Hinter den Kulissen

Gesucht und gefunden? „Zwei Meter hohe in Holz geschnittene Muschel, ächt vergoldet“

Muschelthron Venusgrotte

Schon einen Monat nach dem Tod König Ludwigs II. 1886 berichtet das Halle’sches Tagblatt am 10. Juli 1886 vom „Loreleyfelsen mit seinen imitierten Korallenbäumen von riesiger Höhe“ und vom „Königssitz mit der vergoldeten Muschel“. Diese Beschreibung der unkonventionellen Ausstattung der Venusgrotte Linderhof belegt, dass dort nicht nur ein königlicher Sitz, sondern gleich zwei vorhanden waren. Nachdem sich vom Thron am Loreleyfelsen bis heute Fragmente erhalten haben, gab es jedoch keinerlei Hinweise auf eine „vergoldete Muschel“. Auf welchen Grundlagen konnte dann eine Rekonstruktion basieren?


Während Besucher Ende des Jahres 1886 in der Venusgrotte noch einen eindrucksvollen Königssitz mit vergoldeter Muschel bestaunen konnten, war im Vorfeld der großen Baumaßnahme vor Ort lediglich eine Sitzbank aus Sandstein mit profilierten Seiten vorzufinden. Nur ein dahinter platzierter Metalldorn deutete darauf hin, dass hier evtl. ursprünglich eine Rückwand aufgestellt war.

links: Sandsteinsitzbank im Bereich Königssitz, fehlende Muschel; rechts: Querschnitt Bereich Muschelthron: 1) Sandsteinsitz, 2) Mauerblock und 3) keilförmige Aufputzung aus Romanzement und senkrechter Metallgewindestab [Winkler, Themenblatt 21]

Eher Sandstein- als Muschelthron?

Dank der akribischen Planungen zur Ausgestaltung privater Räumlichkeiten König Ludwigs II. und den zu diesem Zweck angefertigten Entwürfen für die Venusgrotte, erhielt sich in den Archivalien ein Aquarell des Muschelthrons von Seitz 1876. Dies diente wohl als Diskussionsgrundlage und Entscheidungsvorlage für die Ausführung: Auf einem Podest ist ein Sitzkissen mit Borten platziert, die Rückenlehne bildet eine imposante Muschelschale, flankiert wird der Thron von Korallenbäumen, Blumenranken und Muscheln.

vensugrotte muschelthron entwurfszeichnung

Entwurf eines Muschelthrons für die Venusgrotte [FRANZ SEITZ 1876; Quelle: Wittelsbacher Ausgleichsfond]

Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Entwurfszeichnung tatsächlich umgesetzt wurde – war eine solche Muschel in hier angemutetem Ausmaß und Farbigkeit tatsächlich in der Venusgrotte vorhanden? Nach umfassenden Recherchen im Bildarchiv der Bayerischen Schlösserverwaltung stießen wir auf einen interessanten Fund: In dem Bereich der „Fehlstelle“ ist auf einer historischen Schwarz-Weiß-Aufnahme – schwer wahrnehmbar aber ohne Zweifel vorhanden – ein dunkler Fleck erkennbar, welcher sich bei Vergrößerung des Fotos als muschelförmige Rückwand des Thrones entpuppt: Den Muschelthron gab es wirklich!

Muschelthron Beweise

links: Empore in der kleinen Grotte: Eine Sandsteinsitzbank ist zu erkennen, jedoch keine Muschel [BUNZ 2010]; rechts: Blick von unten auf die Empore, Muschelform als schwarzer Schatten erkennbar [Historische Innenaufnahme der Grotte, nicht datiert; Quelle: NADLER Archivforschung 2008-10]

Einblicke in die überlieferten schriftlichen Archivalien (Rechnungen und Inventare) geben schließlich weitere entscheidende Auskünfte über Maße und Materialien. Vermerkt ist zu Bauzeiten z. B. die Entlohnung des Kunstgewerbemeisters von Seitz für die Erstellung einer 2m hohen vergoldeten Holzmuschel:

An SEITZ Franz von, Maler & technischer Direktor dahier, 8.938 Mr40
Für 1.) eine zwei Meter hohe in Holz geschnittene Muschel, ächt vergoldet sammt einer Coralle, 4 Fuß hoch

[GHA, Hofsekretariat 391. Hauptrechnung der königlichen Cabinetts-Cassa, Nebenrechnung Linderhof, S. 114ff.]

