Vor 155 Jahren, am 15. Juni 1869 verstarb unerwartet in Kairo der Architekt Carl von Diebitsch, ein Spezialist für den maurischen Baustil, den er mit innovativer Technik in seiner Zeit wiederbeleben wollte. Während die meisten seiner Werke heute verschwunden sind, hat sich eines seiner Hauptwerke, der Maurische Kiosk, für die Weltausstellung in Paris im Jahr 1867 geschaffen, glücklicherweise im Schlosspark von Linderhof noch mit der von Diebitsch entworfenen Ausstattung erhalten. Grund genug, einen kurzen Blick auf das Leben des in Bayern wenig bekannten preußischen Baumeisters und seiner (Ur-)Version des heute im Ammergaugebirge stehenden Kiosks zu werfen.
Etwas verspätet meldet der Königlich Preußische Staatsanzeiger am 29. Juni 1869 folgende traurige Botschaft aus dem fernen Ägypten: „Der als Nachahmer des maurischen Stils bekannte Architekt von Diebitsch ist am 15. Juni in Kairo gestorben.“
Ein ausführlicher Nachruf von einem Architektenkollegen erschien erst Ende August in der Deutschen Bauzeitung (Ausgabe vom 26.08.1869), der den Werdegang und die Lebensleistung des erst 50-Jährigen würdigte: „[…] am 13. Januar 1819 zu Liegnitz geboren […] trat [er] im Jahre 1841 als Studirender auf der allgemeinen Bauschule ein.“ Nach dreijährigem Studium mit Aussicht auf eine wenig attraktive Baubeamtenstelle erwachte auf einer Studienreise in Sizilien sein Interesse für den maurischen Baustil, weshalb er sich nach Spanien begab, wo er seine Profession fand: „Vor Allem aber war es in Granada der Anblick der Alhambra, der bestimmend auf ihn einwirkte, der ihn fortriss und so nachhaltig begeisterte, dass er fortan, alles Andere bei Seite lassend, ausschließlich jener Kunst sich zuwandte und ihre Fortentwicklung, ihre Wiederbelebung und Einführung in die nordische Heimath als Lebensaufgabe erfasste.“
1848 ließ er sich als Architekt in Berlin nieder und folgte seinem einmal gefassten Ziel, jede Bauaufgabe (z.B. Rathäuser oder Kirchen im Königreich Preußen) im maurischen Stil umzusetzen, trotz größter Widerstände: „[…] was einem Künstler in seiner Laufbahn Hinderliches geboten werden kann, vom wohlmeinenden Achselzucken bis zum Misserfolg und selbst zum Spott, ist ihm reichlich geboten worden.“ Erste Aufträge bekam er vor allem für Inneneinrichtungen (z.B. für die Badezimmer von Schloss Albrechtsberg bei Dresden und im Schweriner Schloss, beide um 1855). Um Werbung für den maurischen Baustil und die von ihm entwickelten Gestaltungstechniken zu machen, erbaute er für sich ein Wohnhaus mit Werkstätten in Berlin, wo er „[…] auch die technische Seite der Ausführung stets selbst leitete und zum Theil selbst besorgte, goss jene zur Bekleidung der Wände und Decken verwendeten Gypsplatten in festen Zinkformen meist in sehr ansehnlichen Dimensionen […]. Zinkguss, feinerer Eisenguss, Holz theils geschnitzt, theils in eingelegter Arbeit, vervollständigten das Gerüst, welches indessen erst durch die farbige Bemalung seinen Haupt-Charakter gewann.“ (Deutsche Bauzeitung vom 02.09.1869)
Die Teilnahme auf der Weltausstellung in London im Jahr 1862 erwies sich für Carl von Diebitsch als ausgesprochen erfolgreich, da dort der Vize-König von Ägypten und andere finanzkräftige Kunden aus Kairo auf den „preußisch-maurischen“ Baumeister aufmerksam wurden. In der Nilstadt realisierte er ab 1863 mehrere Bauten für Privatleute und Adelige (z.B. Ausstattungen für die Villa des Bankiers Oppenheim oder für die Residenz des Vize-Königs auf der Nilinsel al-Gazira, heute Zamalek) mit in Deutschland vorgefertigten Stuckplatten seiner Berliner Werkstatt und den von ihm entworfenen Eisengussarbeiten der Gießereien Lauchhammer und Ilsenburg, die unter seiner Aufsicht vor Ort in Kairo montiert wurden, wie das Hallische Tagblatt vom 13. Februar 1867 beschreibt: „Es ist eigenthümlich, daß ein preußischer und speziell Berliner Baumeister nach einer der ursprünglichen