Die Venusgrotte im Schlosspark Linderhof ist ein einzigartiges Bauwerk in Form einer künstlichen Tropfsteinhöhle und der Höhepunkt der Illusionsarchitektur König Ludwig II. Er ließ in der Grotte einerseits den 1. Akt der Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner in Szene setzen, andererseits das Motiv der blauen Grotte von Capri. Dafür konnte die Grotte in verschiedenen Farben künstlich beleuchtet werden, wofür eines der ersten Elektrizitätskraftwerke der Welt geschaffen wurde. Hofbaudirektor Georg Dollmann und der Landschaftsplastiker August Dirigl errichteten die Grotte ab 1875. Im 19. Jahrhundert war sie das wohl größte Bauwerk ihrer Art, obwohl sie nur für die Nutzung durch den König zu dessen Lebzeiten konzipiert war.
Die Grundkonstruktion der ca. 90 Meter langen und bis zu 14 Meter hohen Venusgrotte besteht aus 1,70 Meter dicken Kalkbruchsteinwänden und einzelnen Säulen aus Bruchstein bzw. Gusseisen. Der Ein- und Ausgangsbereich ist mit einem Bruchsteingewölbe, die Hauptgrotte mit einem weit gespannten Gewölbe aus Ziegelmauerwerk überwölbt. Die Gewölbe wurden außen mit flüssigem Teer abgedichtet und anschließend mit Erde überfüllt.
In diese massive, tragende Außenschale wurde eine filigrane Innenschale eingehängt, die die künstlichen Tropfsteine und Felsformationen bildet. Dazwischen befindet sich ein stellenweise begehbarer Hohlraum.
Die Innenschale besteht aus einem Eisen-Geflecht, das mit Sackleinen bespannt und anschließend mit Putz versehen wurde.
Der Putz wurde teilweise flüssig vergossen und meisterhaft modelliert, um die vielfältigen Formen echter Tropfsteinhöhlen naturgetreu nachzubilden. Die Oberflächen wurden farbig gefasst und stellenweise mit Muskovit-Glimmer versehen, wodurch zusammen mit der wechselnden farbigen Beleuchtung glitzernde und glänzende Effekte erzielt wurden.
Feuchtigkeitsprobleme und Schäden
Schon kurz nach der Fertigstellung traten in der Grotte Feuchtigkeitsprobleme auf. Aus dem Berghang drang Wasser ein, die historische Gründachkonstruktion war undicht, hinzu kam Feuchtigkeit vom See, vom Wasserfall und den Besuchern.
Im Laufe der Zeit führte die eindringende Feuchtigkeit zu massiven Schäden. Die filigrane Innenraumschale aus Eisengeflecht und Romanzement korrodierte und zerfiel.
Zudem war das ursprüngliche, authentische Erscheinungsbild verändert, von der ehemals modernen Technik nichts mehr zu spüren. Bodenbeläge und Teilbereiche der Grottenschalenoberfläche waren verfälscht, die Lichtführung veraltet; sie entsprach nicht dem historischen Lichtkonzept. Von der historischen Ausstattung waren nur noch Reste vorhanden.
Somit war eine umfassende Gesamtinstandsetzung dringend erforderlich, mit deren Planung im Jahr 2007 begonnen werden konnte.
Wie restauriert man nun eine weltweit einzigartige, künstliche Höhle des 19. Jahrhunderts, die eigentlich eine Illusionsmaschine zur Erschaffung virtueller Welten ist, zudem ein Technikdenkmal von Weltrang?
1. Wie bei Baudenkmalen üblich, musste zunächst eine gründliche Archiv- und Bauforschung vorgenommen werden, um möglichst viel über das Bauwerk, seine Entstehung und seine Veränderungen zu wissen. Im Rahmen der Blogreihe zur Venusgrotte wird diese Thematik später noch ausführlicher beleuchtet.
