Spurensuche
Zwischen den Restaurierungszentren der Bayerischen Schlösserverwaltung und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten kommt es immer wieder zu spannenden Kooperationen. Im letzten Jahr tauschten sich die Werkstatt für Steinrestaurierung mit den Potsdamer KollegInnen zum Thema Pietra Dura (Steinschnitt) aus – also zu Kunstwerken, welche mit hauchdünnen Scheiben aus kostbaren Steinen verkleidet sind. Als praktisches Projekt diente einer der beiden Kamine im Spiegelkabinett von Schloss Linderhof. Doch neben der technischen Seite der Restaurierung barg auch die Geschichte des Kamins einige Überraschungen. In diesem zweiteiligen Blogbeitrag geht es um die Geschichte und Restaurierung dieses außergewöhnlichen Ausstattungsstücks.
Im prächtigen Spiegelkabinett von Schloss Linderhof blinkt und funkelt es. Die BesucherInnen kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Selten konzentriert sich so viel Pracht und Kostbarkeit auf so kleinem (ja beengtem) Raum. Wohin soll man zuerst blicken? Zum kostbaren Pietra-Dura Tisch aus Florenz oder dem ausladenden Lüster aus Elfenbein – oder doch zur mächtigen Schweizer Standuhr, welche sogar heute noch funktionstüchtig ist? Bei all der Pracht lohnt es sich aber auch, einen Blick an die Wände, hin zu den beiden Kaminen zu werfen. Ihre dunklen, tiefblauen Oberflächen scheinen fast von innen heraus zu leuchten. Prunkvoll sind alle Ecken und Kanten mit vergoldeten Bronzeornamenten verziert.
Die Oberflächen bestehen aus Lapislazuli, diesem von Sagen umwobenen Halbedelstein. Schon die Sumerer glaubten, dass das göttliche Licht des Nachhimmels in dem Stein eingefangen wäre, die alten Ägypter verkleideten ihre Amulette und Sarkophage damit. Seine Fundorte klingen nach fernen Karawanenrouten und Abenteuern – das Pandschir-Tal am Hindukusch, Buchara in Usbekistan oder der Baikalsee in Sibirien.
Doch die beiden Kamine in Linderhof bestehen tatsächlich nur an der Oberfläche aus Lapislazuli. Der kostbare Stein wurde in dünne Scheiben geschnitten und auf die Marmorplatten geklebt, welche zusammengesetzt den Kamin ergeben. Die Bronzeverzierungen dienen nicht nur als Schmuck, sondern auch dazu, diese Ansätze und Stöße geschickt zu verdecken.
Wer aber fertigt nun so eine Kostbarkeit extra für den König von Bayern? In den offiziellen Quellen ist kein Künstler genannt. Doch keine Sorge. Auf der Suche nach einem Handwerker findet man zuallererst: eine Rechnung! In den Rechnungsbüchern der Kabinettskassa vom 25.3.1867 findet sich ein Eintrag des damaligen Hofarchitekten Georg von Dollmann: Für den „1ten Lapis lazuli Cheminée“ ist eine Abschlagszahlung von 18.544 Gulden vorgesehen. Empfänger: das Marmoretablissement Pfister.