Pflanzstätten des maurischen Baustyles, nach Kairo, berufen wurde, um daselbst Gebäude dieser Art herzustellen, weil jenseits des Mittelmeeres, wenn auch nicht der Baustyl selbst, doch die Kunstfertigkeit dafür verloren gegangen zu sein scheint. Seit mehreren Jahren befindet sich deshalb der Architekt von Diebitsch mit einem großen Arbeiterpersonale den größten Theil des Jahres über in Aegypten, um im Auftrage des Vicekönigs Bauten im maurischen Style auszuführen. Sämmtliche Stukkatur-Arbeiten werden jedoch in Berlin angefertigt und zu Wasser zunächst nach Alexandrien gebracht.“
Internationale Aufmerksamkeit erregte Carl von Diebitsch 1867 in Paris mit seinem Maurischen Kiosk, der „im Park der Weltausstellung große Triumphe [feiert]. Das Augenbestechende seiner Ornamentik, die uns mit ihren Schnörkeleien in die Zauberwelt von „Tausend und eine Nacht“ versetzt, mit der unsere Phantasie noch immer ein aus der Kindheit sich herrüberziehender rother Faden verbindet, hat auch hier so dauernd Aller Augen zu fesseln vermocht […].“ (Ueber Land und Meer. Allgemeine Illustrirte Zeitung, Nr. 41 vom 01.07.1867) Dass gerade der preußische Beitrag auf dem französischen Ausstellungsgelände sich so multikulturell gab verwunderte damals die nationalen wie internationalen Gazetten: „Dieser Kiosk erzeugt im Publicum viel Kopfzerbrechens. Giebt es denn in Deutschland Muhamedaner?“, fragte das Bremer Handelsblatt in seiner Ausgabe vom 24. August 1867 die Leser und gab gleich die Antwort mit: „Warum nicht? Schon Goethe gehörte ein klein wenig dazu.“ Vor allem für die französischen Gastgeber war der preußisch-maurische Kiosk ein wahrer Kulturschock, „da sie sich dieses prachtvolle Stück Orient mit dem kalten und trüben Vaterlande Preussen gar nicht zusammenreimen können.“ (Wochenblatt des Architekten-Vereins zu Berlin, 12. Juli 1867)
Schon bald überwog aber die Bewunderung der Besucher für „dies reizende architektonische Gedicht der altmaurischen Märchenpoesie […]. Jetzt ist die „orientalische Perle aus Preussen“ den ganzen Tag von französischen Bewunderern umschwärmt.“ (Deutsche Ausstellungs-Zeitung vom 20. Juli 1867) Von der Weltausstellungsjury wurde eine Prämierung des Maurischen Kiosks mit einer Silbermedaille vorgeschlagen, die v. Diebitsch jedoch ablehnte „weil die Jury seinen Bau nicht besuchte, also auch nicht beurtheilen konnte.“ (Der Sammler, 06.08.1867) Frühe Abbildungen des Diebitsch‘schen Kiosks geben noch einen abweichenden Bauzustand wieder, da dieser „skizzirt war zu einer Zeit, wo die Knöpfe auf den Kuppeln noch fehlten.“ Trotz Vorfertigung in seinen Werkstätten in Berlin und in der heute noch existierenden Kunstgießerei Lauchhammer hatte die Montage der ornamentierten Gips- und Eisenplatten wohl geraume Zeit beansprucht, wobei gerade für die viel besprochene Farbigkeit der Künstler-Architekt Carl von Diebitsch bis zur Fertigstellung „überall in Hitze und Regen selbst mit Hand anlegte – wir sahen ihn oft mit dem Farbentopfe in der Hand […].“ (Ueber Land und Meer, Allgemeine Illustrirte Zeitung, Nr. 41 vom 01.07.1867) Vor allem der Innenraum ergriff die Besucher durch seine Vielfarbigkeit und exotische Musterung: „Roth, Gold, Blau und Silber sind die vorherrschenden Töne, untermischt mit dem grünlichen Neutraltone der mattgoldfarbenen Säulen. Da ist fast kein Quadratzoll, der nicht einen erkennbaren Bestandtheil größerer Arabesken oder eine selbstständige Zierath bildete“, schwärmt die Leipziger Illustrirte Zeitung vom 27. Juli 1867, die eine vollseitige Innenraumansicht mit der von Diebitsch gestalteten Ausstattung präsentiert. Vasen, Blumenständer, einen kunstvollen Brunnen und den exotischen Kronleuchter unter der Goldkuppel fertigte der Baumeister in seinen Berliner Werkstätten nach eigenen Entwurfszeichnungen, die sich teilweise noch im Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin erhalten haben.
