Am 1. November feiert die römisch-katholische Kirche alljährlich das Fest Allerheiligen. An diesem Tag gedenkt die katholische Kirche allen Heiligen, aber auch allen Männern und Frauen, die ihren Glauben gelebt, verteidigt und die christliche Botschaft verkündet haben, ohne heiliggesprochen worden zu sein. Dieser Tag wird traditionell mit Messen, Andachten oder Totengedenkfeiern begangen. Mancherorts segnet ein Priester oder ein Diakon beim einem Rundgang die Gräber. Viele Christen nutzen den Tag, um die Ruhestätten ihrer verstorbenen Angehörigen zu besuchen und herzurichten. Diese Tradition schafft eine Verbindung zum katholischen Feiertag Allerseelen, der jeweils am 2. November begangen wird und allen Verstorbenen gewidmet ist. Auch der Totensonntag, den die evangelischen Kirchen in Deutschland und der Schweiz jeweils am Sonntag vor dem ersten Advent begehen, widmet sich dem Gedenken aller Verstorbenen. Vielfach werden die Messen und Gottesdienste, die an diesen Tagen gefeiert werden, in den Tageszeitungen angekündigt.
Nach der Jahrhundertwende und über den 1. Weltkrieg hinaus war die Tageszeitung „Münchner Neueste Nachrichten“ darum bemüht, neben der Ankündigung der Messen am 1. November auch die jüngsten Grabmäler der Münchner Friedhöfen vorzustellen und ihre Auftraggeber zu nennen. Bei den beschriebenen Grabsteinen handelte es sich um gestalterisch aufwendige Werke, die namhafte Bildhauern geschaffen hatten und die zur Verschönerung der jeweiligen Friedhöfe beitragen sollten. Doch die Grabmalkunst befand sich in einer Krise. Mehr noch. Nach 1900 wurde immer häufiger nach einer ästhetisch angemessenen Friedhofsgestaltung gefragt, die die Planung und die Struktur neuer Friedhöfe miteinschloss.
Zu den Vorreitern der Reformbewegung zählt der Münchener Baurat Hans Grässel (1860-1939), der in den Münchener Außenbezirken vier große Friedhöfe konzipiert, erweitert oder durch Friedhofsgebäude erneuert hatte (Ostfriedhof 1894-1900, Nordfriedhof 1896-1899, Westfriedhof 1898-1902, Waldfriedhof 1905-1907). Unterstützung erfuhr er vom Münchener Kunstkritiker Alexander Heilmeyer, der Grässels Überlegungen in Fachzeitschriften und in der Tagespresse erläuterte und einem großen Publikum vorstellte. Und so unterstützte er Grässels Bemühungen, Friedhofe als weitläufige Grünanlagen mit Bäumen, Büschen und Hecken anzulegen und die erforderlichen Grabfelder mit Reihengräbern möglichst klein zu halten. Er begrüßte den Wechsel von freistehenden Einzelgräbern, Grabstätten für Familien und kleineren Grabfeldern mit formähnlichen Grabmalen. Der stete Wechsel sollte die Monotonie vermeiden helfen und Vielfalt im Einzelnen und Einheit im Ganzen erlauben. Deshalb befürwortete er den Vorschlag, Gräber durch Rasenflächen miteinander zu verbinden und auf dichte Wegenetze zu verzichten. Im Hinblick auf die Gesamtwirkung der Grabmäler empfahl er die Verwendung heimischer Natursteine. Behauene Tuff- und Kalksteine aber auch Granite hatten eine angenehme Farbe und fügten sich innerhalb des Friedhofs harmonisch in die jeweilige Umgebung ein. Dagegen wurde der „Schwarze Schwede“, ein schwarzer Stein, der im späten 19. Jahrhundert besonders gefragt war, entschieden abgelehnt. Grabsteine aus diesem Material waren meist poliert, trugen goldene Inschriften und nicht selten weiße Marmorskulpturen. Dadurch stachen sie gegenüber anderen Gräbern optisch hervor und beeinträchtigten die Gesamtwirkung in der jeweiligen Friedhofsparzelle. Umso mehr setzten sich Grässel und Heilmeyer für die Verwendung einfacher Formen und einer gemeinverständlichen Bildsprache ein, weil Grabmäler „schlichte Denkmale der Erinnerung der Lebenden an die Toten“ sind.
