Ein Rundgang auf den Spuren des Königs //
Als „Wundergrotte“ bezeichnete die Öffentlichkeit König Ludwigs einzigartige Kunstschöpfung in Linderhof, in der die Blaue Grotte aus dem fernen Capri und die fantastische Venusgrotte aus der Oper Tannhäuser an einem Ort vereint sind. Nahezu unglaublich war es für seine Zeitgenossen, was Ludwig II. seit 1875 dort mit Hilfe modernster Technik und ausgefeilter Inszenierungskunst erschaffen hatte. Jedoch war es erst nach dem Tod des Königs 1886 erlaubt, die Grotte zu besuchen und diese einzigartige Illusionswelt zu erleben. In den letzten 150 Jahren hatten Ausstattungen, Wasser- und Lichteffekte sehr stark gelitten und sind nun nach einer umfangreichen Sanierung wieder erfahrbar. Wie König Ludwig II. seine Grotte wünschte und was wir heute davon wieder nacherleben können, soll ein kurzer Szenenrundgang mit den wichtigsten Stationen erläutern.
Am Rande des Schlossparks von Linderhof versteckt sich hinter dichtem Bewuchs eine teilweise in den Berg gegrabene Kunstgrotte kolossaler Dimension. Nichts weist von Weitem auf dieses einzigartige Bauwerk hin und auch von dort aus sind weder das barocke Schlossgebäude noch andere Parkbauten wie der Maurische Kiosk zu sehen. Die bewusst inszenierte Abgeschiedenheit war König Ludwig II. wichtig, um sich ganz auf diese besondere Themenstation in seinem Park einzulassen, die er zumeist nachts und alleine besuchte.
Erst ganz kurz vor dem künstlichen Hügel wird eine mit echtem Felsen umrahmte Öffnung sichtbar, in deren Hintergrund eine mit Kunststein kaschierte Tür zum Grotteninneren führt.
Durch einen versteckten Öffnungsmechanismus schwingt das Tor nach Innen auf und die Inszenierung der „Wundergrotte von künstlichen Tropfsteinen“ beginnt für den königlichen Besucher und auch für uns heute. (Der Bazar, 05.11.1877)
Gleich nach Durchschreiten der Eingangstür lenkt ein Knick im Wegverlauf den Blick in die dunkle Grotte und schirmt damit bewusst die Sicht zurück zur Außenwelt ab. Der enge Tunnelgang wird allein durch im Boden versenkte, rotfarbige Beleuchterbecken erhellt, die die Wegeführung übernehmen. Nach wenigen Schritten weitet sich der leicht abwärts führende Zugang zu einer großen Vorhöhle, wo König Ludwig innehalten und zwei große Beleuchterbecken mit roter Farbstimmung betrachten konnte, die hinter mächtigen Stalagmitenfeldern versteckt liegen. Hinter den Kunstfelsen verbergen sich zwei Holzöfen zur Beheizung der Grotte, die den königlichen Besuch auch im Winter angenehm gestalteten. Vor allem die kunstvoll gearbeitete Höhlendecke mit ihren naturrealistischen Tropfsteingebilden schafft die einzigartige Illusion eines echten Grottenraums. Ein dort positioniertes Oberlicht sollte im Falle eines Besuchs des Monarchen am Tage zusätzlich Licht einbringen und damit die riesigen Dimensionen der Kunstgrotte hervorheben.
Von der Vorhöhle hatte König Ludwig II. – im Gegensatz zu uns heute – zwei Möglichkeiten, seinen Szenenrundgang fortzusetzen. Ein scharf nach links aufsteigender Weg führte den Monarchen nach wenigen Stufen auf seinen ersten Königssitz (auch Loreleyfelsen genannt) mit dem sogenannten Kristallthron, der auf einem balkonartigen Vorsprung über dem See liegt.
