedeutenden Platz ein. Seine Entstehung, die Premiere vor 50 Jahren und die bis heute anhaltende Wirkung dieses Kinoklassikers zeichnen ihn als bedeutenden Beitrag zur Rezeptionsgeschichte über König Ludwig II. aus.
Titelbildkollage von Alexander Wiesneth: aus BUNTE Illustrierte Nr. 12, 9.03. 1972, S. 140, Fotograf Ulli Skoruppa und einer Überschrift der Bildzeitung vom 18.01.1973