Schloss Nymphenburg wurde als Sommersitz vom bayerischen Herrscherhaus durch die Jahrhunderte hindurch hochgeschätzt und viel genutzt, weshalb das Schloss seit seiner Gründung 1664 als Landsitz der Kurfürstin und gebürtigen Savoyer Prinzessin Henriette Adelaide stetig ausgebaut und immer wieder auch im Inneren verändert und modernisiert wurde. Kurfürst Max Emanuel erweiterte die Landvilla seiner Mutter zur ausgreifenden Sommerresidenz mit französisch geprägtem Park und Kanalsystem mit Wasserspielen. Sein Sohn Kurfürst Karl Albrecht verewigte sich mit dem so eindrucksvoll zum Rondell gestalteten stadtseitigen Vorplatz des Schlosses und Max III. Joseph hinterließ uns den prächtigen Festsaal im Herzen des Schlosses in der Neugestaltung des Rokokostils durch François Cuvilliés und Johann Baptist Zimmermann. So wandelt man heute im Schloss durch die verschiedenen Zeitebenen und Stilepochen der jeweiligen Bauherren.
Weniger bekannt ist, dass auch Kurfürst Karl Theodor, der als neuer Regent der vereinigten Kurfürstentümer Pfalz und Bayern (reg. 1777-99) seine Residenz von Mannheim nach München verlegen musste, seine Spuren in Nymphenburg hinterlassen hat. In der Residenz München, dem Stadt- und Regierungssitz, begnügte er sich mit der Weiternutzung der alten kurfürstlichen Appartements, zumal seine Gemahlin Elisabeth Auguste nicht mit nach München kam. In Nymphenburg jedoch fand er in Park und Schloss ein Betätigungsfeld, das ganz offenbar seine Interessen traf.
Zunächst war es der Schlosspark, der seine Aufmerksamkeit erhielt. Dies ist nicht verwunderlich, bot dieser doch einen gewissen Ersatz für seinen geliebten Sommersitz Schloss Schwetzingen in der Pfalz, dessen Gartenanlage er seit 1753 im barocken Stil ausbauen und mit Skulpturen und Parkbauten ausstatten ließ. Für sein dort gerade vollendetes Badhaus fand er in Nymphenburg würdigen Ersatz in Max Emanuels Badenburg, deren riesiges Badebecken er renovieren ließ, da – so die zeitgenössischen Quellen – „Seine Churfürstliche Durchlaucht gedenken öfters zu Baden“ (1780).
Neugestaltung des Großen Gartenparterres in Nymphenburg
Im Nymphenburger Schlosspark veranlasste Karl Theodor die Ausgestaltung des Großen Gartenparterres als dem Zentrum der barocken Gartenanlage mit Skulpturen und Ziervasen. Mit der Vollendung und Aufstellung der 16 überlebensgroßen Marmorfiguren von Göttinnen und Göttern der antiken Mythologie brachte er ein bereits Jahrzehnte währendes Projekt seiner Vorgänger zu Ende, waren doch viele Figuren in Entwurf und Stuckmodellen bereits vorher durch führende Barockbildhauer vorbereitet worden. Roman Anton Boos (1733-1810), Schüler des Barockbildhauers Johann Baptist Straub und seit 1774 Hofbildhauer, vollendete neun Figuren. Sein Bildhauerkollege Dominikus Auliczek (1723-1804) schuf vier weitere Skulpturen. Trotz der barocken Wurzeln deutet sich der neue Stil des Klassizismus vielfach im antikisierenden „nassen“, den Körper nachzeichnenden Gewandstil, der Betonung des Standmotivs im Kontrapost und der idealisierenden Aktdarstellung an.
links: Marmorstatue des Gottes Merkur im Großen Gartenparterre, 1778 vollendet von Roman Anton Boos; rechts: Marmorstatue der Göttin Proserpina im Großen Gartenparterre, 1778 vollendet von Dominikus Auliczek
Monumentale Ziervasen – mythologische Geschichten am laufenden Band
Vollständig eigenschöpferisch konnte Boos in der Gestaltung der zwölf monumentalen Steinvasen aus Sterzinger Marmor für das Große Gartenparterre wirken, deren Vasenkörper er rundum mit Puttenreliefs mythologischer Szenen schmückte, wobei sich diese jeweils inhaltlich auf die Götterskulpturen beziehen.
Ein Raub aus Liebe: Pluto raubt Proserpina, Reliefdetail einer Marmorvase im Großen Gartenparterre, Roman Anton Boos
Ein ganzes Jahrzehnt von 1788 bis 1798 dauerte es, bis diese 2,30 Meter hohen Vasen zusammen mit ihren nochmals 1,70 Meter hohen klassizistischen Postamenten geschaffen waren. Immer abwechselnd wurden Figuren und Vasen zuseiten des Parterres aufgestellt.
Diese Aufstellung wurde allerdings bereits im frühen 19. Jahrhundert noch einmal abgewandelt, so dass sich heute nur noch zwölf Figuren dort befinden. Es lohnt sich die zauberhaften Vasenreliefs bei einem Spaziergang im Park zu studieren, so viel lässt sich an amüsanten Szenen und Motiven entdecken (ein im Museumsshop erhältlicher handlicher Führer von Freimut Scholz hilft bei der Entschlüsselung; Achtung: ab Ende Oktober bis März sind Skulpturen und Vasen zum Schutz vor der Witterung eingehaust).