Dieser Kristallsitz ist ein einzigartiges „Möbelstück“: eine Holzbank vor einem Berg aus elektrisch beleuchteten Kristallen, künstlichen Farnen und einem mächtigen Korallenbaum aus Holz, der mit Kerzen bestückt war. Von hier aus konnte König Ludwig II. über ein Astwerkgeländer einen ersten Blick auf das gesamte Innere seiner Grotte werfen, deren Blau-Beleuchtung in einem Gemälde Heinrich Brelings festgehalten wurde. Von diesem Betrachterstandpunkt ist das Tannhäuser-Thema durch die steile Ausrichtung des Monumentalgemäldes ausgeblendet, der Fokus liegt allein auf der blauen Grotteninszenierung. Zusammen mit dem azurblau beleuchteten Grottensee und dem farbig beleuchteten Wasserfall wird hier für den bayerischen Monarchen die berühmte Blaue Grotte der Insel Capri bei Neapel simuliert. Ein entfernt angebrachter Spiegel reflektiert die imaginäre Öffnung der Grotte auf der Wasserfläche, während der riesige Höhlenraum in tiefblaues Licht getaucht ist. Die Suche nach dem perfekten Blauton war extrem aufwendig und dauerte Jahre, aber davon in einem anderen Beitrag mehr.
Zurück in der rot beleuchteten Vorhöhle durchschritt der König – wie wir heute auch – einen engen Durchgang zum Hauptgrottenraum. Bevor sich dieser in seiner ganzen Pracht eröffnet, zeigt sich zur rechten Seite ein großes Tropfsteinfeld, durch das zwei Quellbächlein flossen, die den See speisten und dessen Gluckern die Illusion einer echten Tropfsteinhöhle verstärkten. Ein kurz nach dem Tod König Ludwigs II. aufgenommenes Foto zeigt noch eine (heute nicht mehr vorhandene) künstliche Dattelpalme – eigentlich ein Oasengewächs aus den heißen Wüsten Nordafrikas – am Eingang zur Hauptgrotte, die den theatralischen Charakter der Venusgrotte steigerte.
Wenige Schritte weiter eröffnet sich das in seiner Pracht und Dimension überwältigende Innere der künstlichen Höhle. Die Grotte weitet sich hier zu einem gewaltigen Höhlenraum, den König Ludwig II. von mehreren Blickpositionen betrachten konnte.
Die Hauptsichtachse liegt auf dem hinter dem künstlichen See stehenden Monumentalgemälde mit der Tannhäuserszene aus der bekannten Wagneroper. Vom Ufer oder dem unteren und oberen Königssitz aus gesehen, war diese Szenerie mit künstlich bewegten Wellen, von innen beleuchteten Seerosen, hängenden Rosengirlanden und den verschiedenfarbigen Effektbeleuchtungen der absolute Höhepunkt an Illusionskunst des 19. Jahrhunderts. Als dreidimensionales Bühnenbild, in das der König als Zuschauer oder gar Akteur eintauchen konnte, ergreift jeden diese perfekt inszenierte Kunstgrotte. Der untere Königssitz in Form einer kleinen Höhle weist auf einen Aufenthaltsort für den Monarchen hin, womöglich war er mit einer Sitzgarnitur bestückt, Genaueres ist nicht bekannt. Von diesem Standpunkt aus malte Heinrich Breling für den König eine Innenansicht der Grotte in rosa Beleuchtung mit künstlicher Agave im Vordergrund.
Heinrich Breling: Ansicht der Venusgrotte von Linderhof in rosa Beleuchtung, 1881, Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München, Inv.-Nr. B VIII 0025
Besser informiert sind wir über den oberen Königssitz, den Ludwig – wir heute leider nicht – über einen gewundenen, von Astwerk umrahmten Weg erklomm. Dort erhebt sich der zweite Königssitz in Form einer vergoldeten Muschel mit rosa Sitzkissen, wo der bayerische Monarch zuweilen mit besonderen Gästen wie dem Schauspieler Josef Kainz speiste, der Folgendes darüber berichtete: „Ueber einen aufsteigenden, im Zickzack sich windenden Weg führte mich König Ludwig zu der vor uns liegenden Anhöhe hinauf, woselbst […] ein Muscheltisch auf Korallenfüßen ruhend stand, daneben ein gleicher Stuhl, an dessen Seite ein zweiter gerückt ward. Der König lud mich zum Sitzen ein und es wurde das Souper aufgetragen. […] Die Grotte ward auf gegebene Signale des Königs allviertelstündlich anders beleuchtet, so daß sich Wechselbilder von roth, gold, grün und blau vor meinen Augen gestalteten, die für meine Phantasie Märchen bedeuteten und Feensagen aus alten, alten Zeiten.“ (Der Zeitgeist, 28.06.1886)