2. Von elementarer Bedeutung waren dann Maßnahmen zur Verringerung der Feuchtigkeit, um weitere Schäden zu verhindern. Denkmalfachlich spricht man dabei von „präventiver Konservierung“. Hier sind v.a. zu nennen:
- Die Errichtung einer unterirdischen Sperrmauer mit Drainagen, um das Eindringen von Hang- und Schichtenwasser in die Venusgrotte zu verhindern
- Der Neuaufbau einer Abdichtung oberhalb der Gewölbe einschließlich Gründachkonstruktion anstelle des alten, provisorischen Dachs. Dadurch konnte auch wieder die ursprünglich intendierte, unauffällige Einbindung der Venusgrotte in das Gartendenkmal Schlosspark Linderhof hergestellt werden, so wie es zu Lebzeiten König Ludwigs war.
- Die Reduzierung der Luftfeuchtigkeit durch den Einbau einer raumlufttechnischen Anlage, um den Korrosionsprozess an der Drahtputzschale zu stoppen.
3. Auch die statische Überprüfung und Ertüchtigung des Tragwerks war ganz wesentlich. Defizite waren zu beseitigen und mit heutigen Sicherheitsanforderungen in Einklang bringen. Neben der Hängekonstruktion der Drahtputzschale und vielen Sonderkonstruktionen, die individuell konzipierte Sonderlösungen erforderten, mussten auch zwei historische Gußsäulen mit elementarer Bedeutung für das Tragwerk ertüchtigt werden.
4. Dann endlich das, was man als Besucher sieht: Die Restaurierung der historischen Bausubstanz, der innen sichtbaren Oberflächen, zur Wiederherstellung eines ungestörten, authentischen Raumeindrucks. Auch dazu werden hier im Schlösserblog noch mehrere Einzelbeiträge folgen. Daher an dieser Stelle nur eine kurze, nicht abschließende Aufzählung wichtiger Arbeiten:
- Restauratorische Bearbeitung der Drahtputzschale einschließlich Stalaktiten, Stalagmiten und Sonderkonstruktionen durch Reinigen, Konservieren und Reparieren mit einer eigens neu entwickelten Reparaturtechnik. Zum Teil waren auch Rekonstruktionen erforderlich, speziell im Ein- und Ausgangstunnel, inkl. Felsentür am Ausgang.
- Neufassung der reparierten Oberflächen einschließlich Wiederherstellung der glitzernden Muskovit-Oberflächen.
- Konservierung, Restaurierung, zum Teil auch Rekonstruktion der Ausstattung: Monumentalgemälde „Venusszene des Tannhäuser“, vergoldeter Muschelkahn, Kristallthron und Muschelthron, Blumengirlanden und künstliche Pflanzen, Astwerkgeländer, Kachelöfen.
- Wiederannäherung an das historische Beleuchtungskonzept mit den unterschiedlichen Lichtfarben, den Beleuchtungsbecken („Unterlichtern“) und dem Regenbogen-Apparat.
- Erhaltung des historischen Bodenbelags, soweit möglich.
5. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Anpassung an heutige Anforderungen hinsichtlich Besucherbetrieb, Sicherheit und Normen. In diesem Rahmen kann jedoch nicht näher darauf eingegangen werden.
Insgesamt handelt es sich also um eine „ganz normale“ Restaurierung nach heutigen denkmalfachlichen Standards, mit einer Mischung aus handwerklicher Restaurierung, künstlerischen Fertigkeiten, modernsten Restaurierungstechniken, aber auch viel „Kopfarbeit“, also intensiver, sorgfältiger Planung. Und mit umfangreicher Bauforschungsarbeit, zahlreichen Untersuchungen, Analysen, Mustern, Experimenten, Entwicklungen, Prüfungen etc.
Dabei gab es natürlich auch einige besondere Herausforderungen, von denen drei nachfolgend exemplarisch erläutert werden sollen.
Besondere Herausforderungen
1. Die von dem „Landschaftsplastiker“ August Dirigl entwickelte, filigrane Konstruktion der Innenschale – der Drahtputzschale aus Eisengeflecht und Romanzement – ist absolut einzigartig und hat sich sonst nirgendwo erhalten. Es gibt kein Vergleichsbeispiel, das als Vorbild für die Restaurierung hätte dienen können. Wir mussten dafür eine neue, spezielle Reparaturtechnik entwickeln die aufwendige Forschungsarbeiten erforderte zur Ermittlung der bauzeitlichen Materialien und zur Nachstellung der historischen Bau- bzw. Applikationstechniken, zur experimentellen Entwicklung der Restaurierungsmethodik mit Laboruntersuchungen, Materialprüfungen und Belastungsversuchen. Nur mithilfe einer intensiven interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Restauratoren, Architekten und Ingenieuren konnte auch die statische Ertüchtigung dieser speziellen, einzigartigen Konstruktionsweise erreicht werden.
