In Brüssel, der Amtsresidenz seines Vaters, des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel, der als Statthalter Spaniens die Südlichen Niederlande regiert, stirbt nach dreiwöchiger Krankheit mit nur sechs Jahren sein kleiner Sohn, der Kurprinz Joseph Ferdinand – designierter König von Spanien.
Der Tod des kleinen Jungen, dessen pausbäckiges, vielleicht idealisiertes Porträt sich auf einer Miniatur in der Sammlung des Residenzmuseum erhalten hat, löst ein politisches Erdbeben aus: Seit Jahren stehen die europäischen Mächte in Habacht-Stellung und verfolgen das gesundheitliche Auf und Ab des hinfälligen spanischen Königs Carlos II. aus dem Hause Habsburg, nominell Herr eines zwar im Niedergang begriffenen, aber immer noch gigantischen Reiches, zu dem außer den spanischen Königreichen Neapel-Sizilien, Mailand, Belgien und die unendlichen Gebiete „der beiden Indien“ – Amerikas – gehören. Wer soll nach dem stündlich zu erwartenden, kinderlosen Tod des infolge dynastischer Inzucht geistig wie körperlich schwer angeschlagenen Karls das Imperium „in dem die Sonne nicht untergeht“ erben? – Kaiser Leopold, selbst ein Habsburger, aber auch sein erbitterter Konkurrent Ludwig XIV. von Frankreich, jeweils mit Schwestern Karls verheiratet, machen sich für ihre Nachkommen Hoffnung – ein Krieg der Supermächte des 17. Jahrhunderts bereitet sich vor.
Da findet sich nach zähen Verhandlungen eine Kompromisslösung – ist doch der bayerische Kurfürst gleichfalls mit einer Habsburgerin verheiratet gewesen und hat aus der Ehe einen lebenden Sohn. Ein selbst vergleichsweise machtloser Fürst wie der Bayer könnte als spanischer Erbe ein fragiles europäisches Gleichgewicht wahren! Max Emanuel ist entzück – der alte wittelsbachische Traum einer eigenen, souveränen Krone rückt für sein Haus in greifbare Nähe – und was für eine Krone: „je m’ai fait rêves d’Espagne…“ – „spanische Träume“ machen sich in der damaligen Zeit etwa die kluge Marquise de Sévigné und ihre Freunde, wenn sie von einer gewaltigen, exotischen kaum glaubhaften Sache hören…
Schon sammelt sich in den belgischen Häfen ein Geschwader von 20 Schiffen, das den kleinen Thronanwärter in seine neue Heimat Madrid eskortierten soll, als bei Joseph Ferdinand eine kleine Unpässlichkeit diagnostiziert wird. Drei Wochen lang leistet sein immer mehr gebeutelter Körper der ebenso kreativen wie erbarmungslosen medizinischen Behandlung der Hofärzte Widerstand – aber am Schluss bringt selbst ein geweihtes Zettelchen mit dem Bildnis Mariens, das man ihn zu schlucken zwingt, keine Rettung.
Sofort nach dem Tod des kleinen Welterben steht der Verdacht eines Giftmordes im Raum – ausgeführt von hinterhältigen österreichischen Agenten, die im Auftrag des Kaisers den Nebenbuhler um das spanische Erbe aus dem Weg geräumt haben sollen. Tatsächlich ist Joseph Ferdinand wohl Opfer einer latenten Gallenblasenentzündung und einer daraus entstehenden Infektion geworden, bzw. den sich daran anschließenden Behandlungsmethoden, den zahllosen Brech- und Abführmitteln, Klistieren, Stärkungstees…
Mit dem Ende des bayerisch-spanischen Traums beginnt sich das Karussell der Thronanwärter erneut zu drehen, auf das auch Max Emanuel glücklos versucht, noch einmal aufzuspringen – am Ende steht der Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs 1701-1714…