Das Ausmaß lässt sich exakt mit dem vorliegenden Schwarz-Weiß-Foto in Relation bringen; bei der Farbigkeit wurde, nicht wie auf dem Aquarell mit silber- oder perlmuttfarbiger Fassung gearbeitet, sondern eine Vergoldung (ächt vergoldet) gewählt. Die bestätigt sich u.a. auch im Inventar von 1890, in welchem eine in der Grotte vorgefundene „Muschel, vergoldet“ gelistet ist.

inventar grotte 1890

„Holzmuschel, vergoldet mit Sitz u. künstlichen Blumengirlanden und Kissen“
[Inventar Grotte von 1890, Pos. 30]

Somit konnte auf Grundlage der gesicherten Belege unter dem Leitgedanken des Denkmalkonzeptes zur Restaurierung der Venusgrotte, „Verlorenes soll, soweit vertretbar und wichtig für das Erlebnis Venusgrotte, rekonstruiert werden […] auch der Muschelthron“, [Bosch 2018] mit der Erstellung der hölzernen Muschel begonnen werden: Sogleich richteten die Kollegen in der Bildhauerwerkstatt 11-13cm starkes Lindenholz ab, verspannten, verdübelten und verleimten die Bohlen, um in unzähligen Arbeitsstunden mit Schnitzeisen und Knüpfel eine Muschelform entstehen zu lassen.

muschelthron bildhauerarbeit venusgrotte Linderhof

Einspannen, Verkleben und bildhauerische Bearbeitung der Lindenholzbohlen durch Bildhauer HRN. KUTZER

Um den klimatischen Bedingungen im Innenraum der Venusgrotte langfristig zu trotzen, wurde das Holz mehrfach mit fungiziden Ölen imprägniert und die Oberfläche mittels Voranstrichen aus Leinöl und Zinkweiß geschlossen (bauzeitlich lässt sich in Archivalien Bleiweiß als Farbmittel für Fassungen in der Venusgrotte nachweisen; dieses wurde aufgrund seiner Toxizität für die Rekonstruktion nicht verwendet). Nach langen Trocknungszeiten, vielfachen Zwischenschliffen und Frottiervorgängen erfolgte der Auftrag mehrerer gelben Fassungsschichten als Untergrund für die Ölvergoldung mit 3 ½ Buch 23 ¾ Rosanoble Blattgold. Um die dreidimensionale Wirkung der Muschelschale zu unterstützen, war es notwendig, wie bei traditioneller Vergoldungstechnik üblich, mittels Mattgold Kontraste zu setzen – so wurden die Vertiefungen mit farbstabilem Perlglanzpigmenten (Iridoin® 300 Goldperl, Colibri Gold) in Bindemittel aufgestrichen, eingestreut und bis zum erwünschten Glanzgrad frottiert.

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Fassung und Vergoldung der Muschel durch Kirchenmaler HRN. HAUSINGER

Da sich am Kristallthron Fragmente des originalen Korallenbaumes erhalten haben, konnte auf analytische Untersuchungen des fasstechnischen Aufbaus als Grundlage für die Rekonstruktion der beiden Korallenbäume für den Muschelthron zurückgegriffen werden: Die aus Holz geschnitzten Bäume wiesen eine mehrlagige Weißfassung mit darüber liegenden rot abgetönten Farbschichten (ursprünglich mit den giftigen Farbmitteln Zinnober und Mennige) auf. Bei der Neufassung wurden die Grundierungen mit Zinkweiß und Schwerspat mit geringer werdendem Leinölanteil aufgetragen, anschließend Cadmiumrot hell mit Brillantgelb in ¾ Öl und schließlich Lasuren aus Mischungen von Cadmiumrot, Siena gebrannt, Eisenoxidrot, Caput Mortuum und Rebschwarz.

korallenbaum venusgrotte maltechnischer aufbau linderhof

links: Maltechnischer Aufbau Fassung Korallenbaum: Mikroskopische Aufnahme der Originalfassung; rechts: Maltechnischer Aufbau Fassung Korallenbaum: Muster für die Rekonstruktion

Nach der Erstellung einer Anmutung des Sitzpolsters, auf Grundlage der ursprünglichen korrespondierenden Polster von Thronen und Kahn, konnte der von einem interdisziplinären Team neu erstellte Muschelthron Ende 2024 endlich wieder in die Grotte einziehen!

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