„Ein reißender Bergbach ist geschickt benützt worden, um eine tadellos schöne und mächtige Fontaine, dann Cascaden und mehrere kleinere Wasserkünste zu schaffen.“
Kein geringerer als der bayerische Hofgartendirektor Carl von Effner sprach 1881 in einem Arbeitszeugnis dem Stuttgarter Gas- und Wasserleitungsgeschäft die „volle Anerkennung“ für die jahrelangen Arbeiten im Schlosspark Linderhof aus. Dessen Tätigkeiten begannen dort im Oktober 1874, vor 150 Jahren, und erstreckten sich bald auf alle Königsschlösser Ludwigs II. Zahlreiche Konstruktionszeichnungen und technische Einrichtungen in den Schlössern und Parks haben sich – ebenso wie die Firma selbst – bis heute erhalten und zeigen den hohen Stand der damaligen Ingenieurskunst des Württemberger Installationsgeschäfts. Sie beleuchten ein bislang kaum beachtetes, dabei aber umso spannenderes Kapitel von König Ludwigs Schöpfungen.
Am 20. Januar 1874 genehmigte Ludwig II. die Versetzung des alten Königshäuschens auf dem Linderhof für die Erweiterung seines neuen Schlossbaus, der dort seit Ende 1870 im Entstehen begriffen war. Gleichzeitig war dies der Startschuss für den Bau der großartigen Gartenanlagen, die auf Befehl des Königs nun „bald begonnen werden“ und so schnell wie möglich fertig sein sollten. Die hochfliegenden königlichen Wünsche forderten für seinen Linderhofer Schlosspark unter anderem eine mächtige Fontäne, weshalb sich Hofrath Lorenz Düfflipp „mit einen [sic!] tüchtigen Brunnmeister […] sich ins Benehmen setzen [solle], da der Wasserstrahl wenigstens 70 Fuß hoch werden müsse.“ (Befehl des Königs vom 15. Oktober 1874) Aber nicht in München oder den aufstrebenden bayerischen Industriezentren Augsburg oder Nürnberg wurde Ludwigs Hofsekretär fündig, sondern im benachbarten Königreich Württemberg.
Wenige Jahre zuvor, am 23. September 1870 während des deutsch-französischen Kriegs, hatte sich in der württembergischen Hauptstadt das sog. „Gas- und Wasserleitungs-Geschäft Stuttgart“ gegründet. Wie genau man in München auf diese junge und doch etwas weiter entfernte Firma aufmerksam wurde, ist nicht bekannt. Aber schon ein Jahr nach ihrer Gründung erregte sie auf der Schwäbischen-Industrie-Ausstellung in Ulm großes Aufsehen: „Außerordentlich reichhaltig und in einzelnen ihrer Theile wahrhaft brillant ist die Ausstellung des Gas- und Wasserleitungsgeschäftes Stuttgart.“ (Lindauer Tagblatt vom 20.08.1871) Auch eine erste Auszeichnung erhielt das neu gegründete Wasserleitungsgeschäft dort, deren noch einige folgen sollten.
Die aufstrebende Firma annoncierte bereits 1872 über die württembergischen Landesgrenzen hinaus in fränkischen Zeitungen nach „tüchtige[n] Monteure[n] […] bei hohem Lohne […]“ (Fränkischer Kurier vom 23.09.1872) und investierte in großformatige Werbeanzeigen. Vielleicht führte dies letztlich zur Beauftragung der umfangreichen Wasserkünste im Schlosspark Linderhof 1874. Wie auch immer es kam, König Ludwig II. genehmigte am 31. Oktober 1874 den Vertrag mit der Stuttgarter Firma, was den Anfang einer langen und erfolgreichen Geschäftsbeziehung bedeutete: „Der unterm 12. laufenden Monats zwischen Meinem Hofsekretariate und dem Gas- und Wasserleitungs Geschäfte Stuttgart, vertreten durch Th. Linck und W. Böhm, abgeschlossene Vertrag über die Herstellung einer neuen Wasserleitung zum Speisen der einzelnen Fontainen und Bassins & in den Garten-Anlagen des Linderhofes ist zur Ausführung genehmigt […].“
Um die vom König gewünschten Wasserspiele ausreichend mit Wasser versorgen zu können, wurde zunächst ein großes Sammelbecken an dem naheliegenden Roßbach vorgesehen. Damit begann eine pioniermäßige Vermessung der Höhenlagen um das Schlossareal durch die kaum mit alpiner Erfahrung ausgestatteten Stuttgarter Ingenieure. Ohne diese grundlegende Landvermessung und Erschließung der Wasserressourcen wären die heute von aller Welt bewunderten Wasserspiele in Linderhof nicht möglich gewesen. Schon für den 15. Mai 1875 war die Fertigstellung eines ersten Teilabschnitts vertraglich vereinbart und wurde wohl auch eingehalten, obwohl alle Materialien mit dem Zug von Stuttgart über Ulm nach Weilheim geliefert wurden und die letzte Strecke bis Linderhof mittels Pferdestärke absolviert werden musste.