Nun ist Pfister (süddeutsch für ‚Müller/Bäcker‘) zwar ein geläufiger Nachname zu der Zeit – unter der Vielzahl an Malern, Bildhauern und Kunsthandwerkern, welche für Ludwig II. tätig waren, sticht aber niemand mit dem Namen hervor, der einen solchen Kamin hätte herstellen können. Fündig werden wir am Ende nicht beim Handwerk, sondern im Handel. Die Brüder Gutbert und Jakob Pfister treten erstmals 1862 auf die Bühne des Geschehens. In diesem Jahr kaufen die beiden in Rohrschach (CH) am Bodensee zwei Marmorsägen – damals ein Synonym für eine ganze Naturstein-Manufaktur. Jakob Pfister produziert Marmorwaren in Rohrschach, sein Bruder Gutbert lebt in München, Schellengstraße 30 [sic]. Hier ist er 1874 unter dem Eintrag „Großhändler“ in der Zeitschrift des Kunstgewerbe-Vereins zu München zu finden. So ist er nachweislich als Agent für exquisites Kunsthandwerk auch in Rom und Florenz unterwegs. In einem weiteren Brief, den Georg von Dollmann 1877 (also ein Jahr nach der Abschlagszahlung) an den Stallmeister Hornig schreibt, heißt es: „[wegen]… der Lapislazuli-Deckplatte des zweiten Cheminées im Spiegelzimmer hat Pfister heute nach Peterhof geschrieben.“
Pfister – Marmor – München – Peterhof. Ein schneller Blick in Google-Maps ergibt nur einen passablen Treffer: Die Waldgaststätte ‚Am Peterhof‘ in Gersthofen mit einer sehr schmackhaften Speisekarte voll hausgemachter Wurstsorten. Aber stand hier auch eine Manufaktur für Halbedelsteine?
Und so fällt es wie die sprichwörtlichen Schuppen (in diesem Fall eher Scheiben) von den Augen: Peterhof liegt nicht in Deutschland. Es ist tatsächlich der Peterhof, die Residenz der Zaren vor den Toren von St. Petersburg. Das russische Versailles. Und ist der erste Schritt gemacht, fallen alle Puzzleteile an ihren Platz.
Doch noch einmal ganz von Anfang an – und zwei Jahre zurück!
Im Ludwig II.-Archiv der Bayerischen Schlösserverwaltung finden sich sechs wunderbare, mit Hand kolorierte Entwurfszeichnungen für die beiden Kamine aus dem Jahr 1874.
Angefertigt hat die Zeichnungen Adolph Seder, seines Zeichens künstlerischer Leiter der Mayer’schen Hofkunstanstalt sowie (ab 1873) Vorstand des Zeichenateliers des Kunstgewerbe-Vereins München. In dieser Funktion fertigt er eine Vielzahl an wunderbaren Skizzen und Entwürfen für Ludwig II an. Anhand der Zeichnungen und durch die bekanntermaßen peniblen Anmerkungen des Königs entwickelt sich der Kamin schrittweise auf dem Papier. Noch einmal wird gefordert „Medaillons weg, mehr Lapis, weniger Linien aus Bronze“, bis endlich die befreiende Notiz am Rad des Blattes steht: „von Seiner Majestät dem Könige genehmigt worden […] am 25. December 1874“.
Unterschrieben hat das „Königliche Hofsekretariat“ in Person Lorenz von Düfflipp. Dieser wird auch im Folgenden alle weiteren Briefwechsel von München aus organisieren. Der Wunsch des Königs steht also fest, ebenso die dazugehörige Zeichnung. Sogar die Art des Steins wird festgelegt: dunkel sibirischer Lapislazuli. Das nächste Mal hören wir von unserem Kamin fast ein Jahr später – aus St. Petersburg.
Dort, nahe dem Schloss Peterhof befindet sich die ‚Kaiserliche Steinschneide-Fabrik‘. Gegründet von Peter dem Großen nach einer Italienreise im Jahr 1725, produziert diese Manufaktur (neben Standorten in Ekaterinenburg und Kolyvan) hochwertigstes Kunsthandwerk aus Halbedelsteinen. Katharina die Große schickte Spezialisten in den Ural, um den steten Strom aus kostbaren Steinen zu sichern. Und so werden in den Werkstätten neben Lapislazuli vor allem Malachit, aber auch Jaspis, Porphyr und Rhodonit zu meisterhaften Werken verarbeitet. So befindet sich im Orangerieschloss in Potsdam ein Kamin aus eben jenen Petersburger Werkstätten, welcher vollständig mit Malachit verkleidet ist.