Von Diebitsch hatte den ganzen Bau vorfinanziert und bot den Kiosk mit Ausstattung für 100.000 Francs zum Verkauf an mit dem Versprechen, ihn „an einem beliebigen europäischen Platze“ aufzubauen. Leider fand sich kein kaufkräftiger Interessent. Auch die Hoffnung des Architekten, der Vizekönig von Ägypten würde sein bewundertes Schmuckstück erwerben, platzte schnell, da dieser aufgrund der Aufstellung im preußischen und nicht im ägyptischen Areal, nachhaltig verärgert war. So blieb Carl von Diebitsch nichts anderes übrig, als den ihm Unglück bringenden Kiosk wieder abzubauen und in seinem Berliner Haus einzulagern. Zwei Jahre nach dieser zwar Aufsehen erregenden für ihn aber kaum einträglichen Ausstellung, verstarb der erst 50-jährige Carl von Diebitsch in Kairo im Juni 1869 als Opfer einer dort grassierenden Pockenepidemie und wurde dort begraben. Schon ein Jahr nach seinem Tod gelang es seiner Witwe, das eingelagerte Bauwerk an den zu Reichtum gelangten Großunternehmer Bethel Henry Strousberg für 8.000 Thaler zu verkaufen, da dieser „auf seiner in Böhmen neu erworbenen Besitzung „Spiro“ einen Kiosk anzulegen wünschte, und das von Herrn von Diebitsch hinterlassene Kunstwerk zu diesem Zweck den Beifall des Crösus in der Wilhelmstraße fand.“ (Berliner Gerichtszeitung, 09.06.1870)
Der Maurische Kiosk des preußischen Architekten beeindruckte aber offenbar auch einen bayerisch-königlichen Besucher der Pariser Weltausstellung 1867 außerordentlich. König Ludwig II. hatte diesen Bau noch ganz frisch in Erinnerung, als er Jahr 1868 zwei orientalische Pavillons, einen für seinen Wintergarten auf der Residenz München und einen für den Schlosspark Berg entwerfen ließ. Als er im Jahr 1874 eine Planung für seinen dritten orientalischen Kiosk, dieses Mal für den Linderhofer Schlosspark von seinem Architekten Georg von Dollmann wünschte, erinnerte er sich an den sieben Jahre zuvor in Paris besuchten „preußischen“ Bau und wünschte „bald Antwort wegen des Kiosk von Berlin, und wo gegenwärtig der Fabrikant desselben ist.“ (Brief an Hofsekretär Düfflipp, wohl 8. Mai 1874) Dieser Fabrikant war Carl von Diebitsch, der zu diesem Zeitpunkt schon seit fünf Jahren tot war.
Die Geschichte des preußisch-maurischen Kiosk war damit aber noch nicht zu Ende. Wie es weiterging und wie dieses glücklicherweise erhaltene Hauptwerk des Architekten Carl von Diebitsch von König Ludwig II. ergänzt wurde und heute noch die Besucher fasziniert, berichten wir in einem künftigen Beitrag.
Titelbild: Der Maurische Kiosk im Schlosspark Linderhof. Kreativinstinkt