Ob der Kurfürst die vollendete Parterregestaltung vor seinem Tod im Februar 1799 noch gesehen hat? Wir wissen es nicht. Ein Gemälde des Hofmalers Johann Baptist Höchle aus dem Jahr 1792, das Karl Theodor mit kaiserlichem Besuch aus Wien im Nymphenburger Gartenparterre darstellt, zeigt jedenfalls noch kein Anzeichen der neuen skulpturalen Ausschmückung. Das Gemälde, das in mehreren Motivvarianten überliefert ist, ist aber ein sprechendes Zeugnis für die Nutzung des Parks durch die Hofgesellschaft.
Kaiser Franz II. und Kurfürst Karl Theodor im Park von Schloss Nymphenburg, Gemälde von Johann Baptist Höchle, 1792, Bayerisches Nationalmuseum, München (Inv.-Nr. R 5802)
Zu sehen ist, wie Karl Theodor vorneweg die Kaiserin geleitet, gefolgt von deren Gemahl Kaiser Franz II. ebenfalls in weißer Kleidung sowie dessen Bruder Karl mit der bayerischen Kurfürstinwitwe Maria Anna, alles beobachtet von der Münchner Bevölkerung. Wie in Schwetzingen hatte Karl Theodor auch in München im Sinne der Aufklärung die Öffnung der Gartenanlagen für die allgemeine Bevölkerung vollzogen.
Die Weichen für die Zukunft der Gartenkunst waren im Übrigen ebenfalls von Karl Theodor gestellt worden: Der auf Kosten des Kurfürsten in England ausgebildete Gartenkünstler Friedrich Ludwig Sckell war bereits in Schwetzingen mit der Erweiterung des barocken Gartens im englischen Landschaftsstil betraut und brachte sein Wissen auch bei der 1789 von Karl Theodor beauftragten Gründung des Englischen Gartens in München ein. Erst unter Karl Theodors Nachfolger, König Max I. Joseph, wurde der Pfälzer Künstlerimport Sckell dann auch der Schöpfer der landschaftlichen Umgestaltung des Nymphenburger Schlossparks, so wie wir ihn heute kennen.
Letzte bauliche Schlosserweiterung und ein ungewöhnliches Raumkunstwerk
Wenden wir uns nun dem Schloss zu. 1795/96 ließ Karl Theodor die letzte bauliche Erweiterung des Schlosses mit den zwei zum Garten gerichteten Raumgruppen hinter den Verbindungsgalerien zu den Seitenpavillons realisieren. Anlass war – nach dem Tod der ersten Gemahlin – die erneute Vermählung 1795 mit der 18-jährigen Maria Leopoldine von Österreich-Este, die nachfolgend überwiegend in Nymphenburg wohnte. Während er für die junge Kurfürstin das barocke Kurfürstinnen-Appartement im südlichen Pavillon des Sommerschlosses aufwendig renovieren ließ, plante er für sich selbst neue Räumlichkeiten im direkten Anschluss hinter der südlichen Galerie.
Erhalten davon ist das Schreibkabinett des Kurfürsten, gestaltet vom ebenfalls aus der Pfälzer Residenzstadt Mannheim mitgebrachten Hofarchitekten Maximilian von Verschaffelt: ein bemerkenswertes Raumkunstwerk im klassizistischen Stil mit chinoisen Anklängen, das dem Schloss einen ganz neuen Akzent hinzufügt.
Schreibkabinett des Kurfürsten Karl Theodor in Schloss Nymphenburg, Maximilian von Verschaffelt, 1795
So folgt die Dekoration der weiß-goldenen Täfelung des Raums einem Vorlagestich im Chinatraktat von William Chambers, dem bedeutenden Architekten des Klassizismus in England. Als Schreibtisch bevorzugte Karl Theodor allerdings ein barockes Erbstück. Am Rande erwähnt sei, dass dieses klassizistisch-chinoise Kabinett ein Pendant im Schloss Wörlitz des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau hat, wobei dort wie in München die zeittypischen Geistesströmungen und Einflusssphären in Gartenkunst und Innendekoration offenbar werden.
Die Räume hinter der nördlichen Verbindungsgalerie des Schlosses wurden hingegen erst nach dem Tod des Kurfürsten um 1802/03 in einfacher Form vollendet und dienten fortan als Toilette-, Garderoben- und Dienerzimmer zu den angrenzenden Wohnräumen. Heute werden hier bedeutende Ausstattungsstücke Nymphenburgs gezeigt, vor allem Kunstwerke des Bauherrn Karl Theodor, darunter die Marmorbüsten des Kurfürsten und seiner ersten Gemahlin Elisabeth Auguste als Herkules und Minerva sowie die monumentalen Staatsporträts von Karl Theodor als Großmeister des bayerischen Hausordens vom heiligen Georg und der beiden Gemahlinnen Elisabeth Auguste und Maria Leopoldine.
Kurfürst Karl Theodor als Großmeister des Georgiritterordens, Gemälde von Anton Hickel, 1780, Schloss Nymphenburg
Es war sein Nachfolger, König Max I. Joseph, der diese drei Gemälde bald nach dem Tod des Kurfürsten in einem Saal von Schloss Nymphenburg denkmalhaft zusammenführte.