Die Zuverlässigkeit der schwäbischen Ingenieure veranlasste das Hofsekretariat zu weiteren Aufträgen im Schlossareal Linderhof, wie zum Beispiel einer Wasserleitung für die Hofküche, die Ökonomiegebäude, das Försterhaus sowie die Waschküche. Sogar eine Telegraphenleitung von den Stallgebäuden zum Schloss wird von ihnen 1876 gebaut. Die Tätigkeiten des Gas- und Wasserleitungsgeschäfts Stuttgart in Linderhof nahmen stetig zu, wobei der Arbeitsaufwand an Vermessungen, Felssprengungen, Leitungsverlegungen und zusätzlichen Wasserreservoirs heute kaum vorstellbar ist. Nachdem zunächst für den 1876 aufgestellten Maurischen Kiosk eine Wasserleitung gelegt worden war, planten die Stuttgarter Ingenieure für die gleichzeitig im Bau befindliche Venusgrotte im Schlosspark aufwendige Filtrieranlagen, Warmwasserheizungen, die Zuleitung für den Wasserfall und zunächst kaum verständlich: „Leitungen für die elektrische Beleuchtung“.
Wasser und Strom schließen sich bekanntlich eigentlich aus. Verständlich wird dies erst, wenn man weiß, dass sich die Bogenlampen zur Effektbeleuchtung in der Grotte schnell erhitzen und Wasser für die Kühlung der farbigen Filter notwendig war. Ohne kühlendes Wasser wäre keine blaue, rote oder rosa Grottenbeleuchtung möglich gewesen, die für König Ludwig so wichtig war.
Ab 1879 war das Gas- und Wasserleitungsgeschäft auch für das Schloss Neuschwanstein tätig und projektierte dort eine neue Quellfassung in der Bleckenau, installierte Rauchabzüge für die Kamine, Leitungen für den Wasserfall in der dortigen Grotte und für die Schlossküche. Auch der Springbrunnen im Wintergarten von Neuschwanstein sprudelte über Leitungen aus dem Ländle. Neueste Hygienestandards, 10 „Water-Closets“ im Palas, kamen auch den Bediensteten des Königs zu gute.
Natürlich wünschte Ludwig sich diese moderne Toilettenanlage auch für sich neben seinem Schlafzimmer; diese hat sich bis heute dort noch perfekt erhalten. Die Stuttgarter Ingenieure legten auch die Leitung zum Waschtisch im Schlafzimmer und installierten dort die „zweite Version“ des Schwanenwasserhahns. Bereits geliefert, aber nicht mehr installiert, war der Heizkessel für das dortige Bad, das nicht mehr fertiggestellt wurde.
Trotz noch größerer Entfernung kam die Württemberger Firma gegen die bayerische Konkurrenz auch auf der Herreninsel im Chiemsee für König Ludwigs „neues Versailles“ zum Zuge. Der Vertrag vom 25. Juni 1883 listet minutiös die verschiedenen Maschinen sowie Saug- und Druckleitungen auf.
Kurz vor dem Tod König Ludwigs II. 1886 wurde noch ein Warmwasserbad im Neuen Schloss Herrenchiemsee installiert und alle Brunnenanlagen fertiggestellt. Bei einem Probelauf „der Wasserwerke nebst Dampfmaschinen und Pumpwerk bei Anwesenheit Seiner Majestät des Königs“, wahrscheinlich bei Ludwigs letztem Besuch auf der Herreninsel Anfang Oktober 1885, waren auch die Ingenieure des Gas- und Wasserleitungsgeschäfts Stuttgart vor Ort.
Die zahlreichen Aufträge in Bayern durch König Ludwig II. hatten die Stuttgarter Firma groß gemacht, was sich auch in einem opulenten Werbeinserat von 1884 zur dortigen „Generalversammlung des Verbandes deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine“ widerspiegelt.
Die Arbeit für König Ludwig II. zahlte sich für das Gas- und Wasserleitungsgeschäft Stuttgart aus: von 1874 bis 1886 hatte es Aufträge mit einer Gesamtsumme von fast 700.000 Mark an den Königsschlössern umgesetzt. Ein Jahr nach dem Tod König Ludwigs II. waren noch Ausstände von 274.000 Mark für bereits geleistete Arbeiten offen, die erst verzögert beglichen wurden, was die Firma anscheinend verkraften konnte. Die Aufträge in Bayern waren auch mit dem Tod König Ludwigs II. nicht vorbei. In Hohenschwangau arbeiteten die schwäbischen Ingenieure am dortigen Schloss und einigen Hotels bis Anfang des 20. Jahrhunderts weiter. Noch kurz vor dem 2. Weltkrieg kalkulierte das Gas- und Wasserleitungsgeschäft die Wiederinstandsetzung der Herrenchiemseer Wasserspiele, die aber aufgrund der unruhigen Zeit nicht mehr ausgeführt wurde.
Trotz aller wirtschaftlicher Krisen existiert die nun über 150 Jahre alte Firma in Stuttgart heute noch, auch wenn man dort keine königlichen Auftraggeber mehr bedient. Viele Spuren ihrer Arbeit haben sich nach 150 Jahren an Ludwigs Bauten noch erhalten und der aufmerksame Besucher kann über den ein oder anderen Gulli-Deckel aus Stuttgart „stolpern“, zum Beispiel in Schloss Neuschwanstein. Also Augen auf beim nächsten Besuch!