„Meine Krönung ist gestern vor sich gegangen mit einer Pracht und einem Jubel ohne gleichen…“ – so notiert es der frisch gebackene – nein gekrönte – Kaiser Karl VII., kurz zuvor noch „schlichter“ Kurfürst von Bayern, am Abend eines für ihn ebenso denkwürdigen wie zermürbenden 12. Februar 1742 in sein Tagebuch.
Das Ziel, auf das er seit seiner Kindheit von seinem ehrgeizigen Vater Max Emanuel vorbereitet worden ist, scheint erreicht – das rivalisierende Haus Habsburg, das zwei Jahrhunderte lang die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gestellt und damit aus einer Wahlmonarchie praktisch ein Erbkaisertum gemacht hat, ist schließlich überwunden worden: Gigantische Investitionen, horrende Bestechungsgelder, juristische Feldzüge sowie die machtvolle Unterstützung der französischen Regierung hat es gebraucht, um einige Wochen zuvor die Mehrheit der in Frankfurt zusammengetretenen Wähler im Kurfürstenkolleg auf Karl Albrecht zu vereinigen. Von den militärischen Anstrengungen ganz zu schweigen!
Aber das mag Karl Albrecht an diesem 12. Februar verdrängt haben, als nach der ganzen Anstrengung einer Politik hinter geschlossenen Türen endlich der Krönungstag anbrach.
Der Ablauf einer Kaiserkrönung in der freien Reichsstadt Frankfurt war im 18. Jahrhundert längst etabliert und wurde auch bereits gelegentlich mit seiner Fülle von Zeremonien als anachronistisch belächelt: Schon lange war es nicht mehr der Papst, der dem Kandidaten die (für Rokokokunst gewöhnten Augen nur noch plump wirkende) Reichskrone aus dem hohem Mittelalter auf’s Haupt setzte (wobei ein eigenähtes Polster für den optimalen Sitz sorgte). Salbung und Krönung wurden vom Kurfürsten und Erzbischof von Köln wahrgenommen, ein Amt, das in diesem Falle praktischerweise von Karl Albrechts jüngerem Bruder Clemens August ausgefüllt wurde.
Nach dem festlichen Einzug über den Markplatz in den nahen gotischen Bartholomäus-Dom wurde zunächst die längliche Krönungsmesse mit jeder Menge Musik, Weihrauch und Pomp gefeiert. Der Kaiser warf sich vor dem Altar nieder und wurde dann schrittweise mit den Insignien ausgerüstet und mit den Krönungsgewändern bekleidet, Alba, Stola, Dalmatika, Handschuhe… alles steif von Goldstickerei und aufgenähten Edelsteinen – und mit dem zeitlos modischen Chic des 12. Jahrhunderts, so dass Karl Albrecht, der ziemlich groß war und natürlich an seinem Ehrentag die gepuderte Perücke trug, am Ende ziemlich unglücklich verkleidet aussah.
Der eindrücklichste Augenblick war zweifellos die Salbung mit geweihtem Öl, die der Verleihung der Krone unmittelbar voranging. Ob Karl Albrecht ergriffen war in diesem – seinem – großen Moment? Vielleicht. Was wir sicher wissen, ist, dass er den ganzen Tag über an starken Schmerzen litt und den Abschluss der endlosen Veranstaltung kaum erwarten konnte: Obwohl noch relativ jung, litt er bereits in hohem Maße an Gichtanfällen und an Nierensteinen, die ihm Koliken verursachten. Seinem Tagebuch vertraute er an: „alle richteten die Augen auf mich, der ich zum einen die Herrlichkeit der Kaiserwürde, zum anderen aber die lange Zeremonie und die schmerzhaften Nierensteine zu tragen hatte. Gerade in diesem Moment fühlte ich mich, mehr denn je zuvor, als ein gebrechlicher Mensch…“.
Noch aus der Distanz dreier Jahrhunderte und angesichts der barocken Pracht, die die Gemälde des Kaisers und seine von Cuvilliés ausgestalteten Paradegemächer in der Münchner Residenz ausströmen, ist man von der hier einmal offenbarten Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit berührt. Aber alles half den neuen Kaiser nichts: Auch der Rest des Tages musste gefeiert werden, namentlich mit dem traditionellen Krönungsbankett im großen Saal des Frankfurter Römers. Hier waren traditionell zu Füßen der kaiserlichen Tafel mit dem Goldservice kleinere Tische für die einzelnen Kurfürsten gedeckt, jeweils komplett mit eigenem Schaubuffet, Service aus Edelmetall und, und, und… Um Rangstreitigkeiten zu vermeiden, blieben die hohen Herren der Veranstaltung allerdings in der Regel fern und sandten stattdessen Vertreter.
Diesen oblag es dann auch, die zeremoniellen Tafeldienste auszuführen, die die Kurfürsten dem neuen Kaiser bei dieser Veranstaltung schuldeten und die sich als kleine Show-Einlagen gestalteten: So war es die Regel, feierlich den kaiserlichen Pokal am Marktbrunnen zu füllen, aus dem an diesem Tag Wein statt Wasser floss, und der im Anschluss für die durstigen Zuschauer freigegeben wurde. Der Vertreter des Reichserzmarschalls (der Kurfürst von Sachsen) musste sein Pferd bis zum Sattelgurt in einen draußen aufgeschütteten Haufen Hafer hineintreiben und ein Quantum des Getreides für die Tafel des Kaisers abholen, während der Rest dann unter der Menge verteilt wurde. Ähnliches vollführte der Wahlbotschafter des pfälzischen Kurfürsten, der als kaiserlicher Erbtruchsess fungierte: Er ritt feierlich zu der gigantischen Grillhütte vor dem Römer und hieb von dem dort gerösteten, mit allerlei Kleingetier gefüllten Ochsen mit dem Schwert ein probates Stück für den kaiserlichen Teller ab, bevor auch der arme Ochse sofort im Anschluss in den Mägen der jubelnden Menge verschwand…
Bis alle Kurfürsten ihre Obliegenheiten verrichtet hatten, Illumination und Feuerwerk abgebrannt, alle Gedenkmünzen unter die Menge verteilt waren und Karl Albrecht endlich an sein Tagebuch und ins Bett kam, vergingen noch Stunden. Am nächsten Tag wartete dann die Realität – nämlich der Österreichische Erbfolgekrieg mit dem empörten Haus Habsburg. Karl Albrecht sollte München für lange Zeit nicht mehr sehen…