Heilmeyers und Grässels Beobachtungen standen nicht isoliert im Raum. Im Oktober 1905 war in Wiesbaden eine Ausstellung zur Hebung der Friedhofs- und Grabmalkunst eröffnet worden, die Grässels und Heilmeyers Forderungen vorwegnahm. Ausgestellt waren historische und zeitgenössische Grabmäler. Einige plastische Entwürfe waren in Originalgröße zu sehen. Die Mehrzahl der Exponate bestand jedoch aus Zeichnungen, Lichtdrucken oder aus Fotografien, auf denen die Grabmäler im kleinen Format zu sehen waren. Außerdem hatte die Ausstellungsleitung ein Steinlager eingerichtet, um dem Publikum geeignetes Material vor Augen zu führen und bei der Wahl eines Grabsteins behilflich zu sein. Die Veranstalter hatten zudem ein Büro eröffnet, das dem Interessierten über die Dauer der Ausstellung hinaus beratend zur Seite stand.
Ein etwas bescheideneres Angebot hatte der Bildhauer Mathias Gasteiger in seinem Ateliergebäude gemacht, das seit 1901 in der Münchener Dantestraße unweit des Westfriedhofs stand, der ein Jahr später eröffnet wurde. In seinem Atelier hatte Gasteiger fertige Arbeiten, durchgeformte Modelle aber auch gezeichnete Entwürfe (Bleistiftzeichnungen, Aquarelle) von Grabmälern zur Ausstellung gebracht. Ab 1906 hielt er darüber hinaus ein Vorlagewerk zur Ansicht bereit, das den passenden Titel „Grabmäler-Ausstellung. Ständige grosse Ausstellung fertiger Originalarbeiten für einfache und höchste Ansprüche“ trägt. Darin werden Fotografien von Grabmälern gezeigt, die Gasteiger für verschiedene Auftraggeber ausgeführt hatte und die bereits auf den vorbestimmten Gräbern standen. Außerdem enthält der Katalog Fotografien von plastischen Entwürfen und Zeichnungen. Den Fotografien kam die Aufgabe zu, das Verkaufsgespräch mit dem Kunden zu fördern und über individuelle Wünsche, wie die Wahl des Steines, der Schriftart und -größe, zu sprechen.
Von den ersten Grabmälern, die Gasteiger in seinem Atelier in der Dantestraße geschaffen hatte, sind sechs fotografisch erhalten geblieben. Alexander Heilmeyer hat sie 1906 in einem Artikel in der Zeitschrift „Kunst und Handwerk“ veröffentlicht und sie erstmals einer größeren Leserschaft vorgestellt. Heilmeyer sah die Grabmalkunst am Beginn einer Reformbewegung, die sich nach 1900 an mehreren Orten des Deutschen Reiches auszubreiten begann. In seinem Artikel kommentierte er mehrere Grabsteine, die ganz im Zeichen der Reformbewegung für eine neue Grabmalkunst standen. Gefragt war eine reduzierte, gemeinverständliche Bildsprache unter Verwendung vertrauter Symbole wie Kreuze, Urnen, Blätter oder Girlanden. Von mehrfigurigen Erzählungen wurde abgesehen. Außerdem hatten Gasteiger und andere Bildhauer auf eine naturalistische Wiedergabe von Personen und Dingen zu Gunsten einer neoklassizistischen Bildsprache auf Grabsteinen verzichtet. Nach der Jahrhundertwende haftete Gasteigers Grabsteinen zunehmend etwas Blockhaftes und Statuarisches an.
Der Grabstein für das Familiengrab Mörike auf dem Münchner Ostfriedhof gibt ein frühes Beispiel wieder. Das große Grabmal für Hilde Philipp (1904-1922) auf dem Münchner Westfriedhof wirkt noch kompakter und architektonischer. Ein Engel steht als Nischenfigur zwischen zwei Pylonen, vor einer geschlossenen Rückwand; darüber ein massiver, quergelagerter Giebel.
