Heuer tobt in Bayern das Ludwig-Fieber. Abwechslungsweise ist einmal nicht der melancholisch-dunkelbelockte Ludwig II., der Liebling der Touristeninformationen, gemeint, sondern sein mittelalterlicher Vorgänger – Ludwig „der Bayer“.
Der regierte von München aus ab 1294 erst als bayerischer Herzog, dann ab 1314 als heiß umstrittener deutscher König und schließlich, wiewohl ohne päpstlichen Segen, von 1328 bis zu seinem Tod 1347 als römischer Kaiser. Derzeit strahlen einen die verfremdeten Züge dieses interessanten Wittelsbachers von jeder zweiten Litfaßsäule an, denn in Regensburg wird unter dem schmissigen Titel „Wir sind Kaiser“ in der diesjährigen Landesausstellung Ludwigs Leben, seine Politik und die Kultur am Münchner Hof an verschiedenen Schauplätzen breit vorgestellt.
Für die Residenz und ihre Bewohner ist diese mittelalterliche Herrschergestalt aber nicht erst zum 700. Jubiläum der Königswahl interessant, sondern hier kümmerte man sich spätestens seit dem frühen 17. Jahrhundert intensiv um den ältlichen Vorfahren: Zwar konnte dessen Beurteilung durch frühneuzeitliche Historiker zwiespältig ausfallen: Ludwig hatte zeitlebens mit zahlreichen Rivalen um seine diversen Ländereien und Herrschaftsansprüche zu kämpfen. Vor allem hatte er ein miserables Verhältnis zum Papst, der ihn nur gehässig (und auf lateinisch) als „jenen Bayern“ bezeichnete. Damit hatte der Kaiser nicht nur seinem künftigen Beinamen weg, der Konflikt machte München auch kurzfristig zu einem Hort spätmittelalterlicher Intellektualität, wo eine neue Herrscherdoktrin, die auf mehr Unabhängigkeit von Rom setzte, ausgearbeitet wurde.
Seinen tödlichen Schlaganfall erlitt Ludwig später dann allerdings auch im Kirchenbann – und das war nichts, was man später im katholischen München gern in die fürstliche Familienchronik eintrug… Nichtsdestotrotz aber war der Wittelsbacher Kaiser und damit Reichsoberhaupt gewesen und hatte seine Nachkommen damit in dynastischer Auslegung für die Zukunft als Träger der höchsten Gewalt prädestiniert. Und daraus wollte man, wo immer möglich, politisches Kapital schlagen! An vorderster Front stand hier, wie so oft in der Geschichte der Residenz, der umtriebige Maximilian I., der zu Beginn des 17. Jahrhunderts zunächst versuchte, seinem Haus die erbliche Kurwürde zu verschaffen. Hinweise auf den kaiserlichen Ahnen Ludwig waren daher für ihn gang und gäbe – Kirchenbann hin oder her: So ließ Maximilian im Chor der Frauenkirche bis 1622 ein mächtiges Grabmal aus Bronze errichten, in den die spätmittelalterliche Grabplatte des Kaisers integriert wurde und so dauerhaft dessen Namen mit dem Maximilians verband.
Für die Ausstattung griff Maximilian übrigens teilweise ungerührt auf prächtige Skulpturen zurück, die eigentlich für das Grabmal seines eigenen Vaters, Wilhelm V., bestimmt gewesen waren… Die gekrönte Liegefigur auf der marmornen Grabplatte im Zentrum des Bronzegehäuses diente auch als Vorbild für die diversen gemalten Darstellungen Ludwigs innerhalb der Residenz: So schuf Peter Candid ein Porträt des Kaisers, das zunächst in der Sommerwohnung Maximilians I. , ab dem 18. Jahrhundert im Audienzgemach der Reichen Zimmer hing – jeweils umgeben von den Darstellungen antiker Imperatoren, an die das Wittelsbacher Kaisertum gewissermaßen nahtlos anschließen sollte. In den 1730er Jahren schließlich erreichte der Ludwigs-Boom in der Residenz seinen Höhepunkt: Nun streckte Kurfürst Karl Albrecht tatsächlich die Hände nach der vakanten Reichskrone aus, da die rivalisierenden Habsburger mit dem Tod Karls VI. im Mannesstamm ausstarben: Vor diesem Hintergrund verständlicherweise taucht jetzt das Profil des Bayern-Ludwigs mehrfach in Stuck und Malerei des Paradeappartements auf und wartet noch heute auf findige Entdecker. Vor allem aber erschien er in Gestalt eines jugendlichen, bartlosen Heros im Zentrum der unter Karl Albrecht eingerichteten Ahnengalerie:
Zusammen mit Karl dem Großen (der stets als Ahnherr der Wittelsbacher vereinnahmt wurde) und dem frühmittelalterlichen Herzog Theodo – dem halblegendären ersten Bayernherzog – bildete Ludwig dort eine Trias vorbildlicher Herrscher, die zusammen mit den Dutzenden von Ahnenbildnissen die in graue Vorzeit hineinreichenden Herrschaftsansprüche untermauern sollten. Die Rechnung ging sogar (kurzfristig) auf: Ab 1742 konnte auch Karl Albrecht, nun Karl VII., für einige Jahre ausrufen: „Wir sind Kaiser!“
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