Höhepunkt des Besuchs der Venusgrotte war für den König die Fahrt mit dem Muschelkahn auf dem künstlichen See, die ihn vom passiven Betrachter zum fahrenden Akteur zwischen den lebenden Schwänen in dieser Kunstwelt verwandelte. Die reale „Schiffsreise“ zu effektvoll inszenierten imaginären Wunschorten (Capri oder Hörselberg) verwischt die Grenze zwischen künstlicher Theateranimation und Realität nahezu vollständig. Auch hier durchfuhr der König in seinem Muschelkahn, von einem Lakai gerudert, verschiedene Stationen, deren inszenatorische Höhepunkte der farbig beleuchtete Wasserfall und eine künstliche Regenbogenprojektion über dem Tannhäuserbild waren, die ein Augenzeuge noch kurz nach König Ludwigs Tod 1886 selbst sehen konnte: „Plötzlich streift ein Lichtschein eine bisher dunkle Wand, es wird hell und heller und es erscheint in immer klareren Umrissen ein Bild des Inneren des Venusberges […]. Es erscheint auch der wandelnde Mond und der Regenbogen: mehr kann die Phantasie nicht erdenken und die Kunst ausführen.“ (Rosenheimer Anzeiger, 13.07.1886)
Das ersehnte Eintauchen, die Immersion in eine phantastische Kunstwelt durch theatralische wie illusionistische Simulationstechniken hat hier einen einzigartigen Höhepunkt erreicht. Um diese Illusion zu bewerkstelligen, wurden alle verfügbaren Mittel der Bühnenbildkunst eingesetzt und sogar ein eigenes Elektrizitätswerk – eines der frühesten überhaupt – oberhalb der Grotte gebaut.
Dass König Ludwig II. seine Kunstschöpfung tatsächlich in dieser Form erlebte, berichtet Luise von Kobell in ihrem Buch „König Ludwig II. und die Kunst“ von 1898 anschaulich: „Der königliche Grotten-Besuch, der meist nachts stattfand, hatte etwas programmäßiges; zuerst fütterte der Monarch zwei aus ihrem gewöhnlichen Domizil, dem Schloßbassin, herbeigeschaffte Schwäne, hernach bestieg er mit einem Lakai einen vergoldeten und versilberten Kahn in Form einer Muschel, und ließ sich auf dem durch einen unterseeischen Apparat bewegten Wasser herum rudern. Unterdessen hatten sich der Reihe nach die fünf farbigen Beleuchtungen abzulösen, jeder waren zehn Minuten zugemessen, damit der König den Anblick genügend genießen könne. Phantastisch schimmerten Wellen, Felsenriffe, Schwäne, Rosen, das Muschelfahrzeug und der dahingleitende Märchenkönig.“
Nach diesen kaum mehr zu überbietenden Spezialeffekten und elektrischen Farbspektakeln führt der nun wieder enger werdende Weg vorbei an einem monumentalen Spiegel, der den Raum optisch erweitert, entlang von Stalagmitenfeldern und weiteren Beleuchterbecken zum Ausgang aus der Grotte: „Beim Ausgange dreht sich wieder ein Felsstück und nun tritt man hinaus in die freie Natur, tief aufatmend wie erschöpft.“ (Rosenheimer Anzeiger, 13.07.1886)
Die von König Ludwig II. und seinen Künstlern erschaffene Venusgrotte in Linderhof ist ein einzigartiges Zeugnis für die Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts. Im Laufe der Jahre waren große Teile der Ausstattung verschwunden und viele Lichteffekte nicht mehr in ihrer ursprünglichen Funktion erlebbar. Dank intensiver Forschungen und der Tatkraft vieler Kolleginnen und Kollegen konnten fast alle ursprünglich installierten Effekte der Venusgrotte rekonstruiert werden.
So können wir heutigen Besucher uns wieder von den prachtvollen Ausstattungen und überraschenden Animationen verzaubern und unsere Fantasie anregen lassen.
Wir wünschen euch einen anregenden Besuch in der faszinierenden Venusgrotte in Linderhof!
Alle Infos zu eurem Besuch in Linderhof findet ihr auf unserer Webseite.
Wer sich, über den Besuch der Venusgrotte hinaus, vertiefter mit diesem einzigartigen Bau des 19. Jahrhunderts beschäftigen möchte, sei auf folgende Publikation verwiesen:
Die Venusgrotte im Schlosspark Linderhof. Illusionskunst und High Tech im 19. Jahrhundert. ICOMOS Hefte des Deutschen Nationalkomitees LXX. Berlin 2019.
Aktuelle Fotos aus der Venusgrotte: BSV/Freudling, Scherf