Während des Ersten Weltkriegs versuchte Gasteiger, sein Programm um Grabmäler für gefallene Soldaten und um Kriegerdenkmäler zu erweitern. Im Frühjahr 1916 stellte er dazu eine Serie aquarellierter Entwürfe im Münchner Kunstverein und einige Wochen später im Münchener Glaspalast aus. Die Aquarelle waren nicht für den Verkauf bestimmt, sondern dienten ebenfalls als Vorlage für spätere Ausführungen.
Viele der bis heute erhaltenen Entwürfe zeigen hohe Sockel aus Stein. Bei den Sockeln handelt es sich um Säulen, Stelen oder um massive Unterbauten, auf denen ein Helm, ein steinerner Adler oder ein anderes Bildmotiv ruht, das an den Tod eines namentlich bekannten oder an eine Gruppe unbekannter Soldaten erinnert und ihrer Heroisierung dient. Ein Grabmal, das die Bildsprache der Entwürfe aufgreift, hat Gasteiger für einen Grafen von Schwerin geschaffen. Es ist überlebensgroß, ist 1915/1916 entstanden und steht auf dem Münchner Waldfriedhof, Sektion 91. Viele Jahre später wurde das Grab aufgelöst und neu belegt.
Von der reduzierten Bildsprache weicht Gasteiger gelegentlich ab. Bisweilen ergänzt er seine Grabmäler um Putten, die als Halter von Namensschildern Verstorbener dienen oder dekorative Aufgaben erfüllen.
Als er 1913 den Grabstein für das Ehepaar Weidinger im Münchner Ostfriedhof schuf, äußerte sich die Tagespresse anerkennend: „Im östlichen Friedhof ist das eine der Mausoleen, die vor dem Aussegnungsforum stehen, von Bildhauer M. G a s t e i g e r mit einem Denkmal geschmückt worden, dessen Gesamterscheinung von eigenartiger und vornehmer Wirkung ist. Auf einem mehrfach gegliederten und dezent ornamentierten Postament steht eine Putte (glatter Treuchtlinger Marmor) und hält zu beiden Seiten Reliefmedaillons (aus weißem Marmor) mit den lebensvollen Bildnissen der Bestatteten, des Hofschuhmacher W e i d i n g e r und seiner Gattin.“ – 1988 hat der Münchner Modedesigner Rudolph Moshammer (1940-2005) die Grabstätte erworben und für sich und seine Mutter als letzte Ruhestätte gewählt. Im Zuge dessen wurden die beiden Bildnisreliefs der Eheleute Weidinger durch Grabinschriften ersetzt.
Nachweise
Alexander Heilmeyer: Neuere Münchener Grabmäler, in: Kunst und Handwerk, Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbevereins zu München, 56. Jg., 1906, S. 61-71, S. 93-109 (Abb. 183, 192, 199, 200, 203, 204).
Zu Joseph Weidinger und seinem Grabmal: General-Anzeiger, S. 1, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, 59. Jg., Nr. 280 v. 18.6.1906 und Nr. 500 v. 25.10.1906; General-Anzeiger, S. 1 Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, 66. Jg., Nr. 558 v. 31.10.1913
Zum Familiengrabmal der Grafen von Tattenbach und zum Grabmal eines Grafen von Schwerin: Anonym, Neue Grabdenkmäler in den Münchener Friedhöfen, General-Anzeiger, S. 1, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, 69. Jg., Nr. 555 v. 31.10.1916; nur zu letzterem Grabmal: Helene Raff: Der Münchner Waldfriedhof, in: Westermanns Monatshefte, 62. Jg., Bd. 124, 1918, S. 372-381.
Zum Grabmal Lesmüller: General-Anzeiger, S. 1, Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten, 74. Jg., Nr. 451 v. 25.10.1921
Freundschaftliche Unterstützung bei gemeinsamen Friedhofsrundgängen von Werner Helmberger und Christoph Graf von Pfeil.
Titelbild: Mathias Gasteiger, Holzkruzifix, Grabmal Lesmüller, Waldfriedhof München, Sektion 118, 1920/1921