2. Die vielleicht größte Herausforderung war die statische Instandsetzung der beiden sehr schlank dimensionierten historischen Gusseisenstützen. Es war quasi eine Operation am offenen Herzen, sprich unter Belastung, die sehr viel Bestandserkundungen, Berechnungen und Forschungen erforderte bis hin zur Entwicklung eines speziellen Hochleistungsmörtels, der beim Aushärten nur wenig Wärme entwickeln und kaum schwinden durfte.
Für die statische Verstärkung musste die Drahtputzschale an beiden Gusseisenstützen abgenommen werden. An der Seesäule war eine Wiederanbringung aufgrund des nun größeren Säulendurchmessers nicht mehr möglich. Die Drahtputzschale wurde dort rekonstruiert.
Hier die Lösung für die Seesäule, die mit einer Ummantelung aus hochfestem Stahl verstärkt wurde. Auf der Abbildung links ist eine Halbschale der neuen Ummantelung bereits montiert, rechts ist noch die historische Gußsäule erkennbar.
3. Die schönste Herausforderung war aber, das Highlight der „Illusionsmaschine Venusgrotte“, die mehrfarbige elektrische Beleuchtung, wohl die erste weltweit!
Um einen Eindruck von der ursprünglichen Beleuchtung zu bekommen, war zunächst der Nachbau einer historischen Lichtbogenlampe nötig, mit wassergekühlten Vorsatzscheiben aus farbigem Glas.
Die Anzahl der ursprünglich vorhandenen Lichtbogenlampen und deren Standorte konnten genau ermittelt werden, auch die verwendeten Lichtfarben (Blau, Rot, Rosa, Violett, Grün und Gelb) sind alle aus den originalen, farbigen Glasfilterscheiben abgeleitet.
Der ursprünglich in der Venusgrotte vorhandene Regenbogenapparat war leider verloren gegangen. In Technischen Kabinett der Leipziger Oper hatte sich jedoch noch ein letztes baugleiches Exemplar erhalten. Wir konnten es nachbauen, so dass die Besucher nun einen authentischen Eindruck des Regenbogens erhalten, so wie ihn König Ludwig sah.
Auch bei der blauen „Capri-Beleuchtung“ war das Ziel diese so zu zeigen wie König Ludwig sie erlebte, auch wenn er seinerzeit nie ganz zufrieden damit war. Weil das Seewasser der Venusgrotte mit den damaligen Mitteln nie so blau sein konnte wie in Capri. Dagegen sind in Capri Wände und Decke der Höhle nicht so blau und deutlich dunkler als in der Venusgrotte.
Ziel des neuen Lichtkonzepts war eine Annäherung an die ursprüngliche „Lichtillumination“ der Königszeit, jedoch mit heutiger Technik, angepasst für den Besichtigungsbetrieb.
Weitere Besonderheiten wie die Rekonstruktion des außergewöhnlichen, historischen Gründachs, die Erfassung der Raumgeometrie, die Begehbarmachung des Schalenzwischenraums, die Erhaltung des Fledermaushabitats usw. näher zu erläutern würde den Rahmen hier sprengen.
Und was gibt es nun Neues zu sehen?
Im Vergleich zu vorher bekommen unsere Besucher nach der Restaurierung nun einen authentischen Raumeindruck wie zu König Ludwigs Zeiten, ohne Schäden an der Tropfsteinoberfläche und ungestört von Schutzgerüsten und Schutznetzen.
Der Raumeindruck wird maßgeblich geprägt durch die neue Beleuchtung, die den Grottenraum wieder, wie ursprünglich, in verschiedenen Rot- und Blautönen erleuchtet.