Die Besonderheit: Neben ebenen Flächen können auch runde Formen wie Vasen und Dosen mit den kostbaren Steinen verkleidet werden. Diese runden Objekte erregen bei der Weltausstellung in London 1862 so viel Aufmerksamkeit, dass die Allgemeine Bauzeitung in Deutschland 1864 eigens eine lange Beschreibung der präsentierten Objekte verfasst.
Am 13. Oktober 1875 wird also aus Peterhof ein Brief losgeschickt, in welchem ein gewisser A. Jafimovitsch ankündigt, einen der Kamine bis zum 1. November des Jahres fertig zu stellen. Das Schmelzen und Härten der Bronzeverzierungen hätte sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Für diesen Aufwand solle vorsorglich eine Summe von 10.000 Rubel an die Fabrik gezahlt werden. Derselbe Jafimovitsch muss aber schon ein paar Tage später (per Telegramm vom 31.10.1875) die Fertigstellung noch einmal verschieben. In München steigt derweil die Unruhe. Stallmeister Hornig drängt bei von Düfflipp nach Informationen, dieser telegrafiert zum Marmorhändler Pfister, welcher im Hotel Demuth in St. Petersburg abgestiegen ist. Und dann trifft am 18. November endlich das sehnsüchtig erwartete Telegramm aus St. Petersburg in München ein: „Kamin heute bereits hierher gebracht. Haupttheile wunderschoen. Hoffe Mittwoch mit Kamin dorten zu sein. Pfister“
Sollte mit „dorten“ München gemeint sein, so war das ein ambitioniertes Logistikunterfangen. Der Absendetag war ein Sonntag – damit blieben Gutbert Pfister nur 3 Tage, um den Kamin sowie die Bronzeverzierungen sicher nach München zu bringen.
Zum Glück konnten königliche Kunden damals auf eine bevorzugte Behandlung hoffen. In einem Geleitbrief der ‚Kaiserlich Deutschen Botschaft in St. Petersburg‘ wird bescheinigt, dass „eine Kiste im Gew[icht] von 46 Pud, einen Kamin enthaltend, erst an ihrem Bestimmungsort München zollamtlich behandelt und geöffnet werden möchte“.
Pud ist eine alte russische Gewichtseinheit, wobei 1 Pud rund 16,4 kg entsprechen – der verpackte Kamin also ein Gesamtgewicht von mehr als 750 kg hatte. Keine leichte Kost! Am Ende muss alles gut gegangen sein, denn noch heute stehen beide Kamine wohlbehalten in einem kleinen Schloss im Graswangtal.
So wissen wir am Ende unserer Reise in etwa wie teuer und wie schwer der Kamin war. Der Jahresetat für Schloss Linderhof 1876 sieht 88.856 fl. für beiden Kamine vor. Und wir können ein wenig von dem Aufwand und den Mühen erahnen, welche getrieben wurden, um ein solches Luxusprodukt aus dem nahen Ausland zu beschaffen. Was wir nicht kennen, sind die Geschichten der russischen Kunsthandwerker, welche den kostbaren Lapislazuli aus dem fernen Sibirien nach Peterhof gebracht und dort zu meisterhaften Werken geschnitten haben.
Die kaiserliche Steinschneidefabrik gibt es als solche heute übrigens nicht mehr. Aus ihr ging nach der Oktoberrevolution die ‚Uhrenfabrik Pedroworez‘ hervor, welche zur Sowjetzeit die Uhrenmarke Pobeda produzierte. Es gibt auch heute noch einen Seitenzweig, welcher Luxusuhren herstellt, sogar ein Modell mit einer Lünette aus Lapislazuli. Listenpreis derzeit rund 21.000 €!
Vielen Dank an Frau Dr. Blenk und Herrn Dr. Wiesneth für die tatkräftige Hilfe und Unterstützung bei der Recherche.