Weihnachten naht mit Riesenschritten, und wer das festliche Tempo mithalten will, muss selbst langsam in die Gänge kommen, um die vielen, teils angenehmen, teils misslichen Pflichten im Vorfeld der Feiertage noch termingerecht zu erledigen: sei es in Stellvertretung für den vielbeschäftigten Weihnachtsmann Geschenke zu kaufen, sei es, die letzten Bleche mit Plätzchen zu backen, festliche Grüße per Karte, mail oder WhatsApp zu verschicken, oder, oder, oder…
Da mag es als Trost in all dieser Rumrennerei dienen, dass in der guten alten Zeit, die ob ihres angeblich stark entschleunigten Lebensstils alljährlich in den Tagen traditioneller Festlichkeiten gemeinhin hoch im Kurs steht, nichts besser gewesen zu sein scheint – zumindest nicht am bayerischen Hof und in der Münchner Residenz!
Über den Trubel, der Mitte des 18. Jahrhunderts dort in den Tagen kurz vor Weihnachten herrschte, sind wir ziemlich gut informiert, dank des „churbayerischen Hofkalenders“. Dieser Jahr für Jahr neu gedruckte und käufliche Almanach verzeichnete zum einen die Namen und Titel der sämtlichen Hofbeamten, von denen viele turnusmäßig nur einige Monate im Jahre oder selbst nur jahresweise dienstlich tätig waren. Zum anderen führte der Kalender für jeden Monat die regelmäßigen Zeremonien, Feste, Gottesdienste usw. auf, die der Kurfürst und sein Hofstaat im Jahreslauf absolvierten. So war sichergestellt, dass auswärtige Besucher (und vergessliche Höflinge) wussten, an welchem Tag das Gesuch um eine Audienz sinnvoll war, zu welcher Gelegenheit man die Residenz besser nur in festlicher Galakleidung betrat oder auch, wann die Herrschaften dort gar nicht anzutreffen sein würden. Die Tauglichkeit dieser kleinen Büchlein hing natürlich letztlich vom Willen des jeweiligen Fürsten ab, eine Orientierungshilfe sind sie auf alle Fälle gewesen – über das (wie stets in dieser Epoche) beispielgebende Leben am Versailler Hof unter dem extrem disziplinierten Sonnenkönig Ludwig XIV. giftete zum Beispiel der Herzog von Saint-Simon noch Jahrzehnte später: „Mit einem Almanach und einer Taschenuhr wusste man in einer Entfernung von 300 Meilen, was er [Ludwig] in jedem Moment tat…“.
Ein Blick in den Hofkalender von 1750, dem fünften Regierungsjahr des Kurfürsten Max III. Joseph, zeigt für den vorweihnachtlichen Countdown eine enge Taktung von Terminen. Bestimmend waren die Gottesdienste, besonders dicht natürlich an den Feiertagen selbst. Zwischen 24. und 28. Dezember nahm der Kurfürst und damit seine ganze Umgebung täglich an Messfeiern in der Hofkapelle teil, zudem wurde am 25. abends in der Reichen Kapelle ein begehrter Generalablass gewährt. Dazu kamen diverse Gedenkgottesdienste für – teilweise schon vor Generationen verstorbene – Familienmitglieder.
Schließlich waren „auswärtige Termine“ zu absolvieren, so das Vierzig-Stunden-Gebet in der Augustiner-Kirche. Diese feierlichen Verehrungen des ausgestellten Allerheiligsten waren aufwendige Veranstaltungen, für die häufig eigene Festdekorationen entworfen wurden, in deren Mitte man die Monstranz präsentierte. Gnädigerweise musste die Herrscherfamilie nicht die ganze Zeit anwesend sein, sondern nur „vorbeischauen“ sowie an der anschließenden Prozession teilnehmen. Am 28. Dezember wurden schließlich noch die in der Residenz verwahrten Reliquien der „Unschuldigen Kinder“ von Bethlehem öffentlich ausgestellt.
Was sonstige Festlichkeiten anging, so war bereits der 8. Dezember ein „doppelter“ Galatag: Man feierte den Geburtstag des regierenden Kaisers Franz I. Stephan von Habsburg-Lothringen (vermutlich zähneknirschend, denn noch einige Jahre zuvor war der junge Max III. Joseph selbst aussichtsreicher Thronanwärter gewesen), sowie den Namenstag der verstorbenen kurfürstlichen Tante Maria Josepha. An solchen „Galatagen“ wurden die „Reichen Zimmer“ der Residenz, also das kurfürstliche Paradeappartement, geöffnet, es gab Glücksspiel und Konzert und die Besucher mussten in aufwendiger – leider auch unbequemer – Hofrobe erscheinen. Am 26. Dezember stand dann statt dynastischer Selbstvergewisserung die institutionelle Bestätigung im Mittelpunkt: Um 11 Uhr vormittags versammelten sich in der Ritterstube vor den „Reichen Zimmern“ die Münchner Magistrate, um feierlichen ihren Treueschwur gegenüber dem Kurfürsten zu erneuern – danach: Gottesdienst und Predigt…
Am 27.12 (sowie an Neujahr und Dreikönig) war „Toison“, sprich ein Festakt der Ritter vom „Toison d’or“, dem „Goldenen Vlies„, dem nobelsten adligen Ritterorden der Frühen Neuzeit, welchem die (habsburgischen) Kaiser bzw. ihre Vettern, die spanischen Könige, vorstanden und in dem die bayerischen Kurfürsten, meist schon kurz nach ihrer Geburt, regelmäßig Aufnahme fanden. An einem Toison-Fest wohnten die bei Hofe anwesenden Ordensmitglieder einem feierlichen Hochamt bei, wofür pflichtgemäß die Ordenskette angelegt wurde, an der das namensgebende goldene Widderfell hing. Danach hielt man offene Tafel. Dies war eine von den Herrschern oft als lästige Pflicht empfundene Angelegenheit, denn gemeint war nicht ein offenes, allgemeines Mahl, sondern das isolierte, öffentliche Speisen des Kurfürsten, sowie in diesem Fall der Ordensritter, vor Zuschauern. Diese wohnten stumm der Handwaschung, dem Auftragen der Speisen durch die adeligen Kammerherren, dem Vorkosten, Kredenzen und dem ganzen vom Hofzeremoniell für diese Gelegenheiten vorgesehenen Aufwand bei.
Max III. Joseph wird zwischen den einzelnen Bissen gestöhnt haben, hatte doch schon Anfang des Monats, am 8. Dezember (doppelte Gala…) auch noch das jährliche Titularfest des „eigenen“ Wittelsbacher Hausordens vom Heiligen Georg stattgefunden, dessen Ritter wiederum im „großen Kostüm“, im schweren Ordensmantel, mit Hut und Kette in Kapelle und Speisesaal „anzutreten“ hatten.
Am schlichtesten gestaltete sich letztlich ausgerechnet der Heilige Abend – nach Vesper, Nachtmesse und Hochamt mit Kommunion zog sich der Hof still zurück.
Dieser Verweis auf letztlich doch ein klein wenig Besinnlichkeit inmitten von so viel Trubel soll uns daher als Ansporn dienen – allen Leserinnen und Lesern wünschen wir frohe und vor allem friedliche Feiertage!