Dazu gehören auch die farbigen Beleuchtungsbecken im Ein- und Ausgangstunnel, die rekonstruierten leuchtenden Lotusblüten und der über dem Gemälde aufgehende Regenbogen.
Auch die im farbigen Licht glitzernde Muskovitfassung wurde wieder ergänzt. Sie war weitgehend verloren.
Eine leichte Wellenbewegung auf dem See, erzeugt von der wieder aktivierten originalen Wellenmaschine, verstärkt bei der blauen Beleuchtung den magischen „Caprigrotten-Effekt“. Schon beim Betreten der Hauptgrotte kann ein leise plätscherndes Quellbächlein vernommen werden.
Neben dem restaurierten Muschelkahn mit neu rekonstruierten Sitzen für König und Ruderer fallen dem Besucher nun besonders die beiden rekonstruierten Königssitze ins Auge. Der Muschelthron mit einer riesigen vergoldeten Muschel als Rückenlehne und der Kristallthron wieder mit allen Kristallen und dem fast vier Meter hohen Korallenbaum mit Kerzen.
Astwerkgeländer und Rosensträucher wurden ergänzt und neue Blumengirlanden gemäß historischen Vorlagen aufgehängt.
Auch das 46 Quadratmeter große Tannhäuser-Gemälde ist nach der Restaurierung mit wiedergewonnener Farbigkeit nun wieder deutlich besser erkennbar als optische Erweiterung der gebauten Höhle und des Sees.
Ein neues Gründach, wie bauzeitlich vorhanden, wird sich nach vollständiger Begrünung, die natürlich erst noch anwachsen muss, unauffällig in den Schlosspark einfügen. Es ersetzt die alte, störende Holzdachkonstruktion.
Zum Abschluss noch ein paar interessante Zahlen zur Restaurierung:
- Ca. 4.000 QM als Tropfsteine bzw. Felsen gestaltete Oberfläche (davon ca. 3.500 QM als Drahtputzschale),
- 137 große Stalaktiten mit einer Länge über 130 CM, ca. 30-40.000 Kleinstalaktiten mit einer Länge von 5 CM bis 130 CM, sowie 465 Stalagmiten. Jeweils ca. 50% davon mussten restauriert werden. Bei den Großstalaktiten waren konstruktionsbedingt alle Spitzen gebrochen und zu erneuern.
- ca. 50 Tonnen Romanzement und ca. 50 Tonnen Quarzsand wurden für die Reparaturen neu eingebracht. Dagegen nur ein halbes Kilogramm Muskovitblättchen für den Glitzereffekt auf den Oberflächen.
- Nach Abschluss der Sanierung ist die Drahtputzschale nun mit ca. 2.600 historischen und 554 neuen Hängern am Gewölbe verankert.
- ca. 14.000 Blüten in der Grotte, davon 449 Stuckblüten und 14 leuchtende Lotusblüten
- ca. 750 Personen waren an der Restaurierung beteiligt
- ca. 500.000 Arbeitsstunden wurden erbracht
- 1578 Verträge für Planungs- und Bauleistungen wurden abgeschlossen
- genehmigte Gesamtkosten: 58.945.000 Euro
- 8 Jahre Planung ab 2007 und ca. 9,5 Jahre Bauzeit von August 2015 bis April 2025
Eine derart einzigartige, anspruchsvolle Restaurierung ist nur als starke Teamleistung zahlreicher Spezialisten möglich. Dafür, dass dies so gut gelungen ist, sei allen Beteiligten herzlich gedankt. Besonders die Rekonstruktion der verlorenen Ausstattung wäre ohne die engagierte und herausragende Eigenleistung von zahlreichen Restauratorinnen und Restauratoren der Schlösserverwaltung nicht möglich gewesen.
Text: Martin Bosch, unter Verwendung zahlreicher Informationen und Hinweise vieler Projektbeteiligter
Abbildungen: Bayerische Schlösserverwaltung, Staatliches Bauamt Weilheim, Kayser+Böttges – Barthel+Maus, Ingenieure und Architekten (KBBM)
Zitat in der Überschrift aus „Local-Anzeiger der Presse“, Wien, 19.12.1878