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„Tief beeindruckt und ergriffen“ – Das Oberammergauer Passionsspiel in einer Separatvorstellung für Ludwig II.

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Vor 150 Jahren, am 25. September 1871, ließ sich König Ludwig II. das Oberammergauer Passionsspiel in einer Separatvorstellung vorführen, die ihn zu einem königlichen Geschenk veranlasste, das den Ort bis heute prägt.

Als die Oberammergauer im Passionsjahr 1870 ihre Festspiele aufgrund des deutsch-französischen Krieges nach nur acht Aufführungen abbrechen mussten, war eine Fortsetzung erst nach dem Ende des Krieges im Sommer 1871 möglich. König Ludwig II. konnte einer Einladung der Gemeinde in den politisch stürmischen Zeiten 1870 nicht nachkommen und erbat deshalb für sich eine Sondervorführung ohne Zuschauer einen Tag nach der letzten öffentlichen Aufführung am 24. September 1871. Schon um 9 Uhr, am Montag den 25. September, kam der König von Linderhof am Festspielort an und verfolgte das mehrstündige Passionsspiel mit großem Interesse. Unterbrochen von einer Mittagspause führten die Oberammergauer Laiendarsteller die Passion mit seltenen großem Eifer und Hingabe für den königlichen Zuschauer bis abends um 17 Uhr auf.

Wie beeindruckend dieses Schauspielereignis auf den bayerischen Herrscher wirkte, beweist das Dankschreiben, das Ludwig noch am gleichen Abend an Bürgermeister Steinbacher sandte, dem er 1000 Gulden für die Armen der Gemeinde beilegte. Offensichtlich war König Ludwig von der Aufführung des Passionsspiels tief bewegt, denn er lud die wichtigsten Schauspieler zwei Tage später ins Schloss Linderhof ein. Gregor Lechner, der im Passionsspiel 1871 die unheilvolle Rolle des Judas übernahm, berichtet über das Treffen mit dem König folgendes:

„Bei diesem Empfang wandte sich der König an den Judas mit einem durchdringenden Blick und fragte ihn: Judas, was hast Du gefühlt, als Du den Herrn verrietst?“

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Der Christusdarsteller Josef Mair von 1870/71. Gemeindearchiv Oberammergau

Neben einem königlichen Gastmahl bekamen alle Eingeladenen silberne Löffel als Andenken geschenkt, außer dem Judas-Darsteller, dieser musste mit einem Löffel aus Blech Vorlieb nehmen.

Weit besser erging es dem Christusdarsteller, Joseph Mayr, der von Ludwig II. noch weitere zwei Mal nach Linderhof eingeladen wurde. Der König zeigte dem Oberammergauer Christusdarsteller das gerade im Entstehen befindliche Schloss und die geplante Gartenanlage. Im Jahr 1871 bestand die neue Schlossanlage gerade mal aus einem kurzen, einhüftigen Anbau am königlichen Jagdhaus von Ludwigs Vater. Eine Zeichnung des Malers Christian Jank aus diesem Jahr gibt uns einen Eindruck der damaligen, noch nicht allzuweit gediehenen Situation.

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Plan von Christian Jank, 1871, Ludwig II.-Museum

Mehr als die drei am Königshäuschen angebauten Räume war noch nicht vorzuzeigen, umso außergewöhnlicher ist die Gunst König Ludwigs II. gegenüber den Oberammergauer Laienschauspielern zu bemessen, da sonst eigentlich niemand seine Schöpfungen besichtigen durfte.

Um sich das besondere Erlebnis des Passionsspiels vom 25. September 1871 als bleibende Erinnerung zu bewahren, beauftragte König Ludwig II. seinen Hoffotographen Joseph Albert schon fünf Tage später, alle in Oberammergau dargestellten Bühnenszenen aufzunehmen. Trotz einiger Vorbehalte und Ängste gegenüber der fotografischen Reproduktion – die anderen Gemeinden als Anregung hätte dienen können – entsprachen die Oberammergauer Schauspieler dem Wunsch des Königs und stellten alle Szenen für den Hoffotografen aufwendig nach. Es dauerte bis Weihnachten 1871, bis Joseph Albert alle Aufnahmen fertiggestellt hatte, die heute ein einzigartiges Geschichtsdokument der Oberammergauer Passionsspiele sind.

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Oberammergauer Festspiel, Aufnahme von Joseph Albert 1871

Als bleibende Geste seines Dankes für die eindrucksvolle Aufführung des Passionsspiels vom 25. September 1871 schenkte der König der Gemeinde Oberammergau eine kolossale Kreuzigungsgruppe aus Stein, die der bekannte Münchner Bildhauer Johann Halbig ausführte.

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Die damals weltweit größte Steinskulptur aus über 50 Tonnen Kelheimer Marmor stellte eine logistische, technische und nicht zuletzt auch künstlerische Herausforderung für alle Beteiligten dar. Nach unvorstellbaren Mühen und leider auch tragischen Transportunfällen konnte sie vier Jahre nach der Beauftragung, am 15. Oktober 1875 auf einem vom König persönlich ausgewählten Ort, dem Osterbichl bei Oberammergau aufgestellt werden.

Bis zu seinem Tod 1886 kam Ludwig II. fast jährlich am 15. Oktober nach Oberammergau, um in tiefer Andacht vor der monumentalen Kreuzigungsgruppe im Gebet zu verweilen. Dieses Bild hat sich in einer volkstümlichen Darstellung als Erinnerung an den geliebten König Ludwig II. beim bayerischen Volk eingeprägt.

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Historische Postkarte: König Ludwig vor der Kreuzigungsgruppe in Oberammergau

Den Anstoß zum Bau der heute weit über Bayerns Grenzen bekannten Steinskulptur gab eine den König „tief beeindruckende und ergreifende“ Separataufführung des Passionsspiels in Oberammergau, die vor 150 Jahren, am 25. September 1871 stattfand.